Sprache auswählen
Zitiervorschlag: Kluth, LRZ 2022, Rn. 81, [●], www.lrz.legal/2022Rn81.
Permanente Kurz-URL: LRZ.legal/2022Rn81
Digitale Instrumente führen im Bereich der Rechtsdienstleistungen zu Grenzverschiebungen und eröffnen sowohl für gewerbliche als auch freiberufliche Anbieter von Rechtsdienstleistungen neue Chancen und Herausforderungen. Der Gesetzgeber ist aufgefordert diese Entwicklung aus dem Blickwinkel des Verbraucherschutzes, des fairen Wettbewerbs und des Zugangs zum Recht zu beobachten und ggf. korrigierend einzugreifen.
Der Bundesgerichtshof hat in den letzten Jahren Bausteine für die Einordnung digitaler Rechtsdienstleistungsinstrumente entwickelt, aus denen sich wichtige Orientierungen ableiten lassen, auf die der Gesetzgeber teilweise bereits reagiert hat. Der Beitrag leitet aus der bisherigen Entwicklung der Rechtsprechung zentrale Beurteilungskriterien ab und gibt einen Ausblick zu anstehenden Entwicklungen und Herausforderungen im Rechtsdienstleistungsrecht. Dabei wird auch auf die Rolle des Staates bei der Ermöglichung eines digitalen Zugangs zum Recht eingegangen.
Digitale Instrumente können im Bereich von Dienstleistungen1 im Allgemeinen2 und von Rechtsdienstleistungen3 im Besonderen4 auf drei Ebenen Einfluss auf die Erbringung der Dienstleistungen zeitigen: Erstens auf der rein instrumentellen oder Support-Ebene, in dem einzelne technische Abläufe wie Textdiktat, Rechtschreibkontrolle, Dokumentenrecherche usw. digital durchgeführt werden. Zweitens auf der Ebene der formalen inhaltlichen Gestaltung, indem mit Hilfe von Textbausteinen und Fachdatenbanken Schriftsätze und Rechtstexte (Verträge und vergleichbare Rechtsdokumente) erstellt werden. Drittens auf der Ebene einer materiellen inhaltlichen Gestaltung durch Programme, die auf der Grundlage eines konkreten Sachverhalts eigenständig eine vorläufige rechtliche Einordnung vornehmen und dazu das vorliegende5 „Material“ in Rechtsprechung und Literatur bereitstellen.6 In allen Fällen bleibt es bei der Letztverantwortung der natürlichen oder juristischen Person, die die Rechtsdienstleistung erbringt.7 Fehler bei der Verwendung der digitalen Instrumente werden ihr zugerechnet.
Der BGH hat durch seine Rechtsprechung in den letzten Jahren für die aktuelle Praxis wichtige Klärungen herbeigeführt,8 auf die der Bundesgesetzgeber seinerseits kurzfristig durch Anpassungen im Rechtsdienstleistungsgesetz und im anwaltlichen Berufsrecht9 reagiert hat.10 Vor dem Hintergrund der sehr dynamischen technischen Entwicklung, die eine ebenso starke Dynamik bei der Entwicklung neuer Rechtsdienstleistungsangebote mit sich bringen wird, ist die Rechtsprechung aber vorsichtig und betont den Charakter der Einzelfallentscheidung.
Neben der durch die technische Entwicklung begründeten Dynamik knüpft der BGH in seiner Rechtsprechung zudem ausdrücklich an das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel der Liberalisierung des Rechtsdienstleistungsmarktes an, das auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung vor der Reform11 betont hat. Das hat zur Folge, dass der Begriff der Rechtsdienstleistung in Gestalt der Inkassodienstleistung gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG unter Berücksichtigung der vom Gesetzgeber mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz verfolgten Zielsetzung einer grundlegenden, an den Gesichtspunkten der Deregulierung und Liberalisierung ausgerichteten, die Entwicklung neuer Berufsbilder erlaubenden Neugestaltung des Rechts der außergerichtlichen Rechtsdienstleistungen nicht in einem zu engen Sinne zu verstehen ist.
