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Zitiervorschlag: Paal, LRZ 2022, Rn. 301, [●], www.lrz.legal/2022Rn301.
Permanente Kurz-URL: LRZ.legal/2022Rn301
Das Phänomen Metaversum wirft zahlreiche neuartige Rechtsfragen auf. Der vorliegende Beitrag geht dem Verhältnis von (Kartell-)Recht und Metaversum nach.
Das Phänomen Metaversum ist seit einiger Zeit verstärkt in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Diese Zunahme an Aufmerksamkeit steht auch und gerade mit der Umbenennung von Facebook in Meta am 28. Oktober 2021 in Zusammenhang. Facebook/Meta will die Umbenennung nicht als reine Marketing-Maßnahme verstanden wissen, sondern vor allem auch seine Ausrichtung auf den neuen (mutmaßlichen) Megatrend „Metaversum“ zum Ausdruck bringen.1
Der Begriff „Metaversum“ geht zurück auf den Science-Fiction-Roman Snow Crash des Autors Neal Stephenson aus dem Jahr 1992. Hier fliehen die Akteure aus einer dystopischen Welt der Zukunft immer wieder in das Metaversum. Mit der Kombination aus den Begriffen „meta“ und „Universum“ ist eine durch Verschmelzung der virtuellen mit der physischen Welt angestrebte neuartige Erfahrungsebene angesprochen, die durch das Metaversum geschaffen werden soll.2 In diesem Sinne lässt sich das Metaversum als ein weiterer Entwicklungsschritt des Internets verstehen: Wie beim Übergang vom Web 1.0 zum Web 2.0 die Nutzerinteraktion hinzukam, ist intendiert, mit dem Aufbruch in das Metaversum zusätzliche Elemente der physischen Welt in der virtuellen Welt abzubilden.3
Durch die visuelle 3D-Wahrnehmung sollen im Metaversum sowohl Räume als auch Bewegung sowie Sinneswahrnehmungen darin direkt erfahrbar werden. Umgekehrt sollen in der realen Welt Elemente der virtuellen Welt erlebbar gemacht werden, so etwa durch eine Einblendung von Informationen oder einer Wegbeschreibung in die Nutzersicht auf die physische Umwelt. Zu diesem Zweck soll die Interaktionsschnittstelle des Nutzers betreffend Netz und physische Welt entgrenzt werden von Bildschirm, Tastatur, Maus, Lautsprecher, Mikrophon, Smartphone- und Tablet-Oberfläche hin zur gesamten Umwelt, um hierdurch eine (möglichst weitgehende) Verschmelzung der beiden Welten zu ermöglichen.
Zentrales Element und besonderer Reiz des Metaversums ist hiernach die durch das virtuelle Fundament geschaffene Möglichkeit, über sämtliche räumliche Distanzen hinweg und mit einer großen Anzahl anderer Nutzer komfortabel sowie authentisch zu interagieren. Die Nutzung des Metaversums soll auf diese Weise die Erlebnismöglichkeiten der bisher grundsätzlich getrennten physischen und virtuellen Welt kombinieren sowie durch diese Kombination vollkommen neuartige Erlebnisse und Erfahrungen ermöglichen.
