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Zitiervorschlag: Römermann/Lolou, LRZ 2023, Rn. 520, [●], www.lrz.legal/2023Rn520.

Permanente Kurz-URL: LRZ.legal/2023Rn520

Spätestens mit der Veröffentlichung von ChatGPT ist künstliche Intelligenz (KI) auch in der Anwaltschaft angekommen. Welche Chancen, aber auch Herausforderungen sich daraus für den Rechtsmarkt ergeben, ist Thema dieses Beitrags.

1. Einführung

Die Digitalisierung und die Entwicklung von KI haben in vielen Bereichen zu neuen Möglichkeiten und Herausforderungen geführt. Insbesondere seit der Veröffentlichung von ChatGPT im November 2022 werden die Themen KI und Chatbots sowie deren Gebrauch im juristischen Kontext breit diskutiert. Dabei werden nicht nur urheber- und datenschutzrechtliche Fragestellungen aufgeworfen. Auch das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) rückt nach zahlreichen höchstrichterlichen Entscheidungen zu verschiedenen LegalTech-Unternehmen wieder in den Fokus der Anwaltschaft – ein Gesetz, das vor den Streitigkeiten rund um die Geschäftsmodelle mancher Inkassodienstleister kaum jemand kannte. Nun stellt sich die Frage, inwiefern Chatbots wie ChatGPT oder GPT-4 (eigene) Rechtsdienstleistungen erbringen oder ob sie nur eine praktische Unterstützung für Rechtsanwälte darstellen können.

Rn520

1.1. Der BGH und die Rechtsdienstleistungsbefugnis

1.1.1. Der Begriff der Rechtsdienstleistung

Anders als das frühere Rechtsberatungsgesetz regelt das RDG heute ausschließlich die außergerichtliche Erbringung von Rechtsdienstleistungen, die grundsätzlich nur durch Rechtsanwälte oder ihnen gleichgestellte Personen erlaubt ist. Die Rechtsdienstleistungsbefugnis innerhalb gerichtlicher Verfahren regeln die jeweiligen Prozessordnungen.

Rn521

Das RDG definiert in § 2 Abs. 1 die Rechtsdienstleistung als jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert. Es enthält Ausnahmen für bestimmte Tätigkeiten, die keine Rechtsdienstleistung darstellen oder unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt sind. So dürfen beispielsweise Inkassodienstleister nach § 2 Abs. 2 S. 1 RDG Inkassodienstleistungen erbringen. Das Gesetz definiert Inkassodienstleistungen als die Einziehung fremder oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen, wenn die Forderungseinziehung als eigenständiges Geschäft betrieben wird, einschließlich der auf die Einziehung bezogenen rechtlichen Prüfung und Beratung. Ein Inkassodienstleister unterliegt dabei nicht den strengen Anforderungen des anwaltlichen Berufsrechts, insbesondere nicht dem bis auf wenige Ausnahmen bestehenden Verbot der Vereinbarung eines Erfolgshonorars nach § 49b Abs. 2 S. 1 BRAO. Das Ungleichgewicht zwischen dem streng regulierten Anwaltsberuf und den nach der Rechtsprechung des BGH immer weiter reichenden Befugnissen der Inkassodienstleister führe jedoch nicht zu einer Einschränkung oder gar einem Verbot der Inkassodienstleister, meint der BGH.1 Zu Recht, denn die freiheitsliebende Verfassung, allen voran Art. 12 GG, fordert keine Erweiterung von Verboten, sondern deren kritische Prüfung: Wenn der bei generalisierend-abstrakter Betrachtung weniger qualifizierte Anbieter mehr darf als derjenige mit dem strengen Berufsrecht und einer engen Aufsicht, dann harrt ersichtlich der unter dem Joch überkommener Einschränkungen leidende Dienstleister der Befreiung.

Rn522

1.2. Jüngere Rechtsprechung zu LegalTechs

Eine Reihe von Legal-Tech-Geschäftsmodellen hat bereits die deutschen Gerichte beschäftigt – ein kleiner Streifzug durch die jüngere Vergangenheit.

