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Zitiervorschlag: Günther/Gerigk/Berger, LRZ 2023, Rn. 944, [●], www.lrz.legal/2023Rn944.

Permanente Kurz-URL: LRZ.legal/2023Rn944

Die rasante Entwicklung von künstlicher Intelligenz (KI) verändert die Arbeitswelt grundlegend. Eine Vielzahl arbeitsrechtlicher Fragen ist bisher nicht abschließend geklärt. Dieser Beitrag erläutert den derzeit geltenden kollektivrechtlichen Rahmen, der beim Einsatz von KI-Systemen im Betrieb zu beachten ist.

1. Einleitung

Die Einführung von KI-Anwendungen am Arbeitsplatz ist mittlerweile Realität. Unternehmen berichten stetig über Erfolge beim Einsatz von KI. Dies gilt insbesondere im Zusammenhang mit einer Steigerung der Produktivität am Arbeitsplatz.1 Die potentiellen Anwendungsfelder sind vielgestaltig und reichen von einem Einsatz beim Personalrecruiting über die Unterstützung der Arbeitnehmer2 bei Alltagsaufgaben bis hin zu Personaleinsatzplanung und Personalführung.

Rn944

Der Betriebsrat ist bei der Einführung von KI-Systemen zu beteiligen. Neben althergebrachten Beteiligungsrechten des Betriebsrats hat der Gesetzgeber mit dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz3 neue Vorgaben geschaffen, die explizit an den Einsatz von KI anknüpfen. Damit ist das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) das erste arbeitsrechtliche Gesetz, in dem der KI-Begriff zum Tatbestandsmerkmal erhoben wurde.

Rn945

2. Betriebsverfassungsrechtlicher Rahmen

2.1. Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG

Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG das Recht, über die Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen mit zu entscheiden, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Dadurch sollen Arbeitnehmer vor den besonderen Gefahren von technischer Überwachung geschützt werden.4 Voraussetzung ist, dass durch den Einsatz der technischen Einrichtung Daten erhoben oder verarbeitet werden, die Rückschlüsse auf das Verhalten bzw. die Leistung der Arbeitnehmer zulassen.5 Im Zusammenhang mit KI würde der Mitbestimmungstatbestand z.B. vorliegen, wenn durch eine KI Leistungsdaten von Arbeitnehmern gesammelt werden. Dies kann z.B. die Aufzeichnung von Tasten-Anschlägen pro Minute bei Computerarbeitsplätzen, den Lernfortschritt nach internen Schulungen oder Umfragen zur Kundenzufriedenheit betreffen.

Rn946

Da das BAG die Mitbestimmungsnorm extensiv auslegt, ist bei nahezu jedem KI-Einsatz von einer Pflicht zur Einbeziehung des Betriebsrats auszugehen.6 Anders als vereinzelt in der Literatur7 vertreten, besteht auch keine „Mitbestimmungslücke“ bei der Verwendung von KI-Systemen im Vorfeld der Begründung eines Arbeitsverhältnisses. Zwar knüpft § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG an die technische Überwachung „der Arbeitnehmer“ an, nicht an die Überwachung der Bewerber. Jedoch geht die herrschende Meinung zu Recht davon aus, dass das Mitbestimmungsrecht auch für technische Überwachungseinrichtungen im Bewerbungsprozess gilt.8 Hierfür spricht die vergleichbare Schutzbedürftigkeit von Bewerbern und ihr Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit.