Zum Einsatz kommen im Metaversum vor allem Technologien wie Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR) und Mixed Reality.4 Für die Ermöglichung und Nutzung dieser Technologien ist entsprechende Hardware erforderlich, konkret Brillen, Headsets oder ähnliche Geräte. Häufig kommen im Metaversum zudem Blockchain-Technologien zur Anwendung, um etwa Zahlungsmittel oder sonstige Eigentumspositionen abzubilden. Besondere Prominenz haben insoweit jüngst sog. Non-fungible tokens (NFTs) erfahren: Hierbei handelt es sich grundsätzlich ebenso wie bei den Kryptowährungen um auf einer Blockchain gespeicherte Datensätze, die, anders als bei den Kryptowährungen, einmalig und nicht teilbar sind. NFT können insbesondere immaterielle Werte – bspw. (digitale) Kunst oder Musik – repräsentieren, indem sie entweder die zugehörigen (Musik-, Bild-) Daten selbst oder einen Verweis auf einen entsprechenden Datensatz enthalten.5
Am weitesten fortgeschritten ist die Manifestation des Metaversums aktuell im Gaming-Bereich: Bereits seit dem Jahr 2003 können Gamer in dem Online-Spiel Second Life in Gestalt eines Avatars ein virtuelles „Leben“ führen. Das besonders beliebte Online-Battle-Royale-Spiel Fortnite und die Onlinespielplattform Roblox werden ebenfalls mit dem Metaversum in Verbindung gebracht. Einen anderen Ansatz der virtuellen Abbildung der physischen Welt verfolgt die auf der Basis des Ethereum-Blockchain-Protokolls geschaffene 3D-Plattform Decentraland. In dieser virtuellen Sphäre können Nutzer „Grundstücke“ kaufen, wobei solche „Grundstücke“, umgerechnet aus Mana, der virtuellen Währung des Spiels, bereits für sechs- oder gar siebenstellige Dollar-Beträge verkauft wurden.6 Weitere naheliegende Dimensionen des Metaversums sind virtuelle Meetings, der Bildungs- und Lehrbereich oder die Kultur. So könnten etwa Mitarbeiter in einer VR-Umgebung in neue (physische) Tätigkeiten eingewiesen oder digitale Kunst besichtigt und virtuelle Konzerte besucht werden. Im Metaversum soll, wie bereits gegenwärtig im World Wide Web zwischen verschiedenen Websites, eine mühelose Bewegung zwischen den verschiedenen Bereichen und Welten möglich sein.
Eine der weitreichendsten Metaversum-Visionen und besonders umfassende Ressourcen für die damit in Zusammenhang stehenden Vorhaben finden sich bei dem Unternehmen Meta. Meta plant die Entwicklung des Metaversums vor allem ausgehend vom Kern und der Wurzel seiner Unternehmensaktivitäten, sprich den sozialen Netzwerken.7 In diesem Sinne will Meta seine Metaversum-Aktivitäten vor allem in den Bereichen soziale Interaktion, Unterhaltung, Sport, Arbeit, Bildung und Shopping entfalten. Darüber hinaus sind auch andere große (Tech-)Unternehmen, so etwa Apple, HTC, Microsoft, Sony oder Tencent bereits im Kontext des Metaversums aktiv oder unternehmen jedenfalls erhebliche Anstrengungen in diese Richtung.8 Hervorzuheben ist insoweit insbesondere die von Microsoft angestrebte, aktuell aber noch unter dem Vorbehalt eines Einschreitens von Regulierungs- und Kartellbehörden (und der Zustimmung der Aktionäre) stehende Akquisition des Computerspieleentwicklers Activision Blizzard für rund 70 Milliarden Dollar. Die damit erhoffte massive Verstärkung im Bereich des E-Gaming dient nach Unternehmensangaben zudem auch der Positionierung für das Metaversum.9 Neben dem Spiele-Sektor könnte ferner die starke Stellung von Microsoft im Bereich geschäftlicher Kollaborationslösungen eine Basis für Metaversum-Aktivitäten darstellen. Hervorgehobene Bedeutung dürfte dabei der Microsoft-VR-Anwendung Mesh zukommen, die durch die virtuelle Präsenz mittels Holgrammen und Avataren eine effiziente Zusammenarbeit sowie virtuelle Zusammenkünfte im Metaversum ermöglichen soll.10
Wie schon bei den bisherigen Entwicklungsstufen des Internet steht auch für das Metaversum zu erwarten, dass eine weder qualitativ noch quantitativ belegbar prognostizierbare Menge an (neuartigen) Rechtsfragen aufgeworfen wird. Dabei wird es sich in Ansehung des Betrachtungsgegenstandes vielfach um rechtliche Querschnittsmaterien handeln. Beispielhaft und pars pro toto benannt werden können hier Fragen des Immaterialgüterrechts (etwa Marken- oder Urheberrecht), die sich aus der zunehmenden Präsenz von (grenzüberschreitend agierenden) Unternehmen im Metaversum ergeben. Aufgrund der sozialen Interaktion im Metaversum können auch verhaltensbezogene Rechtsnormen, so etwa Tatbestände im Zusammenhang mit der persönlichen Ehre oder der sexuellen Selbstbestimmung relevant werden.