Rn523

1.2.1. Smartlaw

Den Anfang der Urteile zur Zulässigkeit von Legal-Tech-Geschäftsmodellen machte das Landgericht Köln2 mit dem Fall Smartlaw. Smartlaw ist ein Online-Tool, das juristische Dokumente, vor allem Verträge, anhand eines Fragenkatalogs erstellt. Die Hanseatische Rechtsanwaltskammer Hamburg war der Meinung, dass Smartlaw eine unzulässige Rechtsberatung anbiete. Sie klagte gegen das Online-Tool, weil sie meinte, dass nur Anwälte solche Dienstleistungen nach § 2 RDG erbringen dürften. Es gebe auch keine Ausnahmevorschrift im RDG, die das Geschäftsmodell von Smartlaw erlauben würde. Das Landgericht Köln gab der Rechtsanwaltskammer zunächst recht und sah in Smartlaw eine Rechtsdienstleistung nach § 2 RDG.

Rn524

Wolters Kluwer, der Anbieter von Smartlaw, war anderer Meinung und legte Berufung ein. Das OLG Köln3 urteilte in der nächsten Instanz zugunsten von Smartlaw – es handele sich nicht um eine Rechtsdienstleistung. Die eigentliche Leistung sei die Entwicklung und Bereitstellung der Software, die Nutzung des Vertragsgenerators sei dem Anbieter hingegen nicht mehr zuzuschreiben. Außerdem gebe es keine Einzelfallprüfung nach § 2 Abs. 1 RDG; das Programm folge einer festen Logik und passe den Sachverhalt nur in das vorgegebene Schema ein. Der Vertragsgenerator sei eher mit einem Formularbuch vergleichbar.

Rn525

Der BGH4 bestätigte schließlich die Entscheidung des OLG Köln. Wolters Kluwer werde nicht in einer konkreten Angelegenheit des Nutzers tätig, Smartlaw sei nur für verschiedene typische Sachverhalte programmiert und dafür seien standardisierte Vertragsklauseln entwickelt worden. Der Nutzer rechne auch nicht mit einer konkreten rechtlichen Prüfung seines Einzelfalls, so der BGH.

Rn526

1.2.2. Myright vs. Lkw-Kartell

Myright ist eine Online-Plattform, die Verbrauchern bei der Verfolgung ihrer Schadensersatzansprüche hilft. In einem der Fälle, die das LG München I5 entscheiden musste, hatte Myright, eine Tochtergesellschaft eines Unternehmens mit dem Namen Financialright, Ansprüche von mehr als 3.000 Spediteuren übernommen. Diese forderten Schadensersatz wegen illegaler Preisabsprachen des Lkw-Kartells. Die Ansprüche wurden ähnlich einer Sammelklage mit Mitteln eines Prozessfinanzierers eingeklagt. Das Landgericht wies die Klage ab. Das Geschäftsmodell von Myright verletze das RDG. Die Leistung des Inkassodienstleisters sei nicht auf eine außergerichtliche Tätigkeit ausgerichtet. Es gehe von Anfang an um die gerichtliche Durchsetzung von Ansprüchen, die von der Inkassoerlaubnis gerade nicht erfasst sei.

Rn527

Ein weiteres Problem sah das LG in der Zusammenfassung von Klagen mit unterschiedlichen Erfolgsaussichten. Bei einem Vergleich würden die Kunden, deren Fälle bessere Erfolgsaussichten hätten, gegenüber denjenigen mit schlechterer Prognose benachteiligt, da alle Kunden unabhängig von den individuellen Erfolgsaussichten anteilig beteiligt würden. Es käme zu einem Konflikt der Leistungspflichten des Inkassodienstleisters, was nach § 4 RDG ebenfalls verboten wäre.

Rn528

Auch die Einbeziehung eines Prozessfinanzierers sah das LG als problematisch an. Es seien Interessenkollisionen zu befürchten. Die Sache ist derzeit beim OLG München anhängig.