Rn947

Dem Arbeitgeber ist es untersagt, KI-Systeme einzuführen, bis das Mitbestimmungsverfahren beendet ist. Kommt zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat keine Vereinbarung zustande, wird das Beteiligungsverfahren erst durch Spruch der Einigungsstelle (§ 87 Abs. 2 BetrVG) formell beendet. Einhergehende Verhandlungen nehmen regelmäßig einige Wochen, teilweise Monate, Zeit in Anspruch und sollten möglichst effizient vorbereitet werden. Bei der Verhandlung und dem Abschluss von Betriebsvereinbarungen können die Betriebsparteien unterschiedliche Ansätze wählen. Denkbar ist es, Betriebsvereinbarungen für jedes einzelne KI-System zu schließen. Betriebsvereinbarungen können aber auch für bestimmte Geschäftsvorgänge und Verarbeitungszwecke (z.B. KI-Einsatz im Personalbereich) geschlossen werden und den Umgang mit allen in diesem Bereich eingesetzten KI-Systemen regeln. In der Praxis finden sich häufig Rahmenbetriebsvereinbarungen, die generelle Regelungen zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle durch technische Einrichtungen vorsehen und sodann durch Einzelbetriebsvereinbarungen für die konkret angewendeten Software-/KI-System ergänzt werden. Solche Rahmenbetriebsvereinbarungen können den Vorteil haben, dass Betriebsräte neuen Software-/KI-Systemen weniger ablehnend und skeptisch gegenüberstehen, da im Betrieb bereits „Leitplanken“ für deren künftige Anwendung gelten. Aus Sicht des Arbeitgebers besteht allerdings das Risiko, dass dieser sich in einer Rahmenbetriebsvereinbarung auf bestimmte Nutzungsmöglichkeiten beschränkt und die eigenen Handlungsmöglichkeiten damit einengt. Zugleich führt eine solche Rahmenbetriebsvereinbarung für sich genommen noch nicht zur Erledigung des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG.

Rn948

2.2. Betriebsänderung im Zuge der Einführung von KI-Systemen

Weitere Mitbestimmungsrechte ergeben sich bei Vorliegen einer Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG.9 In Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 zur Wahl eines Betriebsrats berechtigten Arbeitnehmern hat der Arbeitgeber den Betriebsrat rechtzeitig über geplante Betriebsänderungen, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können, zu unterrichten und die geplanten Betriebsänderungen mit diesem zu beraten. Der Arbeitgeber hat das Interessenausgleichs- und Sozialplanverfahren (§ 112 BetrVG) durchzuführen. Regelbeispiele einer Betriebsänderung sind in § 111 Satz 3 Nr. 1-5 BetrVG genannt. Für den Einsatz von KI dürften insbesondere § 111 Satz 3 Nr. 1, 4 und 5 BetrVG relevant sein.

Rn949

2.2.1. Einschränkung und Stilllegung von Betrieben oder wesentlichen Betriebsteilen (Satz 3 Nr. 1)

Sofern infolge des Einsatzes von KI Arbeitsplätze abgebaut werden sollen, kann eine Betriebsänderung im Sinne von § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG vorliegen. Regelmäßig erfolgt die unternehmerische Entscheidung zum Abbau von Arbeitsplätzen aber zeitlich nach der Entscheidung, KI im Arbeitsalltag einzubeziehen. Dies gilt insbesondere, da entsprechende Softwarelösungen zunächst in der Praxis getestet und angelernt werden müssen. So wäre es zwar denkbar, dass für bestimmte arbeitstechnische Zwecke (z.B. Marketing, Versand oder Kundenkontakt) in Zukunft eine KI eingesetzt werden soll, sodass Arbeitnehmer perspektivisch mit anderen Aufgaben betraut oder Arbeitsplätze abgebaut werden. Jedoch dürfte es sich häufig um voneinander zu trennende unternehmerische Entscheidungen handeln. Anknüpfungspunkt für die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG ist hingegen nur die unternehmerische Entscheidung, aus der sich die Einschränkung wesentlicher Betriebsteile, im Ergebnis also der Wegfall von Arbeitsplätzen ergibt.10 Demnach kann zwar die unternehmerische Entscheidung zum Personalabbau unter § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG fallen, nicht jedoch eine vorgelagerte Entscheidung zugunsten eines KI-Einsatzes.11 Dies gilt jedenfalls dann, wenn trennscharf zwischen den Entscheidungen unterschieden werden kann.

Rn950

2.2.2. Änderung der Betriebsanlagen oder Einführung neuer Arbeitsmethoden (Satz 3 Nr. 4, 5)

Ferner kann eine Betriebsänderung bei grundlegenden Änderungen der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen (§ 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG) oder bei der Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren (§ 111 Satz 3 Nr. 5 BetrVG) vorliegen.

Rn951

Die Betriebsorganisation i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 4 Var. 1 BetrVG ist betroffen, wenn der Arbeitgeber die Entscheidungsbefugnisse und -struktur umgestaltet, indem er KI das arbeitgeberseitige Direktionsrecht ausüben lässt und somit in die Weisungsstruktur „einbaut“.12 Oftmals dürften zudem mit der Einführung von KI-Systemen Betriebsanlagen i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 4 Var. 3 BetrVG geändert werden, weil die meisten technischen Hilfsmittel und damit auch KI-Systeme als Betriebsanlagen zählen.