Vor allem der Einsatz der Blockchain-Technologie im Kontext von sog. Smart Contracts und bei Zahlungen mittels Kryptowährungen wird überdies komplexe vertragsrechtliche Herausforderungen aufweisen. Durch die Verwendung der Blockchain-Technologie als dinglicher Übertragungsmechanismus im Kontext des Metaversums werden sachenrechtliche Fragestellungen, insbesondere im Zusammenhang mit den bereits erwähnten NFTs, angesprochen.
Insgesamt dürfte die durch das Metaversum angestoßene Verlagerung von Interaktionen und Transaktionen in virtuelle Sphären einen (weiteren) Schritt weg von körperlichem Eigentum hin zu einer stärkeren Bedeutung von geistigem Eigentum und entsprechenden Lizenzen mit sich bringen. Zudem dürften IT-Sicherheitsthemen und damit im Zusammenhang stehende Rechtsfragen durch das Metaversum mit seiner Simulation einer realen und sozialen Umgebung in eine neue Dimension gehoben werden.11
Im Ausgangspunkt sind vor allem zwei Rechtsgebiete zentral für die rechtliche Rahmung und damit auch die weitere Entwicklung des Metaversums: das Datenschutzrecht und das Kartellrecht. Die zunehmende Verflechtung dieser Rechtsgebiete wurde zuletzt vor allem durch das Verfahren des Bundeskartellamts gegen Facebook wegen des Vorwurfs missbräuchlicher Datenschutzpraktiken deutlich: Das Bundeskartellamt stützte sich in seiner Verfügung gegen Facebook12 für die Begründung des kartellrechtlich untersagten Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung auf das Vorliegen eines Verstoßes der Datenschutzbestimmungen von Facebook (und deren praktischer Handhabung) gegen die Vorgaben des Datenschutzrechts. Facebook hatte zunächst beim OLG Düsseldorferfolgreich die aufschiebende Wirkung hinsichtlich der vom Bundeskartellamt erlassenen Verfügung erwirkt.13 Diese Entscheidung hat der BGH im Juni 2020 sodann aufgehoben, woraufhin Facebook mit einem erneuten Eilantrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung vor dem OLG Düsseldorf erfolgreich war.14 Die Nichtzulassungsbeschwerde des Bundeskartellamts vor dem BGH steht ebenso noch zur Entscheidung an wie die Vorlage (Art. 267 AEUV) des OLG Düsseldorf an den EuGH im Hauptverfahren.15 Die Entscheidung der vorgelegten Fragen durch den EuGH wird (aller Voraussicht nach) auch und gerade für die weitere Entwicklung des Metaversums bedeutsame Problemfelder im Zusammenhang mit der Zulässigkeit der Verarbeitung von Nutzerdaten für kommerzielle Zwecke sowie des Verhältnisses von Datenschutz- und Kartellrecht klären.
Mit dem Metaversum werden sich eine Vielzahl an neuen Märkten mit großer Veränderungsdynamik entwickeln, die besondere Anforderungen an die Handhabung der Kontrollinstrumente und Regulierungsmechanismen des Kartellrechts stellen. Den Kartellrechtsbehörden obliegt es, bei der Anwendung des Kartellrechts das Spannungsfeld der Gewährleistung von Rechtssicherheit, Entwicklungsoffenheit und Verbraucherschutz im Metaversum auszubalancieren. Von besonderer Bedeutung ist hierbei die Gewährleistung eines fairen Marktzugangs auch und gerade für den Markteintritt neuer Akteure und Wettbewerber.