Rn529

1.2.3. Financialright

Financialright ist ein registriertes Inkassounternehmen nach dem RDG. Die Inkassodienstleisterin hatte sich etwa 37.000 Ansprüche von VW-Kunden abtreten lassen, um deren Ansprüche im Diesel-Skandal in Form einer Sammelklage einzuklagen. In einem der Fälle, die das LG Ingolstadt6 entscheiden musste, ging es um 2.800 Ansprüche, der Streitwert lag bei rund 77 Millionen Euro. Das Gericht meinte, dass das relevante Geschäftsmodell stimme nicht mit dem RDG überein. Das Gericht hielt schon die einzelnen Übertragungen für nichtig, weil die AGB die Käufer unangemessen benachteiligten. Eine Klausel in den AGB sah vor, dass Financialright auch dann eine Provision bekäme, wenn der Käufer den möglicherweise geschlossenen Vergleich widerrufen würde. Die ursprünglich kostenlose Rechtsverfolgung wäre in dem Fall nicht mehr kostenlos. Daraus ergebe sich ein Interessenkonflikt zwischen dem Käufer und der Inkassodienstleisterin. Dieser führe dazu, dass die Tätigkeit nicht mehr von der Inkassodienstleistungsbefugnis gedeckt sei.

Rn530

Das OLG München schloss sich in der mündlichen Verhandlung der Meinung des Landgerichts nicht an. Es hielt die Übertragung nicht von vornherein für unwirksam. Ein endgültiges Urteil des OLG München gibt es in der Sache bisher nicht.

Rn531

Ein weiterer Fall7, in den Financialright involviert war, wurde in Braunschweig, zunächst vor dem Landgericht, verhandelt. Die Inkassodienstleisterin forderte aus abgetretenem Recht Ansprüche von Schweizer Autokäufern gegen VW. Das LG Braunschweig wies die Klage zurück. Die Tätigkeit des Inkassounternehmens verletze das RDG mit der Folge, dass die möglichen Ansprüche nicht wirksam übertragen worden seien, die Klägerin sei also auch nicht klagebefugt. Die Klägerin habe nur eine allgemeine deutsche Inkassolizenz, welche nur auf Kenntnissen des deutschen Rechts beruhe, nicht aber auf besonderen Kenntnissen im ausländischen Recht. Mit der Forderung überschreite die Klägerin daher ihre Inkassoerlaubnis. Die Inkassobefugnis bestehe nur, soweit zuvor Kenntnisse gefordert, geprüft und für ausreichend befunden würden. Kenntnisse des Schweizer Rechts seien indes weder gefordert noch geprüft worden.

Rn532

Das OLG Braunschweig8 schloss sich der Meinung des LG an und verneinte im Ergebnis die Klagebefugnis der Inkassodienstleisterin. Der BGH9 folgte der Meinung der vorgehenden Instanzen nicht. Nach Wortlaut und Systematik des RDG sei für eine Inkassodienstleistung in Bezug auf ausländische Forderungen keine spezifische Sondererlaubnis nötig; es genüge die allgemeine Zulassung zum Inkassogeschäft. Die Vorinstanz muss nun erneut über die Schadensersatzforderungen gegen VW entscheiden.

Rn533

1.2.4. Lexfox

Die Lexfox-Urteile hatten immer den gleichen Sachverhalt zum Gegenstand: Conny, das Unternehmen, das früher unter Lexfox auftrat und im Internet unter der Domain www.wenigermiete.de warb, klagte mit Inkassovollmacht abgetretene Ansprüche von Berliner Mietern gegen ihre Vermieter ein. Die Vermieter hatten oft eine höhere Miete gefordert als ihnen nach der Berliner Mietpreisbremse erlaubt gewesen wäre. Conny ermittelte daraufhin die zulässige Höchstmiete, forderte den Vermieter auf, die zu viel gezahlte Miete zurückzuzahlen und für die Zukunft keine höhere als die erlaubte Miete zu verlangen. Von der erstrittenen Rückzahlung bekam Conny einen bestimmten Betrag als Erfolgshonorar und zahlte den Rest an den Mieter aus. Der Vermieter hatte die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Rn534

