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Die neuen Vorgaben der Europäischen Entgelttransparenz-Richtlinie (RL (EU) 2023/970) bringen erheblichen Anpassungsbedarf für Arbeitgeber mit sich. Der Beitrag bietet einen umfassenden Überblick über die Anforderungen an ein geschlechtsneutrales und transparentes Vergütungssystem, die neuen Information- und Berichtspflichten und die vorgesehenen Sanktionen bei Verstößen. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Maßnahmen gelegt, die Arbeitgeber bereits jetzt umsetzen sollten.

1. Einführung

Die Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen ist als Grundprinzip seit Jahrzehnten in europäischen Verträgen und im nationalen Recht verankert. Das Allgemeine Gleichbehand­lungsgesetz („AGG“) gilt beispielsweise seit dem Jahr 2006, das Entgelttransparenzgesetz („EntgTranspG“) seit 2017. Dennoch bleibt noch immer eine Lohnlücke zwischen den Geschlechtern bestehen. So liegt der unbereinigte Gender Pay Gap in Deutschland laut Statistischem Bundesamt seit vier Jahren infolge unverändert bei 18 %. Auch nach dem bereinigten Gender Pay Gap verdienten Frauen mit vergleichbaren Qualifikationen, Tätigkeiten und Erwerbsbiografien wie Männer im Jahr 2023 im Schnitt 6 % weniger pro Stunde.1 Zudem bestehen auch in anderen EU-Mitgliedstaaten weiterhin erhebliche geschlechterspezifische Verdienstabstände.

Rn988

Darauf reagierte der europäische Gesetzgeber nun mit einer erheblichen Verschärfung der rechtlichen Vorgaben. Die Richtlinie zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch Entgelttransparenz und Durchsetzungsmechanismen - RL (EU) 2023/970 (EntgTransp-RL) ist am 6. Juni 2023 in Kraft getreten und muss bis zum 7. Juni 2026 vom deutschen Gesetzgeber umgesetzt werden.2 Erst dann gelten die neuen Regelungen zwar für Arbeitgeber. Bereits jetzt besteht aber Handlungsbedarf. Alle Arbeitgeber sollten ihre Entgeltsysteme umfassend prüfen und bei Bedarf bis zum Inkrafttreten des Gesetzes anpassen. Dies ist nicht von heute auf morgen umsetzbar und erfordert eine sorgfältige Planung und Konzeption, ggf. unter Einbindung des Betriebsrats oder der Tarifparteien.

Rn989

2. Kriterien für gleiche und gleichwertige Arbeit

Ziel der EntgTransp-RL ist es, dass alle Arbeitgeber eine transparentes und geschlechterge­rechtes Vergütungssystem einführen. Als Grundregel dafür sieht Art. 4 Abs. 4 EntgTransp-RL3 vor, dass Entgeltstrukturen so gestaltet sein müssen, dass anhand objektiver, geschlechts­neutraler und mit den gegebenenfalls vorhandenen Arbeitnehmervertretungen ausgehandelter Kriterien beurteilt werden kann, ob sich Beschäftigte im Hinblick auf den Wert ihrer Arbeit in einer vergleichbaren Situation befinden.

Rn990

Die Kriterien müssen objektiv und geschlechtsneutral sein und mindestens Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung und Arbeitsbedingungen umfassen. Gegebenenfalls sollen auch weitere relevante Faktoren für die jeweilige Position berücksichtigt werden. Ausdrücklich dürfen relevante soziale Kompetenzen nicht unterbewertet werden (Art. 4 Abs. 4 S. 5). Dabei sind nicht alle Kriterien für eine bestimmte Position gleichermaßen relevant. Arbeitgeber müssen jedes der vier Mindestkriterien und gegebenenfalls weitere zu berücksichtigende Kriterien nach Maßgabe der Relevanz dieses Kriteriums für den jeweiligen Arbeitsplatz oder die betreffende Position gewichten. 4