Die für die Akzeptanz und Aktivität des Metaversums erforderliche globale Abdeckung, Erstreckung sowie Reichweite macht eine Verständigung auf technische Standards im Sinne einer Interoperabilität verschiedener relevanter Plattformen und Welten erforderlich. Bei der hierzu erforderlichen Verständigung auf einheitliche Standards muss allerdings vermieden werden, dass das kartellrechtliche Verbot einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung (vgl. Art. 101 AEUV; § 1 GWB) verletzt wird.
Systeminduziert nicht erfasst vom Regelungsregime des Kartellrechts ist „bloßes“ internes Wachstum. Entscheidende Bedeutung für die kartellrechtliche (unionale und nationale) Beurteilung des Metaversums wird den Konstellationen eines (möglichen) Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 102 AEUV bzw. § 19 ff. GWB zukommen. Die in diesem Zusammenhang zumeist zentrale (Vor-)Frage der Marktabgrenzung dürfte im Metaversum eine besondere Komplexität aufweisen: Denn zum einen hat das Metaversum bereits im Ausgangspunkt einen grenzüberschreitenden Charakter, zum anderen stehen innerhalb des Metaversums vielfältige, auch und gerade neuartige Geschäftsmodelle zu erwarten. So kommt es bspw. in Betracht, dass ein soziales Netzwerk im Metaversum neben Online-Werbung an geschäftliche Kunden seinen Nutzern auch In-App-Käufe, wie etwa Online-Spiele oder Avatare, anbietet und als Plattform für den Verkauf „realer“ Produkte wirkt. Grundsätzlich ist auch im Metaversum mit dem Auftreten von für die Marktkonzentration digitaler Plattformen (mit-)entscheidenden Lock-In- und Netzwerkeffekten sowie von Zentralisierungsentwicklungen zu rechnen.
Ein wesentliches Element des Metaversums soll die insbesondere durch den Einsatz von Blockchain-Technologien abgebildete Dezentralisierung sein.16 Die Besonderheit von Blockchain-Technologien besteht gerade darin, dass sie ohne eine zentrale Vermittlungs- oder Kontrollinstanz auskommen (sollen). Aus diesem vornehmlich auf Transaktionen im Metaversum bezogenen Aspekt kann aber keinesfalls der Schluss gezogen werden, dass das Metaversum eine aus der Sicht des Wettbewerbs(rechts) und der dafür erforderlichen Einhegung von übermäßiger Marktkonzentration sowie Marktmacht unbedenkliche Entwicklung darstellt. Dieser Befund ergibt sich schon aus einer historischen Perspektive in Anbetracht der mit den ersten Entwicklungsstufen des Internets verbundenen Verheißungen einer dezentralen und demokratischen digitalen Welt.17
Das Metaversum wird wohl in noch stärkerem Maße als bisherige Entwicklungsstufen des Internets von wesentlichen Infrastrukturen, Schnittstellen und Standards abhängen. Interessenkonflikte können insoweit vor allem auch entstehen zwischen Unternehmen, die durch die Kontrolle solcher wesentlichen Einrichtungen den Zugang zum Metaversum vermitteln, Anbietern innerhalb der Wertschöpfungskette des Metaversums, die auf diesen Zugang angewiesen sind, und gemeinwohlrelevanten Zielsetzungen. Vor diesem Hintergrund könnte Unternehmen, die diese wichtigen Schalt- und Schnittstellen innehaben, eine mit besonderen Pflichten einhergehende Gatekeeper-Rolle zukommen. Zu diesen besonderen Pflichten von Gatekeepern dürfte insbesondere die Gewährung eines fairen Zugangs zu angemessenen Konditionen gehören. Denn es dürfte im Metaversum nicht zuletzt auch darauf ankommen, eine unangemessene Benachteiligung der Angebote von Fremdanbietern über die von dominanten Anbietern kontrollierten Zugänge zu verhindern.
Die Nutzer-Interaktionsschnittstelle wird hardwareseitig maßgeblich auf AR/VR-Brillen/Headsets angewiesen sein. In diesem Bereich kam Meta im Jahr 2021 mit seinem Oculus-Headset auf einen Marktanteil von 75 %.18 Bereits bei der im Februar 2019 wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung ergangenen Verfügung gegen Facebook berücksichtigte das Bundeskartellamt die mögliche Zusammenführung (unter anderem) der über Oculusgesammelten personenbezogenen Daten. Als Reaktion auf das Kartellamtsverfahren hat Facebook daraufhin den Verkauf von Oculus Quest-Geräten eingestellt.