Rn952

Arbeitsmethode i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 5 BetrVG meint nach der Rechtsprechung die „jeweilige Art, eine Arbeit systematisch abzuwickeln“13. Ob und wie technische Hilfsmittel für die Erbringung der Arbeit genutzt werden, ist demnach eine Frage der Arbeitsmethode.14 Wenn KI-Anwendungen in den Arbeitsalltag Einzug halten, erscheint eine Betriebsänderung damit auch nach § 111 Satz 3 Nr. 5 BetrVG zwar von vornherein nicht ausgeschlossen. Entscheidend ist allerdings jeweils, ob die mit der Etablierung von KI einhergehende Änderung grundlegender Natur ist. Das BAG geht für die Definition einer grundlegenden Änderung der Betriebsorganisation von folgendem Maßstab aus: „Grundlegend ist die Änderung, wenn sie sich auf den Betriebsablauf in erheblicher Weise auswirkt. Maßgeblich dafür ist der Grad der Veränderung. Es kommt entscheidend darauf an, ob die Änderung einschneidende Auswirkungen auf den Betriebsablauf, die Arbeitsweise oder die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer hat. Die Änderung muss in ihrer Gesamtschau von erheblicher Bedeutung für den gesamten Betriebsablauf sein.“15 Derselbe Maßstab gilt für die Frage, ob eine grundlegend neue Arbeitsmethode im Sinne von § 111 Satz 3 Nr. 5 BetrVG eingeführt wird.

Rn953

Angesichts dieser eher restriktiven Betrachtung kann nicht davon ausgegangen werden, dass jedem KI-Tool eine betriebsändernde Bedeutung zukommt. Insbesondere wenn – wie in der Praxis üblich – zuvor schon Softwarelösungen zur Bewältigung bestimmter Aufgaben im Betrieb zum Einsatz kamen und der von der Rechtsprechung für maßgeblich erklärte „Grad der Veränderung“ tendenziell gering ist, wenn die Softwarelösung also lediglich durch eine KI-Komponente ergänzt wird, liegt eine grundlegende Änderung fern. Es ist vielmehr erforderlich, dass der KI-Einsatz zu einem technologischen „Sprung“ führt, während laufende Verbesserungen und Erweiterungen bestehender IT-Anwendungen nicht ausreichen.16

Rn954

Wenn der Arbeitgeber der Belegschaft zur Arbeitserleichterung KI-Systeme wie ChatGPT zur Verfügung stellt, dürfte es an einer grundlegenden Änderung bzw. Neuerung fehlen, weil den sozialen Interessen der Belegschaft kein Schaden droht.17 Wenn der Arbeitgeber hingegen KI-Systeme einsetzen möchte, die Führungsaufgaben (Überwachung, Weisungserteilung, usw.) übernehmen sollen, liegt ein drohender Nachteil für Belegschaftsbelange näher.18 Auch in diesem Fall werden KI-Systeme aber meist nur als Instrumente der Entscheidungsunterstützung erprobt, sodass die für die Arbeitnehmer spürbaren Folgen überschaubar sein dürften. Ob ein Vorgesetzter z.B. einen Schichtplan analog von Hand, mithilfe eines herkömmlichen Computerprogramms oder mittels einer KI-Anwendung erstellt, macht für den Arbeitnehmer nicht zwangsläufig einen Unterschied.19

Rn955

Lässt sich im Einzelfall nicht eindeutig beurteilen, ob nach diesem qualitativen Maßstab von einer grundlegenden Änderung auszugehen ist, greift das BAG hilfsweise auf eine quantitative Betrachtung zurück.20 Danach wird eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation indiziert durch die Zahl der von ihr betroffenen Arbeitnehmer. In Zweifelsfällen schlägt also „die Quantität in Qualität um“21. Ob eine relevante Zahl an Arbeitnehmern von der Änderung betroffen ist, richtet sich nach den Schwellenwerten aus § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG, wobei mindestens fünf Prozent der Belegschaft betroffen sein müssen.22