Die reine Rückforderung der überzahlten Miete war unstrittig von der Inkassoerlaubnis des Unternehmens umfasst. Uneinigkeit bestand in der Frage, ob auch die Abwehr der Entstehung der Forderung noch von der Inkassoerlaubnis umfasst ist. Das Landgericht Berlin10 bezweifelte dies und wies die Klage von Conny ab. Der BGH11 hielt das Geschäftsmodell „noch“ für zulässig. Die Geltendmachung einer Forderung und auch die Sicherstellung rechtmäßiger Zustände in der Zukunft stünden in einem „engen Zusammenhang“ mit der Einziehung der Forderung, weshalb es sich „noch“ um Inkasso handle.

Rn535

Das Landgericht Berlin wollte sich der Rechtsauffassung des BGH auch nach diesem Grundsatzurteil nicht fügen und wies die Ansprüche von Conny mehrfach erneut ab mit der Begründung, das Geschäftsmodell von Conny sei darauf ausgerichtet, das anwaltliche Berufs- und Gebührenrecht zu umgehen. In einem weiteren Lexfox-Urteil12 entschied der BGH, dass die Wertungswidersprüche zwischen dem streng reglementierten anwaltlichen Berufsrecht und dem liberalen Recht der Inkassodienstleister auf die Stellung des Rechtsanwalts als „Organ der Rechtspflege“ zurückzuführen seien. Eine Begründung, warum dem Inkassodienstleister mehr gestattet sein soll als dem Rechtsanwalt, blieb der BGH allerdings schuldig. Im Ergebnis blieb das Geschäftsmodell von Conny zulässig.

Rn536

1.3. Einsatz von ChatBots als Rechtsdienstleitstung

Ob automatisierte Rechtsdienstleistungen unter den Begriff der Rechtsdienstleistung i.S.d. § 2 Abs. 1 RDG zu subsumieren sind oder nicht, war erstmals im Jahr 2021 Gegenstand einer Entscheidung des BGH. Im Fall „Smartlaw“13 konnte der Nutzer, wie eingangs erwähnt, durch die Beantwortung von Fragen auf einer Internetseite einen Vertragsentwurf erstellen, der in gewissem Umfang auf seine individuelle Situation zugeschnitten war.

Rn537

Bei der softwaregestützten Generierung eines Vertragsentwurfs befasse sich der Anbieter nicht mit einer konkreten Angelegenheit, stellte der BGH fest. Das Dokument werde nicht aufgrund eines konkreten, von einer bestimmten Person unterbreiteten Sachverhalts erstellt. Das Computerprogramm sei nicht auf einen konkreten Einzelfall zugeschnitten, sondern erfasse allgemeine Sachverhalte mit häufig auftretenden Fragen, für die der Anbieter Antworten in Form von standardisierten Vertragsklauseln und Textbausteinen entwickelt habe. Dabei habe er die Programmierung der Software zwar darauf ausgerichtet, durch ein umfangreiches und detailliertes Frage-Antwort-System möglichst alle typischen und in der Praxis häufig vorkommenden Fallkonstellationen vorwegzunehmen. Dies ändere jedoch nichts daran, dass es sich bei der Vielzahl möglicher Kombinationen von Textbausteinen um Lösungen für fiktive Einzelfälle eines unbestimmten Personenkreises handele. Insofern unterscheide sich der Vertragsdokumentgenerator „Smartlaw“ nicht von einem ausführlichen Formularhandbuch, in welchem dem Leser für bestimmte Sachverhaltskonstellationen bestimmte Vertragsklauseln empfohlen würden.