Rn991

Auch der Inhalt der Mindestkriterien, etwa „Belastungen“ und „Arbeitsbedingungen“, muss im Rahmen der Auslegung ermittelt werden. Mit „Belastungen“ sind die physischen und psychischen Anforderungen gemeint, die mit einer bestimmten Tätigkeit verbunden sind.5 Für eine hohe Belastung können etwa schwere körperliche Arbeit, langes Stehen, Heben von Las­ten, hohe Konzentrationsanforderungen, komplexe Problemlösungsaufgaben, Bewältigung von Krisensituationen oder emotional belastende Aufgaben sprechen. Unter „Arbeitsbedin­gungen“ sind eher die äußeren Umstände zu verstehen, unter denen eine Arbeit verrichtet wird. Dazu gehören sowohl die physische Arbeitsumgebung als auch die organisatorischen Rahmenbedingungen. Im Rahmen dieses Kriteriums können Faktoren wie Temperatur, Lärmpegel, Beleuchtung, Gefahrenquellen, Einsatzort und auch Schichtarbeit, Nachtarbeit, Überstunden, flexible Arbeitszeiten und Homeoffice-Möglichkeiten berücksichtigt werden.

Rn992

Aufgrund der absehbaren praktischen Umsetzungsschwierigkeiten für Arbeitgeber haben die Mitgliedstaaten „Instrumente oder Methoden zur Analyse als Unterstützung und Orientierung bei Bewertungen und Vergleichen des Werts der Arbeit im Einklang mit den (…) festgelegten Kriterien“ zur Verfügung zu stellen (Art. 4 Abs. 2). Derzeit liegt zumindest auf EU-Ebene ein „Leitfaden zur Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleichwertiger Arbeit“ vor.6 In Deutschland existieren außerdem einige Prüfverfahren für Arbeitgeber, mit denen sich die Entgeltgleichheit im Betrieb überprüfen lassen soll.7

Rn993

Aufgrund der Komplexität der Beurteilung sollten Arbeitgeber bereits jetzt auf der Grundlage der festgelegten Kriterien Arbeitnehmergruppen definieren, die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten und (gegebenenfalls unter Einbeziehung der Arbeitnehmervertretungen) ihre Arbeitnehmer entsprechend einteilen.

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3. Vergleichbare Arbeitnehmer

Im Gegensatz zum EntgTranspG ist die Bewertung von gleicher und gleichwertiger Arbeit nicht auf die Arbeitnehmer des jeweiligen Arbeitgebers begrenzt. Entscheidend ist, ob die angewendeten Entgeltbedingungen aus einer einheitlichen Quelle stammen (Art. 19 Abs. 1). Sofern eine Konzernmuttergesellschaft einheitliche Entgeltvorgaben macht, sind auch Arbeitnehmer verschiedener Konzernunternehmen miteinander vergleichbar. Gleiches gilt bei der Anwendung eines einheitlichen Tarifvertrages oder anderen kollektivrechtlichen Regelun­gen.8 Dies erweitert die Gruppe der vergleichbaren Arbeitnehmer erheblich. Künftig ist es sogar unerheblich, ob die zu vergleichenden Arbeitnehmer zeitgleich beschäftigt wurden. Auch dies ist ein gänzlich anderer Ansatz als im EntgTranspG.

Rn995

4. Kein Tarifprivileg

Tarifprivilegien kennt die EntgTransp-RL dabei nicht, was den tarifanwendenden Arbeitgebern das Leben deutlich erschweren dürfte. Denn bisher können sie sich darauf berufen, dass Tätigkeiten unterschiedlicher Entgeltgruppen als nicht gleichwertig angesehen werden (§ 4 Abs. 5 S. 2 EntgTranspG). Diese Fiktion steht im Widerspruch zu den Vorschriften der Richtlinie.9 Es bleibt abzuwarten, wie der deutsche Gesetzgeber die Vorgaben der Richtlinie umsetzen wird und ob gewisse Erleichterungen für tarifanwendende Arbeitgeber bestehen bleiben. Vorstellbar wäre beispielsweise eine Regelung, nach der die Eingruppierung in dieselbe tarifliche Entgeltgruppe eine widerlegbare Vermutung für gleichwertige Arbeit begründet.10 Ebenfalls denkbar wäre eine gesetzliche Bestimmung, nach der die Einordnung in eine gemeinsame tarifliche Entgeltgruppe als Indiz für gleichwertige Arbeit angesehen wird.11

Rn996

5. Pflichtenprogramm für Arbeitgeber

Arbeitgeber sollten sich bereits jetzt auf umfassende neue Informations- und Berichtspflichten einstellen.