Rn956

2.3. Der Einzug des Begriffs „KI“ ins BetrVG

Seit dem Inkrafttreten des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes im Jahr 2021 findet sich der Begriff „Künstliche Intelligenz“ an drei Stellen im BetrVG wieder, konkret in den §§ 80 Abs. 3 Satz 2, 90 Abs. 1 Nr. 3 und 95 Abs. 2 BetrVG. Die Änderungen des Gesetzes hatten allerdings eher einen klarstellenden Charakter. Eine KI-Definition liefern Gesetz und Gesetzesbegründung dessen ungeachtet gleichwohl nicht,23 sodass es der Praxis überlassen ist, den Begriff näher zu definieren. Einen weiten Definitionsansatz enthält der aktuelle Entwurf für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für Künstliche Intelligenz (KI-Verordnung)24, der sowohl deterministische als auch nicht-deterministische Systeme erfasst. Nach der Kritik einiger Mitgliedsländer ist derzeit aber nicht absehbar, wann und in welcher Fassung die KI-Verordnung in Kraft treten wird.

Rn957

2.3.1. Hinzuziehung eines KI-Sachverständigen nach § 80 Abs. 3 BetrVG

Bereits nach § 80 Abs. 3 BetrVG a.F. konnte der Betriebsrat bei der Durchführung seiner Aufgaben Sachverständige hinzuziehen, soweit dies zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich war. Infolge der Gesetzesnovelle wird nunmehr fingiert, dass die Hinzuziehung eines Sachverständigen dann erforderlich ist, wenn der Betriebsrat die Einführung oder Anwendung von KI zu beurteilen hat, § 80 Abs. 3 Satz 2 BetrVG. Damit hat der Gesetzgeber dem Betriebsrat die Hinzuziehung eines Sachverständigen in KI-Fragen erleichtert, weil der Arbeitgeber nicht mehr entgegnen kann, dass ein Sachverständiger nicht erforderlich wäre.25 Hingewiesen sei darauf, dass der Betriebsrat gleichwohl nicht eigenständig einen Sachverständigen seiner Wahl hinzuziehen darf. Arbeitgeber und Betriebsrat müssen zunächst eine Einigung über die Person des Sachverständigen sowie über Inhalt, Kosten und Zeitrahmen seiner Tätigkeit erzielen („nach näherer Vereinbarung“). Ferner müssen die Kosten – die der Arbeitgeber nach § 40 Abs. 1 BetrVG zu tragen hat – (weiterhin) verhältnismäßig sein.26

Rn958

2.3.2. Automatisierte Aufstellung von Auswahlrichtlinien nach § 95 Abs. 2a BetrVG

Geringer dürften die Änderungen der materiellen Rechtslage durch die „Einstreuung“ des KI-Begriffs in § 95 Abs. 2a BetrVG sein. Danach hat der Betriebsrat auch bei Auswahlrichtlinien für Einstellungen, Versetzungen, Umgruppierungen und Kündigungen, die auf KI basieren, mitzuentscheiden. Letztlich handelt es sich dabei lediglich um eine Klarstellung, da der Wortlaut von § 95 Abs. 1 BetrVG zuvor nicht darauf abgestellt hat, auf welche Art und Weise eine Auswahlrichtlinie zustande kommt. Auch ohne explizite Erwähnung von KI wären daher durch oder mit Hilfe von KI erstellte Auswahlrichtlinien vom Wortlaut erfasst gewesen. Gleichwohl zeigt sich hier exemplarisch, dass KI-Systeme durch ein gesetzgeberisches Festhalten an analogen Verfahrensregeln „ausgebremst“ werden können: Der Einsatz selbstlernender und sich ständig selbst verbessernder KI-Systeme wird erschwert, wenn jede weitere Aktualisierung der Richtlinie durch die KI erneut mitbestimmungspflichtig wäre. Wenn etwa eine von einer KI entworfene und vom Betriebsrat begrüßte Einstellungsrichtlinie von der KI fortlaufend überprüft und ggf. anhand von Arbeitsmarktdaten, Bewerberzahl, usw. automatisch angepasst werden soll, wäre jede Aktualisierung „in Echtzeit“ zustimmungspflichtig. Darf das KI-System aber nicht von selbst flexibel reagieren, geht ein wesentlicher Vorteil des KI-Einsatzes verloren. Eine Lösung könnte in der Einführung einer Bagatellschwelle liegen, unterhalb derer die KI selbstständig geringfügige Änderungen an der Auswahlrichtlinie vornehmen darf.27