Als Korrelat zur Öffnung auf der grundsätzlichen Ebene betont der BGH, dass sich die Abgrenzung der zulässigen Inkassoleistungen von der den Rechtsanwälten vorbehaltenen Rechtsberatung nicht mit Hilfe von allgemeingültigen Maßstäben durchführen lässt. Erforderlich sei vielmehr „stets eine am Schutzzweck des Rechtsdienstleistungsgesetzes orientierte Würdigung der Umstände des Einzelfalls einschließlich einer Auslegung der hinsichtlich der Forderungseinziehung getroffenen Vereinbarungen.“ Dabei sei neben den Wertentscheidungen des Grundgesetzes in Gestalt der Grundrechte der Beteiligten und des Grundsatzes des Vertrauensschutzes „den Veränderungen der Lebenswirklichkeit Rechnung zu tragen“.12
Diese Veränderungen werden unter anderem durch die digitale Kommunikation zwischen Rechtsdienstleistern und Verbrauchern verursacht, die vor allem bei gleichartigen Forderungen mit geringen Streitwerten eine spürbare Zunahme der Geltendmachung der Forderungen bewirkt hat.13 Das ist einer der Gründe, der aus verfassungsrechtlicher Perspektive für die Liberalisierung spricht.14 Die Inkassounternehmen nutzten diese Möglichkeiten auch dadurch, dass sie durch die Übernahme von Verfahrenskosten und die Vereinbarung von erfolgsabhängigen Vergütungen auf zwei Gestaltungsoptionen zurückgriffen, die den Rechtsanwälten zum damaligen Zeitpunkt berufsrechtlich untersagt waren.
Der BGH machte aber auch deutlich, dass die Zulässigkeit nach aktueller Rechtslage auf die Forderungseinziehung beschränkt ist. Von einer Nichtigkeit nach § 134 BGB müsse deshalb insbesondere dann regelmäßig ausgegangen werden, wenn der registrierte Inkassodienstleister Tätigkeiten vornehme, die von vornherein nicht auf eine Forderungseinziehung im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG, sondern etwa auf die Abwehr von Ansprüchen gerichtet sind oder eine über den erforderlichen Zusammenhang mit der Forderungseinziehung hinausgehende Rechtsberatung zum Gegenstand haben oder wenn das „Geschäftsmodell“ des Inkassodienstleisters zu einer Kollision mit den Interessen seines Auftraggebers führt.15
Um das „level playing field“ der Inkassounternehmer und der Rechtsanwälte in diesem Bereich anzugleichen16, hat der Bundesgesetzgeber einerseits die Anwaltschaft bei Rechtsberatungen bis zu einem Gegenstandwert bis zu 2000 € durch § 4a Abs. 1 RVG n.F. von dem Verbot der Vereinbarung eines Erfolgshonorars befreit.17 Gleichzeitig wurden in §§ 13a ff. RDG zusätzliche Regelungen zur Verbesserung des Verbraucherschutzes eingefügt. In Bezug auf Verbraucher, die die Dienste eines Inkassodienstleisters in Anspruch nehmen wollen, werden vor allem durch § 13b RDG konkrete Darlegungs- und Informationspflichten begründet.18 Die praktische Bedeutung dieser Informationspflichten dürfte aber eher gering sein.
In Bezug auf den Rechtsdienstleistungsmarkt dürfte die beschriebene Entwicklung eine vergleichsweise geringe Relevanz besitzen. Die großen Sammelklagen werden durch (große) Rechtsanwaltsgesellschaften in Zusammenarbeit mit Prozessfinanzierungsspezialisten betrieben19, die zwar auch über Internetprotale um Mandanten werben und digitale Hilfsinstrumente nutzen, aber im Kern der Dienstleistung mit anspruchsvollem rechtlichem Wissen von natürlichen Personen aktiv werden.
Von diesen Rechtsdienstleistungen zu unterscheiden sind erstens digitale Angebote, die dem Rechtssuchenden (Verbraucher) eine erste Orientierung etwa über Erfolgsaussichten und Kosten über ein Internetportal ermöglichen, ohne dass damit eine verbindliche Rechtsauskunft verbunden ist, wobei die Ab- und Eingrenzung im Einzelfall oft nicht einfach ist.20
Ebenfalls gesondert einzuordnen sind Angebote, die in ähnlicher Art und Weise wie die etablierten Formularhandbücher vorformulierte Textbausteine, Formulierungen und tabellarische Strukturen bereitstellen, mit deren Hilfe Vertragsentwürfe oder Schriftsätze erstellt werden können (Rechtsdokumentgeneratoren).21
Verlage und andere Dienstleister stellen seit einigen Jahren im Internet elektronische Generatoren zur Erstellung von Verträgen und anderen Rechtsdokumenten in verschiedenen Rechtsgebieten bereit.22 Die Angebote können Unternehmen und Verbraucher im Rahmen eines Abonnements oder im Wege des Einzelkaufs nutzen. Hierzu werden dem Kunden z.B. Fragen zum Gegenstand, zum gewünschten Inhalt und zur beabsichtigten Reichweite des Dokuments gestellt, die überwiegend anhand von zur Auswahl gestellten Angaben und teils offen zu beantworten sind.