Wegen des Vorwurfs des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch die Oculus-Aktivitäten wird Metalaut Medienberichten zwischenzeitlich auch von der US-amerikanischen Wettbewerbsbehörde FTC ins Visier genommen.19 Es steht der Vorwurf im Raum, dass Meta Anbieter von AR/VR-Apps im konzerneigenen Oculus Quest-Store unangemessen benachteilige und hierdurch den Wettbewerb beeinträchtige. Zudem wird Metavorgeworfen, die Oculus Quest-Headsets zu einem unangemessen niedrigen Preis zu verkaufen, wodurch es zu einer kartellrechtlich grundsätzlich untersagten Verdrängungspreis-Strategie (predatory pricing) komme. Bei diesem Vorgehen trachtet ein marktbeherrschendes Unternehmen danach, Wettbewerb durch konkurrierende Anbieter auszuschalten, indem es seine Produkte zu nicht kostendeckenden Preisen anbietet, wobei die in diesem Rahmen aufgelaufenen Verluste durch nach der Eroberung des entsprechenden Marktes anfallende Monopolrenditen ausgeglichen werden sollen.
In Ansehung der ausgeprägten rechtlichen und tatsächlichen Komplexität von Missbrauchsverfahren wird in vielen das Metaversum betreffenden Sachverhaltskonstellationen die Vorabkontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen nach der Fusionskontrollverordnung bzw. den §§ 35 ff. GWB eine besondere praktische Bedeutung erlangen. Zudem ist die kartellrechtliche Vorabkontrolle durch Zusammenschlussverfahren regelmäßig weniger eingriffsintensiv als eine nachlaufende Missbrauchskontrolle. In diesem Zusammenhang wurde Meta jüngst vorgeworfen, im AR/VR-Sektor die bereits im Rahmen des Erwerbs von Instagram und WhatsAppverfolgte Strategie der „Killer-Akquisitionen“ fortzusetzen.20 Für die fusionskontrollrechtliche Beurteilung der Zulässigkeit des von Microsoft aktuell geplanten Erwerbs von Activision Blizzard könnten auch und gerade Überlegungen im Zusammenhang mit dem Metaversum entscheidend sein. Hier wird der komplexen Frage der Marktabgrenzung eine (vor-)entscheidende Bedeutung zukommen.
Im Metaversum wird beim Einsatz von AR-/VR-Technologien eine Vielzahl an sensiblen personenbezogenen Daten gesammelt werden, so dass die für das Internet seit jeher bestehenden datenschutzrechtlichen Bedenken potenziert werden dürften.21 Der Verarbeitung unterfallen werden im Zusammenhang mit der angestrebten Verschmelzung von digitaler und physischer Welt insbesondere personenbezogene Daten über Bewegungen, Verhalten, psychische und physische Reaktionen sowie visuelle Daten. Aus diesen Datenkategorien ergibt sich ein erhebliches Potenzial für weitere technische Innovation und wirtschaftliche Verwertung. In diesem Sinne könnte personalisierte Werbung im Metaversum in eine neue Dimension vorstoßen, wenn und soweit entsprechende Werbeanzeigen etwa direkt in die virtuelle Umgebung eingebettet und für die Personalisierung eine Vielzahl weiterer Datenpunkte verwendet werden. Aus Nutzersicht vielversprechend dürfte die Entwicklung neuer Produkte auf Grundlage der im Metaversum gewonnen Daten sein, so bspw. von auf das Bewegungsverhalten zugeschnittenen Bekleidungsgegenständen. Mit der digitalen Erfassung und Abbildung von Menschen in einer 3D-Umgebung kann im Metaversum zugleich aber auch eine deutlich umfassendere Profilbildung und Überwachung stattfinden als noch im bisherigen Web 2.0. Der höchst dynamisch anwachsende Bestand an marktrelevanten Daten ist aus wettbewerbsrechtlicher Sicht wiederum für die Frage nach der Marktbeherrschung gemäß § 18 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 3a Nr. 4 GWB zu berücksichtigen.