Rn959

2.3.3. Unterrichtung und Beratungsrecht nach § 90 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG

Nach § 90 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG hat der Arbeitgeber den Betriebsrat abschließend bei der Planung von Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufen „einschließlich des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz“ zu unterrichten. Ferner muss sich der Arbeitgeber über die vorgesehenen Maßnahmen mit dem Betriebsrat beraten, § 90 Abs. 2 BetrVG. Schon nach der alten Gesetzesfassung umfasste die Norm Planungen zu allen Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufen. Dadurch waren auch Pläne zum KI-Einsatz vom Wortlaut bereits erfasst. Auch diese im Wege des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes aufgenommene Ergänzung hat mithin eher klarstellenden Charakter.28

Rn960

2.3.4. Zwischenergebnis

Die Novelle des BetrVG aus dem Jahr 2021 und die damit verbundene Einführung des KI-Begriffs unterstützt die Einführung von KI-Systemen nur am Rande. Richtig ist, dass die erleichterte Hinzuziehung eines Sachverständigen beim Betriebsrat Hemmnisse abbauen kann, da somit für das notwendige Fachwissen gesorgt ist. Allerdings dürfte die Einbindung eines Sachverständigen, jedenfalls bei komplexen Sachverhalten, bei denen der Betriebsrat nicht ausnahmsweise selbst über die notwendige Fachkompetenz verfügt, auch ohne die Gesetzesänderung möglich gewesen sein. Die weiteren Änderungen geben dem BetrVG nur vordergründig einen „modernen Anstrich“, indem sie den Begriff KI in den Gesetzestext aufnehmen. Letztlich bestätigen sie aber nur die sowieso geltende Gesetzeslage.

Rn961

3. Fazit

In Anbetracht des dem Betriebsrat regelmäßig zukommenden Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist es Arbeitgebern zu empfehlen, frühzeitig in den Dialog mit dem Betriebsrat einzutreten. Belange und etwaige Ängste der Belegschaft sollten im Vorfeld adressiert werden. Auch sollte frühzeitig die Frage thematisiert werden, inwieweit das angedachte KI-System Arbeitnehmerdaten nutzen wird.29 Mit vertrauensbildenden Maßnahmen können Vorbehalte der Arbeitnehmervertretung gezielt abgebaut werden. Wenn KI-Anwendungen von Drittanbietern eingekauft werden sollen, könnte z.B. ein Vertreter des Betriebsrats auf Einladung des Arbeitgebers bei der Produktpräsentation durch den Entwickler anwesend sein.30

Rn962

1 Vgl. jüngst etwa Burn-Murdoch, Here’s what we know about generative AI’s impact on white-collar work, Financial Times, 10.11.2023, online abrufbar unter: ft.com/content/b2928076-5c52-43e9-8872-08fda2aa2fcf, zuletzt abgerufen am 29.11.2023.

2 Gemeint sind Menschen jeder Geschlechtsidentität. Nur zum Zwecke leichterer Lesbarkeit wird im Folgenden nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

3 Gesetz zur Förderung der Betriebsratswahlen und der Betriebsratsarbeit in einer digitalen Arbeitswelt (Betriebsrätemodernisierungsgesetz), BGBl. 2021 I, S. 1762.

4 BAG, Beschluss vom 22.7.2008 – 1 ABR 40/07, NZA 2008, 1248 Rn. 78; ErfK/Kania, 23. Aufl. 2023, BetrVG § 87 Rn. 48; Richardi BetrVG/Maschmann, 17. Aufl. 2022, BetrVG § 87 Rn. 492.

5 BeckOK ArbR/Werner, 69. Ed., BetrVG § 87 Rn. 91.

6 Vgl. Knitter, Digitale Weisungen, 1. Aufl. 2022, S. 99 (Das BAG habe dem Mitbestimmungstatbestand „einen nahezu unbegrenzten Anwendungsbereich verliehen“); vgl. auch Haußmann/Thieme, NZA 2019, 1612, 1613; Janko/Krüger/Byrne, LRZ 2023, Rn. 735, 742, online abrufbar unter: lrz.legal/2023Rn735.