Rn538

Ist ChatGPT bzw. dessen Nachfolger GPT-4 mit „Smartlaw“ vergleichbar, insbesondere: Sind die tragenden Erwägungen der Entscheidung des BGH zu „Smartlaw“ auf ChatGPT übertragbar? Smartlaw und ChatGPT unterscheiden sich technisch grundlegend. Hier zwei Beispiele: fragt man Bing AI – dahinter steckt GPT-4 – wie man seinen Stromanbieter wechseln kann, erhielt man am 3.5.2023 um 16:02 Uhr folgende Antwort:

RoemermannBeitragsbild01

Rn539

Der ChatBot erteilt nicht nur praktische Hinweise zu einer möglichen Kostenersparnis durch Preisvergleich, sondern er gibt gleichzeitig an, wie die Kündigung und der Neuabschluss eines Stromvertrages abzulaufen hätten.

Rn540

Fragt man Bing AI, wie man sein Unternehmen sanieren kann, erhielt man am 3.5.2023 um 16:06 Uhr folgende Antwort:

RoemermannBeitragsbild02

Rn541

Auch wenn die KI ihre Antworten nicht mit Normen unterlegt, erklärt sie dem Laien anschaulich und übersichtlich, welche wesentlichen Voraussetzungen eine erfolgreiche Unternehmenssanierung hat.

Rn542

Anders bei Smartlaw. Dort werden die Formulierungen vom Anbieter vorgegeben, der Nutzer entscheidet durch seine Eingaben über deren Zusammensetzung. Bei ChatGPT bzw GPT-4 durchsucht das Programm im Moment der Anfrage eine große Datenmenge und stellt daraus individuell Antworten zusammen. Dies geschieht jedes Mal neu, sodass auf ein und dieselbe Frage grundsätzlich verschiedene Antworten möglich sind. Dies entspricht in keiner Weise mehr dem System des Formularbuches.

Rn543

Doch wie beurteilt Bing AI die eigene Tätigkeit? Fragt man Bing AI, ob die dahinterstehende KI eine Rechtsdienstleistung erbringt, erhielt man am 3.5.2023 um 16:20 Uhr jedenfalls diese Antwort:

RoemermannBeitragsbild03

Rn544

Eine Parallele zwischen „Smartlaw“ und Bing AI besteht freilich darin, dass der Nutzer weiß, dass im Moment seiner Frage kein Mensch mehr an der konkreten Antwort beteiligt ist. Alles ist vorprogrammiert und auf eine unüberschaubare Anzahl von Fragen ausgelegt. Aber zählt der subjektive Eindruck eines Nutzers, wenn es darum geht, was Anbietern verboten sein könnte?

Rn545

1.4. Auswirkungen der Digitalisierung für Anwaltschaft und „Rechtsuchende“

Eines dürfte unstreitig sein: KI hat den Rechtsmarkt bereits jetzt verändert.

Rn546

1.4.1. Begriff des „Rechtsuchenden“

Qui ius quaerit – derjenige, der das Recht sucht: Aber gibt es den klassischen Rechtsuchenden (heute noch)? Den potenziellen Mandanten, der ein rechtliches Problem hat und mit diesem zur Anwaltskanzlei seines Vertrauens geht? Es stellt sich bereits die Frage, ob das Recht jemals von Nichtjuristen „gesucht“, also zu kennen erstrebt wurde, oder ob der Nachfrager derartiger Dienstleistungen nicht in Wirklichkeit ganz andere, handfestere Ziele verfolgt, etwa: eine Zahlung zu erlangen oder eine Strafe zu vermeiden. Immer mehr Anbieter am Rechtsmarkt zeigen Verbrauchern, wie sie ihr Problem, von dem der Verbraucher möglicherweise noch gar nichts wusste, lösen bzw. beseitigen. So wirbt beispielsweise die RightNow GmbH mit dem Slogan „Verkaufe Dein Problem!“14 Eine Abkehr vom klassischen Begriff des „Rechtsuchenden“ ist damit wohl überfällig.