Das Datenschutzrecht zielt auch und gerade auf einen Schutz der informationellen Selbstbestimmung ab. Als umfassendes unionsweites Regelungswerk mit Ausstrahlungswirkung auch über Europa hinaus (sog. Brussels Effect) ist hier vor allem die DSGVO relevant, die die Verarbeitung personenbezogener Daten im Ausgangspunkt mit einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt belegt. Die Erlaubnistatbestände der DSGVO sind in Art. 6 enumerativ aufgezählt. Dabei werden im Kontext des Metaversums insbesondere die Erlaubnistatbestände der lit. a (Einwilligung), lit. b (Vertrag) und lit. f (Interessenabwägung) relevant sein.
An Komplexität gewinnen dürfte im Metaversum mit seinen entgrenzten physisch/virtuellen Welten die Frage nach der räumlichen Anwendbarkeit der jeweiligen Datenschutzrechtsnorm. Entscheidend für die sachliche Anwendbarkeit der DSGVO ist der Personenbezug der in Rede stehenden Daten (Art. 2 Abs. 1 DSGVO). Maßgebliches Kriterium für die Frage nach dem Vorliegen von Personenbezug ist nach Art. 4 Nr. 1 DSGVO die direkte oder indirekte Identifizierbarkeit der jeweiligen Person. In einer Studie aus dem Jahr 2020 konnten etwa 95 % der Testpersonen anhand einer fünfminütigen Aufzeichnung ihrer Körperbewegungen in einer VR/AR-Umgebung eindeutig identifiziert werden.22 Aus der Aufzeichnung entsprechender physischer Muster dürften zudem auch Rückschlüsse auf besonders sensible Informationen gezogen und so etwa biometrische Daten nach Art. 4 Nr. 14 DSGVO23 oder Gesundheitsdaten nach Art. 4 Nr. 15 DSGVO mit den besonderen, erhöhten Rechtmäßigkeitsanforderungen an die Verarbeitung nach Art. 9 DSGVO gewonnen werden (können). Technologien wie die Gesichtserkennung bergen in diesem Zusammenhang Innovationschancen und Missbrauchspotenziale zugleich. Die im Sinne der Transparenz der Datenverarbeitung nach den Art. 12 ff. DSGVO erforderlichen Informationen dürften im Zuge der Entwicklung hin zu einem vielschichtigen Metaversum an Komplexität deutlich zunehmen und vor allem das Modell der auf umfassender Information beruhenden Einwilligung (zusätzlich) an seine Grenzen bringen. Besondere Schwierigkeiten wird im Kontext des Metaversums überdies die Frage nach der Zurechnung von Verantwortlichkeit für die Datenverarbeitungen aufwerfen (vgl. Art. 4 Nr. 7 DSGVO). Die Komplexität dieser Frage ergibt sich nicht zuletzt auch aus der Vielzahl an im Metaversum handelnden Akteuren und deren komplexen sowie multipolaren Interaktionen, wodurch mit Blick auf die Zusammenarbeit und die wechselseitigen Beiträge bei der Datenverarbeitung auch und gerade die Frage nach einer gemeinsame Verantwortlichkeit auf der Grundlage und am Maßstab von Art. 4 Nr. 7 i.V.m. Art. 26 Abs. 1 S. 1 DSGVO aufgeworfen ist.