Zusätzlich zu der jeweiligen Frage wird teilweise eine Erläuterung der verwendeten Rechtsbegriffe oder zur rechtlichen Bedeutung der Frage durch das Programm eingeblendet. Mithilfe einer programmierten Software werden anhand der Antworten des Kunden aus einer Sammlung ihnen zugeordneter Textbausteine bestimmte Vertragsklauseln oder Textpassagen generiert, auf deren Grundlage ein konkreter Vertragsentwurf erstellt wird. Zudem erteilen die Programme teilweise Hinweise und Empfehlungen zur richtigen und sicheren Verwendung des Dokuments.
Auch für die Erstellung von Datenschutzerklärungen werden entsprechende Angebote bereitgestellt.23
Bis zu der Entscheidung des BGH24 wurde in Literatur und Rechtsprechung mehrheitlich die Ansicht vertreten, dass es sich bei einem solchen Angebot bereits nicht um eine Rechtsdienstleistung i.S.d. RDG handelt, weil es bereits an einer entsprechenden Tätigkeit fehle.25
Wörtlich heißt es in der vorausgehenden Entscheidung des OLG Köln:
„Die Software als solche ist nämlich keine „Tätigkeit“ eines Dienstleisters. Tätigkeit der Bekl. als Adressatin des RDG ist das Entwickeln und Bereitstellen der Software. Diese Tätigkeit erfolgt jedoch weder in einer „konkreten“ fremden Angelegenheit noch bedarf sie einer „rechtlichen Prüfung des Einzelfalls“; die in das Programm eingeflossene juristische Wertung betrifft vielmehr eine Vielzahl denkbarer Fälle. Die nachfolgende Inanspruchnahme des Angebots durch die Nutzer – Verbraucher und Unternehmen – ist zwar Tätigkeit in einem konkreten Einzelfall, aber nicht in „fremder“ Angelegenheit. Um die Tätigkeit der Nutzer in eigener Sache als eine Tätigkeit der Bekl. in konkreter fremder Angelegenheit bewerten zu können, bedarf es einer Zurechnungs-Konstruktion, die nur dann in Betracht käme, wenn – wie nicht – Sinn und Zweck des RDG eine solche Zurechnung erforderten. Und selbst dann, wenn die Benutzung des Programms in eigener Sache der Anwender der Bekl. als Tätigkeit in einer konkreten fremden Angelegenheit zugerechnet werden könnte, erfordert die Tätigkeit jedenfalls keine „rechtliche Prüfung des Einzelfalls“.26
Das OLG Köln hatte seine Argumentation stark an die Entscheidung des BGH zum Mietrechner des Portals „wenigermiete.de“ angelehnt27, zugleich aber am Ende gewissermaßen zur Absicherung des Ergebnisses ergänzend geprüft, ob aus dem Blickwinkel der Zielsetzungen des Rechtsdienstleistungsgesetzes von dem Angebot für den Nutzer eine Gefahr ausgehe, die es abzuwehren gelte, und dies ebenfalls verneint.28 Damit wird auf das zentrale Sachargument hingewiesen, das die Leitlinie für die Beurteilung weiterer Fallkonstellationen vermittelt.
Dass der BGH die Entscheidung des OLG Köln zwar im Ergebnis bestätigt, in der Begründung aber einen anderen Weg wählt, erscheint auf den ersten Blick als rechtstechnische Formalie. Der erhebliche Begründungsaufwand gibt aber Anlass, die inhaltliche Reichweite des abweichenden Begründungsansatzes genauer zu untersuchen und zugleich zu fragen, ob damit auch weitergehende Folgen für andere digitale Rechtsdokumentengeneratoren verbunden sind.
Zunächst fällt auf, dass der BGH die Zielsetzungen des Gesetzgebers präziser herausarbeitet (Rn. 25) und dabei deutlich macht, dass es für den Gesetzgeber unerheblich war, mit welchen technischen Mitteln Rechtsdienstleistungen erbracht werden. Der Kontrollzweck des RDG wird nach Ansicht des BGH besser verwirklicht, wenn der Begriff der „Tätigkeit“ weit verstanden und erst auf der weiteren Ebene der Tätigkeit „in konkreten fremden Angelegenheiten“ die entscheidende Abgrenzung vorgenommen wird (Rn. 26 ff.). Das hat den Vorteil, dass bei der Ausgestaltung der Handlungsabläufe verschiedene Konstruktionen erfasst werden können und die an der Qualitätssicherung orientierten Wertungen des RDG erst auf der Ebene der konkreten fremden Angelegenheit wirksam werden.