Rn547

1.4.2. Der Einsatz von KI durch Rechtsanwälte

Unabhängig von der streitigen Frage, ob Chatbots wie GPT-4 eine Rechtsdienstleistung erbringen, dürfen sich Rechtsanwälte technischer Hilfsmittel bedienen. KI darf intern zuarbeiten, Standardschreiben verfassen, jedoch nicht absenden, und vor allem Eines: Recherchieren. All das, was heute überwiegend von Referendaren, wissenschaftlichen Mitarbeitern oder Praktikanten übernommen wird. Der Einsatz von KI entbindet den Rechtsanwalt selbstverständlich nicht von einer berufsrechtlich gebotenen Überprüfung der erzielten Arbeitsergebnisse.

Rn548

Einen Einfluss auf das Mandatsverhältnis hat der Einsatz von KI daher grundsätzlich nicht. Der Mandatsvertrag wird mit dem Rechtsanwalt bzw. der Berufsausübungsgesellschaft geschlossen.

Rn549

1.4.3. Vorteile des Einsatzes von KI

KI-Anwendungen weisen unstreitig Potenzial für den Beruf der Rechtsanwälte auf. Sie können nicht nur die bisherige Arbeit der Rechtsanwälte erleichtern, sondern Arbeitsabläufe teilweise oder sogar ganz automatisieren. KI kann in Standardverfahren den menschlichen Arbeitsaufwand verringern und damit Kosten, Zeit und die Fehlerquote senken. Große Datenmengen können innerhalb kürzester Zeit analysiert und Muster erkannt werden. Ein Abgleich mit höchstrichterlicher Rechtsprechung ist in Sekundenschnelle möglich, es bleibt wenig Raum für fachliche Fehler. In Zeiten des Fachkräftemangels ist eine Effizienzsteigerung insbesondere in Standardabläufen längst geboten.

Rn550

Langfristig bietet diese Entwicklung vor allem den Zugang zum Recht. Insbesondere Verbraucher und kleine und mittelständische Unternehmen profitieren von der Transparenz und Kosteneffizienz, die KI schaffen kann.

Rn551

1.4.4. Die Kehrseite der Medaille - Nachteile des Einsatzes von KI

Bei all dem Potenzial sind die negativen Aspekte des Einsatzes von KI in der Anwaltschaft nicht zu vernachlässigen. Die KI ist fehleranfällig; insbesondere im Hinblick auf ihre Quellen besteht die Gefahr, dass falsche Informationen als richtig dargestellt oder gar falsche höchstrichterlicher Rechtsprechung „erfunden“ wird – und das nur, weil eine Quelle ein Aktenzeichen falsch wiedergibt. Die KI schützt nicht vor diskriminierenden Ergebnissen, eine Manipulation durch die Programmierung oder Wahl der Quellen ist jederzeit möglich.

Rn552

Vielfach wird die fehlende Empathie der KI als Grund angeführt, sich besser von Menschen beraten zu lassen. Aber ist die KI wirklich so schlecht darin und können menschliche Berater wirklich so viel empathischer sein? Bei näherem Hinsehen kann eine gut programmierte KI die Kommunikation von Menschen detaillierter und treffsicherer analysieren als eine menschliche Wahrnehmung durch Hören oder Sehen. Und sie kann präziser darauf reagieren, in der Wahrnehmung des Gegenübers also: mit Empathie.

Rn553

Nicht außer Acht zu lassen sind ferner einige offene Fragen zu Haftung, Daten- und Urheberrechtsschutz.

Rn554

2. Fazit

Der Einsatz von ChatGPT durch Anwälte ist berufsrechtlich zulässig, solange die spezifischen anwaltlichen Pflichten, insbesondere die Verschwiegenheit und die Unabhängigkeit, gewahrt werden und eine berufsrechtlich gebotene Abschlusskontrolle durch Rechtsanwälte erfolgt. ChatGPT kann als ein Hilfsmittel, als eine Art „wissenschaftlicher Mitarbeiter“, zur Kommunikation, Recherche und Dokumentation angesehen werden, das die anwaltliche Tätigkeit unterstützt und erleichtert, aber nicht ersetzt. Der Anwalt muss stets die Kontrolle und Verantwortung über die von ChatGPT generierten Inhalte behalten und diese auf ihre Richtigkeit und Angemessenheit überprüfen.