Eine gemeinsame Verantwortlichkeit liegt nach Art. 26 Abs. 1 S. 1 DSGVO vor, wenn zwei oder mehr Verantwortliche gemeinsam die Zwecke und die Mittel der Verarbeitung festlegen. Im Hinblick auf die insoweit bestehenden Anforderungen kann auf die Kriterien zurückgegriffen werden, die der EuGH – unter Zugrundelegung eines weiten Verständnisses – in drei noch zur Vorgängervorschrift (Art. 2 lit. a DS-RL) ergangenen Urteilen formuliert hat.24 Nach dieser Rechtsprechungslinie soll eine gemeinsame Verantwortlichkeit nicht zwangsläufig gleichwertige Verantwortungsbeiträge im Hinblick auf die Verarbeitung voraussetzen; die beteiligten Akteure sollen vielmehr „in verschiedenen Phasen und in unterschiedlichem Ausmaß in der Weise einbezogen sein können, dass der Grad der Verantwortlichkeit eines jeden von ihnen unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen ist“.25 Im Übrigen müsse auch nicht jeder Akteur Zugang zu den betreffenden personenbezogenen Daten haben.26 Folgt man dieser Lesart, so kann zur Begründung einer gemeinsamen Verantwortlichkeit auch eine untergeordnete bzw. auf verschiedene Phasen der Verarbeitung beschränkte Beeinflussung der Zwecke und Mittel der Verarbeitung genügen. Vor diesem Hintergrund sind (auch) im Metaversum schwierige Abgrenzungsfragen aufgeworfen, da mit einer datenschutzrechtlichen Verantwortlichkeit zahlreiche Pflichten (so bspw. für technisch-organisatorische Maßnahmen, Auskunfts- und Informationspflichten) und Risiken ( bspw. betreffend Sanktionen und Schadensersatz) einhergehen.
Herausgehobene Bedeutung dürfte im Metaversum dem Recht auf Vergessenwerden gemäß Art. 17 DSGVO zukommen. Schließlich soll das Metaversum ein Raum für umfassende soziale Interaktion sein und wird als solcher ein Bedürfnis hervorrufen, etwa Informationen über sensible (private) Verhaltensweisen der dauerhaften Aufzeichnung zu entziehen. Als Regelung mit wettbewerblichem Charakter wird ferner das in Art. 20 DSGVO niedergelegte Recht auf Datenübertragbarkeit relevant sein.
Schließlich könnten auch die generell im Zusammenhang mit der Personalisierung von Online-Angeboten diskutierten Bedrohungen (wie etwa eine Verhaltensmanipulation oder ein generelles Auseinanderdriften der Gesellschaft) durch das tiefe Eindringen des Metaversums in die physische Welt potenziert sowie durch die große Menge an sensiblen personenbezogenen Daten befeuert werden. Aus diesen Entwicklungstendenzen erwachsen große Herausforderungen auch und gerade für das Datenschutzrecht.
Nach alledem dürfte das Datenschutzrecht (mit-)entscheidend dafür sein, in welche Richtung sich die Datenökonomie unter den Bedingungen des Metaversums entwickelt. Die bestehenden datenschutzrechtlichen Regelungen sind hierbei keinesfalls von vornherein ungeeignet, mit den Herausforderungen des Metaversums umzugehen. Mehr Klarheit über einen eventuellen Bedarf zu einer Nachjustierung des Regelungsregimes wird sich jedoch erst im Laufe der weiteren Entwicklung des Metaversums ergeben. In Abhängigkeit von der Entwicklung des Metaversums mag der one-size-fits-all-Ansatz der DSGVO durch spezifischere Regelungen zu ergänzen oder zu modifizieren sein. In diesem Zusammenhang wird es vor allem auch auf die Auslegung und Anwendung der bestehenden Vorschriften durch Aufsichtsbehörden und Gerichte ankommen. So sollte etwa der Europäische Datenschutzausschuss erwägen, speziell auf die Herausforderungen durch das Metaversum zugeschnittene Konkretisierungen, insbesondere hinsichtlich der Auslegung der Erlaubnistatbestände aus Art. 6 DSGVO und der Verantwortlichkeit herauszugeben. Ganz grundsätzlich empfiehlt es sich überdies, auch und gerade auf die Entwicklung einheitlicher internationaler Standards hinzuwirken.