Rn997

5.1. Pflichten im Bewerbungsverfahren (Art. 5)

Unabhängig von der Größe des Unternehmens haben bereits Bewerber künftig einen Anspruch auf Informationen über das Einstiegsgehalt für die betreffende Stelle oder dessen Spanne. Arbeitgeber sollten daher bereits vor Beginn des Bewerbungsprozesses klar definieren, nach welchen objektiven, geschlechtsneutralen Kriterien das Gehalt oder die Gehaltsspanne für potenzielle Bewerber festgelegt wird und wie diese Kriterien zueinander gewichtet werden.

Rn998

Die Informationen sind in der Stellenausschreibung, vor dem Vorstellungsgespräch oder auf andere Weise bereitzustellen. Bei einer Veröffentlichung des Gehalts in der Stellenausschrei­bung erhalten auch Konkurrenzunternehmen Kenntnis davon und können sich danach richten. Sinnvoller wird es daher sein, dem Bewerber etwa in der Einladung zum Bewerbungsgespräch das Gehalt oder die Gehaltsspanne mitzuteilen. Dabei sollte eine Frist von mindestens drei Tagen beachtet werden.12

Rn999

Die Verhandlungsfreiheit der Parteien wird durch die Regelungen nicht eingeschränkt und es darf grundsätzlich auch ein Gehalt außerhalb der angegebenen Spanne ausgehandelt werden.13 Unternehmen sollten allerdings dokumentieren, welche objektiven (diskriminie­rungsfreien) Gründe (z.B. Ausbildungsniveau, akuter Personalmangel, fehlende Vergleich­barkeit der Aufgaben) die Zahlung eines höheren Gehalts rechtfertigen.14 Das Verhandlungs­geschick von Bewerbern darf dabei nach der Equal-Pay-Entscheidung des BAG nicht als Differenzierungskriterium zur Begründung von Gehaltsunterschieden herangezogen werden.15

Rn1000

Arbeitgeber dürfen Bewerber nicht nach der Entwicklung ihres Gehalts in früheren oder aktuellen Arbeitsverhältnissen fragen (Art. 5 Abs. 2). Sie dürfen auch nicht versuchen, diese Informationen auf anderem Wege zu erhalten.16

Rn1001

Durch diese Regelungen soll die Verhandlungsposition von Bewerbern gestärkt und die bestehende Informationsasymmetrie aufgrund fehlender Informationen über die vorgesehene Entgeltspanne überwunden werden. Der Bewerber sollen in die Lage versetzt werden, eine fundierte Entscheidung über das erwartete Gehalt zu treffen.17

Rn1002

Arbeitgeber sind gut beraten, wenn sie ihre Bewerbungsprozesse aus Anlass der neuen Regelungen der EntgTransp-RL einer sorgfältigen Überprüfung unterziehen.

Rn1003

5.2. Informationspflichten (Art. 6)

Arbeitgeber haben künftig proaktiv ihre Beschäftigten darüber zu informieren, welche Kriterien für die Festlegung ihres Entgelts, ihrer Entgelthöhen und ihrer Entgeltentwicklung verwendet werden. Die Kriterien müssen objektiv und geschlechtsneutral sein. Die Mitgliedstaaten können Arbeitgeber mit weniger als 50 Arbeitnehmern von den Informationspflichten ausnehmen. Zu dem Verfahren der Bereitstellung der Informationen und den zeitlichen Abständen macht die Richtlinie keine Vorgaben. Diesbezüglich wird es auf die Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber ankommen.