7 So Witteler/Moll, NZA 2023, 327, 332.

8 Arnold/Günther ArbR 4.0-Hdb/Arnold/Winzer, 2. Aufl. 2022, § 3 Rn. 269; Raif/Swidersky, GWR 2017, 351, 352; Stück, ArbRAktuell 2020, 153, 156.

9 Janko/Krüger/Byrne, LRZ 2023, Rn. 735, 748, online abrufbar unter: lrz.legal/2023Rn735;

Witteler/Moll, NZA 2023, 327, 332; allgemeiner dazu Röder/Gebert, NZA 2017, 1289, 1291.

10 BAG, Beschluss vom 28.3.2006 – 1 ABR 5/05, NZA 2006, 932 Rn. 18.

11 Schöberle/Zimmer, ArbRAktuell 2023, 430, 431.

12 Knitter, Digitale Weisungen, 1. Aufl. 2022, S. 93.

13 BAG, Beschluss vom 22.3.2016 – 1 ABR 12/14, NZA 2016, 894 Rn. 19.

14 Richardi BetrVG/Annuß, 17. Aufl. 2022, BetrVG § 111 Rn. 120.

15 BAG, Beschluss vom 18.3.2008 – 1 ABR 77/06, NZA 2008, 957 Rn. 22.

16 Vgl. Blum, People Analytics, 1. Aufl. 2021, S. 198; Röder/Gebert, NZA 2017, 1289, 1291, a.A. DKW/Däubler, 18. Aufl. 2022, BetrVG § 111 Rn. 107, demzufolge auch der Übergang auf eine neue Softwareversion als „Perfektionierung“ bestehender Techniken erfasst sei. Durch dieses sehr weite Verständnis verliert das Tatbestandsmerkmal „grundlegend“ an Kontur. Vgl. auch BAG, Beschluss vom 26.10.1982 – 1 ABR 11/81, AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 10, wonach etwas technisch „wesentl. Andersartiges“ erforderlich ist.

17 Im Ergebnis ebenso für die dialogbasierte KI-Anwendung ChatGPT Witteler, ZD 2023, 377, 381.

18 Grimm/Singraven, Digitalisierung und Arbeitsrecht, 1. Aufl. 2022, § 17 Rn. 17.19.

19 Knitter, Digitale Weisungen, 1. Aufl. 2022, S. 93.

20 BAG, Beschluss vom 26.10.1982 – 1 ABR 11/81, AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 10, vgl. auch MHdB ArbR/Leder, 5. Aufl. 2022, § 345 Rn. 10; NK-ArbR/Spirolke, 2. Aufl. 2023, BetrVG § 111 Rn. 20.

21 GK-BetrVG/Oetker, 12. Aufl. 2022, BetrVG § 111 Rn. 187.

22 LAG Düsseldorf, Beschluss vom 20.4.2016 – 4 TaBV 70/15, BeckRS 2016, 71599 Rn. 28; BeckOK ArbR/Besgen, 69. Ed., BetrVG § 111 Rn. 27.

23 Kritisch deshalb Herberger, ZFA 2023, 367, 383, die sogar einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Normenklarheit attestiert.

24 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für Künstliche Intelligenz (Gesetz über Künstliche Intelligenz) und zur Änderung bestimmter Rechtsakte der Union, COM(2021) 206 final, online abrufbar unter: eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A52021PC0206, zuletzt abgerufen am 29.11.2023.

25 Herberger, ZFA 2023, 367, 371; Reinartz, NZA-RR 2021, 457, 467.

26 Richardi BetrVG/Thüsing, 17. Aufl. 2022, BetrVG § 80 Rn. 105; NK-ArbR/Waskow, 2. Aufl. 2023, BetrVG § 80 Rn. 38 ff.

27 Ähnlich Möllenkamp, DB 2021, 1198, 1201, demzufolge es „unpraktikabel“ sei, wenn man unter dem Begriff Aufstellung auch die weiteren (lernenden) Aktualisierungen der Richtlinie nach erstmaliger Aufstellung verstünde.

28 BeckOK ArbR/Werner, 69. Ed., BetrVG § 90 Rn. 5; Reinartz, NZA-RR 2021, 457, 468.

29 Janko/Krüger/Adam, BB 2023, 2100, 2102.

30 Knitter, Digitale Weisungen, 1. Aufl. 2022, S. 103.

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