Die damit verbundene Verweisung auf die Würdigung des Einzelfalls hat zwar zur Folge, dass sowohl Anbieter als auch die Standesorganisationen bei der Entwicklung und Einführung neuer Techniken und darauf basierender Dienstleistungsangebote mit einer gewissen Unsicherheit leben müssen. Die in der Literatur vorgeschlagene Alternative der Einführung einer allgemeinen Zertifizierungspflicht29 für digitale Rechtsdienstleistungsprodukte hätte im Zweifel einen „höheren Preis“, dafür aber den Vorteil, dass eine verwenderunabhängige Qualitätssicherung erreicht werden könnte.30 Derzeit erscheint es sinnvoll, die weitere Entwicklung sowohl der Produkte als auch der Verbrauchergewohnheiten zu beobachten und so den Regulierungsbedarf genauer einschätzen zu können. Durch die auch wettbewerbsrechtlich fundierte Wachsamkeit der Berufsorganisationen vor allem der Rechtsanwaltschaft ist davon auszugehen, dass es hinreichende Aufmerksamkeit geben und auf etwaige Gefährdungen frühzeitig hingewiesen werden wird.
Der Fall macht deutlich, dass neben der digitalen Dienstleistung auch die Darbietung durch den Anbieter bei der rechtlichen Beurteilung zu berücksichtigen ist. Die Überlagerung durch das Wettbewerbsrecht ist allerdings keine Besonderheit der Legal Tech Produkte, so dass es sich insoweit um eine „normale“ Problematik handelt, die allenfalls durch die in Verbraucherkreisen erweckten hohen Erwartungen an die neuen Instrumente ein besonderes Gewicht erlangt.
Die vor einigen Jahren formulierte These, dass die Digitalisierung und die Wirkmächtigkeit der Algorithmen einen Abschied vom Recht bzw. eine spürbare Minderung seiner Steuerungskraft zur Folge haben werden,31 hat sich in dieser Zuspitzung nicht bewahrheitet. Deutlich zu erkennen sind aber Veränderungen in den Rechtsdienstleistungsmärkten sowie der Arbeitsweise der verschiedenen Rechtsdienstleister einschließlich der Rechtsanwaltschaft.32 Die zuvor beschriebenen Entwicklungen im Kernbereich der Rechtsdienstleistungen stellen aber nur einen Ausschnitt dieser Dynamik dar. Hinzu kommen weitere Entwicklungen, die eine offene Debatte über eine Weiterentwicklung von Rollenzuweisungen und rechtlichen Grenzziehungen verlangen.
Die Segmentierung von Professionen und professionellem Wissen gehört zu den konstitutiven Merkmalen der modernen arbeitsteiligen Gesellschaft und ist ein wichtiger Pfeiler ihrer Leistungsfähigkeit. Die juristischen Professionen haben auf die Erweiterung und Vertiefung der Wissensbestände ebenfalls durch Spezialisierung reagiert, die u.a. in den Fachanwaltschaften zum Ausdruck kommen.
Die Beschäftigung mit dem jeweiligen Fachrecht ist mit einer begrenzten Vermittlung von nichtjuristischem Fachwissen verbunden, so wie sich auch Richter im Rahmen ihrer Zuständigkeiten mit den jeweiligen Lebenswirklichkeiten vertraut machen (müssen33). Dieses begrenzte Fachwissen reicht in immer mehr Bereichen der Rechtsgestaltung und Rechtsberatung aber nicht mehr aus, um den professionellen Ansprüchen des Marktes und vor allem von Unternehmen gerecht zu werden, weshalb der interprofessionellen Kooperation auch jenseits der schon länger etablierten Rechts- und Wirtschaftsberatung eine wachsende Bedeutung zukommt. Berufsrechtlich musste dieser Weg erst durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geöffnet werden.34
Neben vereinzelt anzutreffenden Fällen einer doppelten fachlichen Qualifikation in der Anwaltschaft und dem Sonderfall der Patentanwälte, bei denen die Hauptqualifikation als Ingenieur durch eine juristische Zusatzausbildung ergänzt wird,35 stellt sich zunehmend auch die Frage, ob durch eine weniger umfangreiche Zusatzqualifikation und den Einsatz digitaler Instrumente bei standardisierten rechtlichen Abläufen die Grundlage für eine moderate Erweiterung von Rechtsdienstleistungsbefugnissen bestimmter Berufe angestrebt werden kann.