Rn1004

5.3. Individuelles Auskunftsrecht (Art. 7)

Kern des EntgTranspG ist bislang das Auskunftsrecht der Arbeitnehmer, das ihnen die Einhaltung des Entgeltgleichheitsgebots ermöglichen soll. Dieses Auskunftsrecht sieht auch die Richtlinie vor, allerdings in einem erheblich erweiterten Umfang. So besteht der Auskunftsanspruch gegenüber allen Unternehmen unabhängig von ihrer Größe, während der bisherige Auskunftsanspruch sich lediglich auf Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten bezieht (§ 12 Abs. 1 EntgTranspG).

Rn1005

Ein wesentlicher Aspekt der neuen Regelungen betrifft die Methode zur Berechnung der Entgeltdaten. Während das EntgTranspG bisher den statistischen Median als Bezugsgröße für die Entgeltermittlung verwendet, stellt die Richtlinie auf die durchschnittliche Entgelthöhe ab, bei der die Summe aller Einzelwerte durch die Anzahl der Einzelwerte dividiert wird.18 Für die Berechnung der durchschnittlichen Entgelthöhen müssen alle vergleichbaren Arbeitneh­mer einbezogen werden. Das bedeutet, dass im Gegensatz zu § 12 Abs. 2 EntgTranspG, bei dem nur Arbeitnehmer desselben Betriebs und derselben Region beim selben Arbeitgeber für die Berechnung des statistischen Medians berücksichtigt werden, hier eine breitere Gruppe erfasst wird. Ein weiterer Unterschied ist, dass Arbeitnehmer gemäß Art. 7 Abs. 1 nicht nur Informationen über die Entgelthöhe vergleichbarer Arbeitnehmer des anderen Geschlechts erhalten (wie es in § 11 Abs. 3 Satz 2 EntgTranspG vorgesehen ist), sondern auch des eigenen Geschlechts.19 Die Angabe ist wohl auch nach Entgeltbestandteilen aufzuschlüsseln.20

Rn1006

Die Arbeitnehmer können die gewünschte Auskunft auch über die zuständige Arbeitnehmer­vertretung oder eine Gleichbehandlungsstelle anfordern (Art. 7 Abs. 2). Damit soll erreicht werden, dass Arbeitnehmer leichter Zugang zu den Informationen erhalten und die Hemmschwelle für die Ausübung ihres Auskunftsrechts gesenkt wird. Außerdem soll die Gefahr persönlicher oder beruflicher Nachteile bei der direkten Anforderung der Informationen durch die Arbeitnehmer verringert werden.

Rn1007

Das Auskunftsersuchen wird künftig für Arbeitnehmer leichter zu stellen sein. Sie müssen nach der Richtlinie, im Unterschied zu § 10 Abs. 1 S. 2 EntgTranspG, keine gleiche oder gleichwer­tige Tätigkeit benennen, deren Entgelt vorzulegen ist. Das Ersuchen ist zudem formlos möglich. Zudem muss der Arbeitgeber nach der Richtlinie seine Beschäftigten jährlich über ihr Auskunftsrecht und die damit verbundenen Verfahrensschritte informieren (Art. 7 Abs. 3). Dies dürfte zu einem deutlich erhöhten Aufkommen an Auskunftsersuchen führen, auf das alle Arbeitgeber sich einstellen müssen, zumal für die Erteilung der Auskunft künftig eine verkürzte Frist von maximal zwei Monaten gelten wird. Das EntgTranspG sieht eine Frist von bis zu drei Monaten vor.

Rn1008

Flankiert wird der Auskunftsanspruch durch das Verbot von Verschwiegenheitsklauseln, die Arbeitnehmer daran hindern könnten, ihr Entgelt offenzulegen (Art. 7 Abs. 5). Arbeitgeber dürfen Arbeitnehmer also nicht mehr vertraglich zur Geheimhaltung der Höhe ihres Entgelts verpflichten. Entsprechende Verschwiegenheitsklauseln in Musterarbeitsverträgen sollten bereits jetzt angepasst werden.