Rn555

Der Rechtsdienstleistungsmarkt ist durch die Digitalisierung und den Wettbewerb mit Inkassodienstleistern einem stetigen Wandel unterworfen. Inkassodienstleister können eine kostengünstige und effiziente Alternative zur anwaltlichen Vertretung bieten, insbesondere bei Masseverfahren. Sie unterliegen jedoch dem RDG, das ihre Tätigkeit auf bestimmte Bereiche beschränkt und ihnen Anforderungen an die Qualität und Transparenz ihrer Leistungen auferlegt, mögen diese im Vergleich zu den berufsrechtlichen Anforderungen an die Anwaltschaft auch nicht allzu streng sein. Die Anwaltschaft muss sich dieser Herausforderung stellen und ihre Kompetenzen und Dienstleistungen weiterentwickeln, um ihre Rolle als unabhängiger Rechtsberater und Interessenvertreter zu stärken.

Rn556

Bei einem Blick auf die eher liberale Rechtsprechung des BGH zu LegalTech-Geschäftsmodellen und dem immer weiteren Verständnis des Umfangs von Inkasso, zeigt sich eine große Akzeptanz der Senate – mit Ausnahme des eigentlich für das anwaltliche Berufsrecht zuständigen Anwaltssenats15 - für die neuen Geschäftsmodelle.

Rn557

Wie der BGH über ChatGPT urteilen wird, wenn er sich damit befassen muss, ist ungewiss, auch wenn die bisher zuständigen Senate fortschrittlich eingestellt waren. Auch aus der Smartlaw-Entscheidung lässt sich nichts ableiten. Es gibt zwar einige Argumente für eine liberale Interpretation. Aber man darf nicht vergessen, dass die Unterschiede zwischen dem Vertragsgenerator Smartlaw und ChatGPT merklich vorhanden sind.

Rn558

Deshalb kann man nur ein vorläufiges Fazit ziehen: Wahrscheinlich wird die Bereitstellung von ChatGPT nach der bisherigen Rechtsprechung eher erlaubt als verboten sein.

Rn559

1 Vgl. dazu ausführlich Römermann, MMR 2021, 718.

2 LG Köln, Urteil vom 8.10.2019 – 33 O 35/19.

3 OLG Köln, Urteil vom 19.6.2020 – 6 U 263/19 m. Anm. Römermann, NJW 2020, 2678.

4 BGH, Urteil vom 9.9.2021 – I ZR 113/20 m. Anm. Beyme, Stbg 2022, 75.

5 LG München I, Urteil vom 7.2.2020 – 37 O 18934/17 m. Anm. Römermann, AnwBl. Online 2020, 273.

6 LG Ingolstadt, Urteil vom 7.8.2020 – 41 O 1745/18.

7 LG Braunschweig, Urteil vom 30.4.2019 – 11 O 3092/19.

8 OLG Braunschweig, Urteil vom 7.10.2021 – 8 U 40/21.

9 BGH, Urteil vom 13.6.2022 – VIa ZR 418/21, LTZ 2022, 260 m. Anm. Römermann.

10 LG Berlin, Urteil vom 4.4.2019 – 67 S 16/19.

11 BGH, Urteil vom 27.11.2019 – VIII ZR 285/18.

12 BGH, Urteil vom 8.4.2020 – VIII ZR 130/19 m.Anm. Römermann, EWiR 2020, 331; vgl. auch BGH, Urteil vom 19.1.2022 – VIII ZR 123/21 m.Anm Römermann EWiR 2022, 143; BGH, Urteil vom 18.5.2022 – VIII ZR 382/21 m. w. N. Römermann, GRUR-Prax 2022, 453.

13 BGH, Urteil vom 9.9.2021 – I ZR 113/20, NJW 2021, 3125 = Stbg 2022, 75 m. Anm. Beyme; zur Vorinstanz OLG Köln Römermann, NJW 2020, 2678.

14 rightnow.de/, zuletzt abgerufen am 2.7.2023.

15 Dazu ausführlich Römermann, LTZ 2022, 260.

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