Eine Reihe von Beispielen aus der Rechtsprechung des BGH macht deutlich, dass es ein entsprechendes Bedürfnis gibt. Der BGH nimmt in der Begründung seiner Smartlaw-Entscheidung mehrfach auf die Rechtsprechung zu Rechtsdienstleistungen durch andere Freie Berufe (Architekten36, Ingenieure37) und Fachkräfte (Lebensmittelchemiker38, Versicherungsmakler39) Bezug. Auf der Grundlage des derzeit geltenden Rechts wurde dabei jeweils davon ausgegangen, dass die konkret wahrgenommenen Tätigkeiten als Rechtsdienstleistung in fremden (wirtschaftlichen) Angelegenheiten zu qualifizieren und nicht vom Hauptberuf als Nebenleistung mit umfasst sind.
Aus dem Blickwinkel des professionellen Schwerpunkts der jeweiligen Betätigungen stellt sich indes rechtspolitisch die Frage, ob es nicht sinnvoll ist, die weitgehend standardisierten rechtlichen Aspekte mit Hilfe digitaler Instrumente und einer darauf bezogenen beruflichen Kompetenz, die durch eine Zusatzausbildung vermittelt sowie einen Sachkundenachweis bestätigt werden kann, den jeweiligen Berufsträgern zu eröffnen.40 Dabei ist auch zu beachten, dass in der Praxis vor allem im Stadium der Antrags- und Widerspruchsverfahren das fachspezifische Wissen für den Erfolg der Rechtsdienstleistung oft wichtiger ist als die rein juristische Expertise.
Einen weiteren rechtspolitisch bedeutsamen Aspekt spricht Kilian in seiner Urteilsanmerkung zum Vertragsgenerator-Urteil des BGH an.41 Er wirft dort die Frage auf, ob Angebote, die als „legal self help“ zu verstehen sind, nicht durch den Staat bereitgestellt werden sollten.
Als Ausgangspunkt für die verfassungsrechtliche Einordnung dieser Fragestellung kann auf den „Zugang zum Recht“ abgestellt werden, der sich nach bisherigem Verständnis auf den Zugang zu fairem gerichtlichem Rechtsschutz42 einschließlich einer Prozesskostenhilfe bezieht.43 Hinzu kommen thematisch begrenzte einfachgesetzliche Beratungs- und Unterstützungspflichten, insbesondere im Bereich des Sozialrechts, wie z.B. in § 14 SGB I.44
Im Interesse einer allgemeinen Erleichterung von behördlichen Genehmigungsverfahren hat der Europäische Gesetzgeber in vielen Bereichen die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, den Informationsaustausch, die Antragstellung und das Genehmigungsverfahren elektronisch auszugestalten.45 Über die Digitalisierung des Verfahrens hinausgehend könnte aber auch der Zugang zum Recht jedenfalls in denjenigen Rechtsgebieten, die für Privatpersonen von besonderer Bedeutung für die persönliche Lebensführung sind, digital in der Weise ausgestaltet werden, dass neben dem Zugang zu den gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen, der in Umsetzung des Transparenzgrundsatzes bereits weitgehend gewährleistet ist, grundlegende Orientierungen in Bezug auf den eigenen Fall digital bereitgestellt werden. Dies ist etwa in Bereich der Anerkennung von Berufsqualifikationen bereits der Fall46 und erleichtert vor Inanspruchnahme einer Beratung eine erste Lageeinschätzung.
Ähnlich wie bei der rechtlichen Beratung von Flüchtlingen durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach § 12a AsyLG stellt sich auch hier das Problem der Wahrung von Neutralität47 sowie der Auswirkungen auf die Märkte von Rechtsdienstleistern. Durch die Zuständigkeit einer weisungsfrei gestellten ausführenden Stelle könnte die Neutralität abgesichert werden und die überschaubaren Auswirkungen auf den Umsatz von Rechtsdienstleistern sind durch den verfolgten öffentlichen Zweck mehr als gerechtfertigt. Die entscheidende Hürde dürfte deshalb in der Bereitstellung der finanziellen Mittel für entsprechende Angebote und deren Pflege liegen.
Die Digitalisierung stellt die im Bereich der Rechtsdienstleistungen tätigen Professionen nicht als solche in Frage, erweitert und verändert aber an vielen Stellen die Handlungsmöglichkeiten und verlangt Anpassungen des Berufsrechts und der Marktordnungen. Wichtig ist dabei vor allem, dass die Interessen der Rechtssuchenden (also der Zugang zum Recht) und die Qualität der Leistungen im Vordergrund stehen. Für den Gesetzgeber bedeutet es auch, dass er in der Pflicht steht, die dynamische Entwicklung genau zu beobachten und angemessen vor allem dann zu reagieren, wenn sich der wettbewerbliche Rahmen spürbar verändert oder die Interessen der Verbraucher gefährdet werden.