Rn1009

Wie der deutsche Gesetzgeber die Anforderungen der Richtlinie umsetzen und ob er dabei Spielräume nutzen wird, um den bürokratischen Aufwand für Arbeitgeber zu reduzieren, bleibt abzuwarten. Die Umsetzung der neuen Anforderungen wird jedoch nicht ohne organisa­torische Anpassungen in den Unternehmen möglich sein. Insbesondere die Pflicht zur regel­mäßigen Information der Arbeitnehmer und die Notwendigkeit, umfangreiche Entgeltdaten bereitzustellen, stellen Arbeitgeber vor zusätzliche Herausforderungen. Auch die Identifizie­rung der relevanten Vergleichsgruppen erfordert ein transparentes Entgeltsystem.

Rn1010

5.4. Berichtspflichten (Art. 9)

Die neuen Berichtpflichten greifen bereits für Arbeitgeber, die mindestens 100 Arbeitnehmer beschäftigen. Im Gegensatz dazu müssen nach § 21 Abs. 1 EntgTranspG bislang nur Arbeitgeber mit in der Regel mehr als 500 Beschäftigten, die zudem nach §§ 264 und 289 HGB zur Erstellung eines Lageberichts verpflichtet sind, Berichtspflichten erfüllen.

Rn1011

Inhaltlich verlangt die Richtlinie deutlich umfassendere Berichte als das EntgTranspG. Bisher sind Arbeitgeber nach § 21 EntgTranspG lediglich dazu verpflichtet, ihre Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung und zur Sicherstellung der Entgeltgleichheit darzulegen. Zudem müssen sie Angaben zur durchschnittlichen Gesamtzahl der Beschäftigten sowie zur Anzahl der Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten machen. Nach der Richtlinie müssen Arbeitgeber künftig proaktiv folgende Informationen über ihre Organisation zur Verfügung stellen:

  • das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle;
  • das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle bei ergänzenden oder variablen Bestand­teilen;
  • das mittlere geschlechtsspezifische Entgeltgefälle;
  • das mittlere geschlechtsspezifische Entgeltgefälle bei ergänzenden oder variablen Bestandteilen;
  • der Anteil der Arbeitnehmer, die ergänzende oder variable Bestandteile erhalten;
  • der Anteil der Arbeitnehmer in jedem Entgeltquartil;
  • das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle zwischen Arbeitnehmern bei Gruppen von Arbeitnehmern, nach dem normalen Grundlohn oder -gehalt sowie nach ergänzenden oder variablen Bestandteilen aufgeschlüsselt.
Rn1012

Das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle ist die als Prozentzahl dargestellte Differenz zwischen den durchschnittlichen Entgelthöhen von Arbeitnehmern eines Arbeitgebers (Art. 3 Abs. 1 lit. c). Es ist das jeweilige Bruttojahreseinkommen sowie der Bruttostundenlohn anzugeben.21

Rn1013

Bei dem mittleren geschlechtsspezifischen Entgeltgefälle handelt es sich um die als Prozentzahl ausgedrückte Differenz zwischen der jeweiligen Median-Entgelthöhe von Arbeitnehmern eines Arbeitgebers (Art. 3 Abs. 1 lit. e).

Rn1014

Die Fristen und Intervalle der Berichterstattung richten sich nach der Größe des Unternehmens:

  • Unternehmen mit 250 oder mehr Beschäftigten sind gemäß Art. 9 Abs. 2 verpflichtet, die relevanten Informationen bis spätestens zum 7. Juni 2027 und anschließend jährlich für das vorangegangene Kalenderjahr vorzulegen.
  • Unternehmen mit 150 bis 249 Beschäftigten müssen gemäß Art. 9 Abs. 3 ihre Informationen ebenfalls bis zum 7. Juni 2027 einreichen, danach jedoch nur alle drei Jahre.
  • Unternehmen mit 100 bis 149 Beschäftigten haben gemäß Art. 9 Abs. 4 bis spätestens zum 7. Juni 2031 Zeit, ihre Daten vorzulegen und müssen dies ebenfalls in dreijährigen Intervallen wiederholen.
  • Unternehmen mit weniger als 100 Beschäftigten können gemäß Art. 9 Abs. 5 von den Mitgliedstaaten verpflichtet werden, ebenfalls Informationen über das Entgelt vorzulegen.
Rn1015

Diese Fristen stellen Mindestanforderungen dar, und Mitgliedstaaten können die Häufigkeit der Berichterstattung erhöhen.22

Rn1016

Die Informationen aus dem Entgeltbericht sind an die staatliche Überwachungsstelle, alle Arbeitnehmer des Arbeitgebers und die Arbeitnehmervertretung zu übermitteln. Die Überwachungsstelle veröffentlicht die Angaben unverzüglich. Das bedeutet eine maximale Transparenz und Öffentlichkeitswirksamkeit bezüglich einer eventuellen Gender Pay Gap. Die betroffenen Arbeitgeber sollten daher anstreben, bis zu ihrem ersten Bericht jedenfalls ein größeres Entgeltgefälle möglichst beseitigt zu haben.

Rn1017

Überschneidungen können sich zu den ESG-Berichtspflichten nach der Corporate Sustainability Reporting Directive („CSRD“) und den European Sustainability Reporting Standards („ESRS“) ergeben. Danach müssen Unternehmen das prozentuale Gehaltsgefälle zwischen weiblichen und männlichen Beschäftigten offenlegen. Arbeitgeber sollten die Prozesse zur Datenerfassung und Berichterstattung zur Entgelttransparenz daher möglichst vereinheitlichen.

Rn1018

5.5. Gemeinsame Entgeltbewertung (Art. 10)

Arbeitgeber mit 100 und mehr Arbeitnehmern sind im Nachgang zu ihrem Bericht zu einer gemeinsamen Entgeltbewertung verpflichtet, wenn sich dabei ein Entgeltgefälle von mindestens 5% in einer Arbeitnehmergruppe ergibt. Dies gilt zumindest dann, wenn das Gefälle nicht gerechtfertigt ist oder innerhalb von sechs Monaten beseitigt wird. Die Richtlinie geht damit weit über die bisherige Regelung des § 17 Abs. 1 EntgTranspG hinaus, die eine betriebliche Überprüfung bisher nur für Betriebe mit mehr als 500 Beschäftigten vorsieht.

Rn1019

Im Rahmen der gemeinsamen Entgeltbewertung haben Arbeitgeber in enger Zusammenarbeit mit Arbeitnehmervertretungen die Ursachen der Entgeltunterschiede umfangreich zu analysieren und konkrete Maßnahmen zu deren Beseitigung zu treffen. Die gemeinsame Entgeltbewertung ist den Arbeitnehmern und den Arbeitnehmervertretungen zur Verfügung zu stellen und der Überwachungsstelle zu melden (Art. 10 Abs. 3).

Rn1020

Eine gemeinsame Entgeltbewertung ist ein komplexer Vorgang und stellt an alle beteiligten Akteure hohe Anforderungen. Im Regelfall wird eine vorherige Schulung zu geschlechts­neutraler Arbeitsbewertung und eine beratende Begleitung notwendig sein.23

Rn1021

Nach Abschluss einer gemeinsamen Entgeltbewertung haben Arbeitgeber in Zusammenarbeit mit Arbeitnehmervertretungen bei ungerechtfertigten Entgeltunterschieden Abhilfe zu schaffen. Die Abhilfe kann etwa durch eine Entgeltangleichung nach oben wie auch durch eine Angleichung nach unten vorgenommen werden, soweit dies mit den Rechten der bisher bevorzugten Arbeitnehmern vereinbar ist.24

Rn1022

Um einer gemeinsamen Entgeltbewertung vorzubeugen, sollten Arbeitgeber schon jetzt prüfen, ob Unterschiede in Höhe von mindestens fünf Prozent der durchschnittlichen Entgelt­höhe zwischen den Geschlechtern innerhalb mindestens einer Gruppe von Arbeitnehmern mit gleichwertiger Arbeit bestehen. Falls solche Unterschiede vorliegen, sollten diese schnellst­möglich auf unter fünf Prozent reduziert werden.

Rn1023

6. Verstöße durch Arbeitgeber

Die Richtlinie sieht strenge Sanktionsmechanismen, Entschädigungen und Beweislastrege­lungen vor, die greifen, wenn Arbeitgeber ihren Verpflichtungen aus der Richtlinie nicht nachkommen.

Rn1024

6.1. Anspruch auf Schadensersatz und Entschädigung (Art. 16)

Nach Art. 16 Abs. 1 haben Arbeitnehmer bei Verletzungen von Rechten und Pflichten aus der Richtlinie und einem durch den Arbeitgeber verursachten Schaden einen Anspruch auf vollständigen Schadensersatz bzw. Entschädigung. Dies gilt bereits im Falle der Verletzung vorvertraglicher Pflichten nach Art. 5. Dabei ist es unerheblich, ob der Schaden durch das Verschulden des Arbeitgebers eingetreten ist.25 Der Schadensersatz oder die Entschädigung kann die vollständige Nachzahlung entgangener Entgelte, Boni, Sachleistungen sowie Ent­schädigung für entgangene Chancen, immaterielle Schäden, intersektionelle Diskriminierung und Verzugszinsen umfassen.

Rn1025

Die Regelungen in Art. 16 weisen Parallelen zu § 15 AGG auf, der bereits nach der aktuellen Rechtslage über § 2 Abs. 2 S. 1 EntgTranspG Entschädigungs- und Schadensersatzan­sprüche bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot festlegt. Die Vorschrift des Art. 16 wird jedoch die bestehenden Regelungen erweitern, etwa in Bezug auf das Verbot einer vorab festgelegten Obergrenze (wie derzeit in § 15 Abs. 2 S. 2 AGG) sowie den Schadensersatz für entgangene Chancen.26 Der Schadensersatz für entgangene Chancen wird wohl insbeson­dere den Zugang zu bestimmten Leistungen oder Vergütungsgruppen umfassen.27

Rn1026

6.2. Abhilfemaßnahmen und Sanktionen (Art. 17, Art. 23)

Art. 17 ermöglicht es Behörden und Gerichten, Arbeitgeber zur Einhaltung des Grundsatzes des gleichen Entgelts zu verpflichten. Arbeitgeber können auf Antrag der klagenden Partei zur Unterlassung von Rechtsverstößen und zur Ergreifung bestimmter Maßnahmen verpflichtet werden. Dazu können auch Zwangsgelder angedroht und festgesetzt werden. Als Abhilfemaß­nahmen kommen etwa die Überprüfung des Entgeltsystems, die Erstellung eines Aktions­plans, die Unterrichtung von Arbeitnehmern über ihr Recht auf gleiches Entgelt oder HR- Schulungen zur geschlechtsneutralen Arbeitsbewertung und Einstufung in Betracht.28

Rn1027

Darüber hinaus muss der deutsche Gesetzgeber nach Art. 23 Abs. 1 Vorschriften über wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen erlassen, die bei Pflichtver­letzungen im Zusammenhang mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts gegen Arbeitgeber zu verhängen sind. Dabei müssen mildernde wie erschwerende Umstände berücksichtigt werden (Art. 23 Abs. 3) und bei wiederholten Rechts- und Pflichtverletzungen sollen zusätzliche Sanktionen Anwendung finden (Art. 23 Abs. 4). Als Sanktionsform kommen vor allem Bußgelder in Betracht, die sich nach dem Bruttojahresumsatz oder der Gesamtentgeltsumme des Arbeitgebers bemessen.29

Rn1028

Das EntgTranspG enthält bisher weder Bußgeldtatbestände noch andere Sanktionsformen. Es bleibt abzuwarten, wie der deutsche Gesetzgeber den Gestaltungsspielraum ausfüllen wird. Aufgrund der künftigen Androhung scharfer Sanktionen ist Compliance im Hinblick auf ein diskriminierungsfreies Entgeltsystem jedoch umso dringender anzustreben.

Rn1029

6.3. Beweislast (Art. 18)

Nach der Regelung des Art. 18 Abs. 1 müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass im Falle des Vortrags geschlechtsspezifischer Entgeltdiskriminierung durch einen Arbeitnehmer die Beweislast bei der beklagten Partei, dem Arbeitgeber, liegt. Das bedeutet: Wenn Arbeitnehmer Tatsachen vorbringen, die auf eine geschlechtsspezifische Entgeltdiskriminierung hindeuten, muss der Arbeitgeber beweisen, dass keine Diskriminierung stattgefunden hat. Eine ähnliche Regelung gibt es bereits im deutschen Recht (§ 2 Abs. 2 S. 1 EntgTranspG i. V. m. § 22 AGG).

Rn1030

Eine weitreichende Neuerung ist, dass Arbeitgeber nach Art. 18 Abs. 2 UA 1 in Verfahren wegen mutmaßlicher Entgeltdiskriminierung die Beweislast tragen, wenn sie Pflichten zur Entgelttransparenz nicht erfüllt haben. Setzt der Arbeitgeber Pflichten aus der Richtlinie nicht um, muss er im Verfahren nachweisen, dass keine Diskriminierung stattgefunden hat. Selbst eine fehlende jährliche Information der Arbeitnehmer über ihr Auskunftsrecht nach Art. 7 Abs. 3 kann zu der Beweiserleichterung für Arbeitnehmer führen.30 Ausnahmen gelten nur, wenn der Verstoß offensichtlich unbeabsichtigt und geringfügig war. Eine bloße Schlechterfüllung der Pflichten löst die Beweislastregelung nicht aus. 31

Rn1031

Die Regelung des Art. 18 geht weit über die geltende Vorschrift des § 15 Abs. 5 EntgTranspG hinaus, die lediglich eine Beweislastregel für den Fall vorsieht, dass nicht tarifgebundene oder -anwendende Arbeitgeber ihrer Auskunftspflicht aus § 10 EntgTranspG nicht nachkommen. Eine Privilegierung von tarifgebundenen und -anwendenden Arbeitgebern wird es nach Art. 18 künftig nicht mehr geben.

Rn1032

Arbeitgeber können die Vermutung, dass eine Diskriminierung vorliegt, durch die Darlegung der angewendeten objektiven und geschlechtsneutralen Kriterien widerlegen. Dies kann nur dann gelingen, wenn sie die Anwendung solcher Kriterien im Vorfeld sorgfältig dokumentiert haben.

Rn1033

7. Verbandsklagerecht (Art. 15)

Der deutsche Gesetzgeber muss künftig Prozessstandschaften und Verbandsklagen zur Durchsetzung gleichen Entgelts in Verwaltungs- und Gerichtsverfahren für Gleichbehand­lungsstellen, Arbeitnehmervertretungen sowie Verbände und Organisationen mit einem berechtigten Interesse an der Gleichstellung von Männern und Frauen ermöglichen.

Rn1034

8. Ausblick

Die Umsetzung der Entgelttransparenz-Richtlinie stellt Arbeitgeber vor erhebliche Herausfor­derungen. Die neuen Vorgaben erfordern eine sorgfältige Analyse und als Folge in den meisten Fällen wohl eine Anpassung der bestehenden Entgeltsysteme, die in der Regel nur mit erheblichem zeitlichem Vorlauf umgesetzt werden kann. Hier ist bei der Zeitplanung insbesondere die Beteiligung des Betriebsrats und/oder der Tarifparteien zu berücksichtigen. Die Anwendung objektiver und geschlechtsneutraler Kriterien bei der Entgeltfindung sollte dokumentiert werden. Die regelmäßige Berichterstattung und Überprüfung der Entgeltstruk­turen erfordern eine verlässliche und korrekte Datenerfassung. Dafür sind die entsprechenden Vorkehrungen in der IT zu treffen.

Rn1035

Neben den zahlreichen Herausforderungen bei der Überprüfung und Anpassung der Entgelt­systeme bietet die Richtlinie auch Chancen für Arbeitgeber, die Entgeltstrukturen im Unternehmen nachhaltig zu verbessern und die Gleichstellung am Arbeitsplatz zu fördern. Im Kampf um Fachkräfte können faire Entgeltstrukturen dazu beitragen, die Motivation und die Zufriedenheit der Belegschaft zu stärken und die Arbeitgebermarke positiv zu beeinflussen.

Rn1036

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