Weiterhin ist der Blick zu richten auf die Plattformregulierung mit ihren konkreten Ausprägungen in der 10. GWB-Novelle (GWB-Digitalisierungsgesetz), im Digital Services Act und im Digital Markets Act. Während mit dem GWB-Digitalisierungsgesetz und dem Digital Markets Acts auf ökonomische Besonderheiten von digitalen Plattformen, wie etwa Netzwerk- und Lock-In-Effekte, reagiert werden soll, verfolgt der Digital Services Act primär außerökonomische Zielsetzungen, so vor allem auch den Schutz vor illegalen Inhalten oder die Erhöhung der Transparenz digitaler Plattformen. Für das GWB-Digitalisierungsgesetz hervorzuheben ist im vorliegenden Kontext der neu eingefügte § 19a GWB, der dem Bundeskartellamt ein Vorgehen gegen Unternehmen „mit besonderer marktübergreifender Bedeutung“ erlaubt. In einem im Dezember 2020 eingeleiteten Verfahren untersucht das Bundeskartellamt die obligatorisch vorgesehene Verknüpfung der Oculus-Geräte mit einem Facebook-Account unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung.27 In diesem Rahmen prüft die Kartellbehörde, ob Meta dem neuen, auf Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung anwendbaren § 19a GWB unterfällt und somit die Verknüpfung der personenbezogenen Daten aus verschiedenen Quellen an dieser Bestimmung zu messen sein wird.
Technologien der Künstlichen Intelligenz wird auch und gerade im Metaversum eine gestiegene Bedeutung zukommen. Hier ergeben sich im Zusammenhang mit dem Training der Algorithmen komplexe Fragen vor allem des Datenschutzrechts und des geistigen Eigentums. Bei dem Einsatz von Systemen der Künstlichen Intelligenz werden die Aspekte von Diskriminierung und Zurechnung von Verantwortlichkeiten eine besondere Rolle spielen. Vor diesem Hintergrund sowie zur Unterbindung einer (ggf. auch subliminalen) Verhaltensbeeinflussung durch entsprechende Systeme wird es vor allem auch auf eine vorausschauende Regulierung ankommen. Im Bereich der Künstlichen Intelligenz finden sich auf Unionsebene insoweit bereits bedeutsame Regulierungsinitiativen. Zu nennen ist hier zunächst der Entwurf der Europäischen Kommission für eine Verordnung zur Regulierung von KI-Systemen vom April 2021.28 Der Entwurf gibt das Ziel einer Förderung von KI-Technologien in Europa und deren Nutzung im Interesse der Menschheit vor. Zu diesem Zweck werden KI-Systeme klassifiziert in unzulässige Systeme, solche mit hohem Risiko, solche mit begrenztem Risiko und schließlich Systeme ohne bzw. mit lediglich einem geringen Risiko. Im Januar 2022 wurden auf Unionsebene zudem Konsultationen zur zivilrechtlichen Haftung im Zusammenhang mit Systemen Künstlicher Intelligenz gestartet.
In welchem Ausmaß und in welche Richtung sich das Metaversum entwickelt sowie wer die maßgeblichen Akteure sein werden, bleibt mit Spannung abzuwarten. Ob sich die Visionen einer grundlegenden Revolution des Geschäfts-, Privat- und Arbeitslebens realisieren werden, ist noch ungewiss. Schon jetzt lässt sich aber jedenfalls sagen, dass das Metaversum erhebliche technische und soziale Neuerungen mit sich bringen wird, auf die auch und gerade das (Kartell-)Recht angemessene Antworten finden muss. Die mit dieser Entwicklung im Zusammenhang stehenden Rechtsfragen sollten bereits frühzeitig auf breiter Basis diskutiert werden, damit das Recht in der Entstehung des Metaversums eine gestaltende und ordnende Rolle einnehmen kann. Im Zuge der weiteren Entwicklung des Metaversums sollte der maßgebliche Rechtsrahmen in diesem Sinne stetig überprüft und den gegebenen Entwicklungen angepasst werden.
Um für die hiermit verbundenen Herausforderungen gerüstet zu sein, müssen Gesetzgeber und Behörden, Gerichte und Wissenschaft die hohe Dynamik technologischer Innovation einbeziehen sowie dem Bedürfnis nach Sicherheit, Vertrauen und Vorhersehbarkeit Rechnung tragen. Die Komplexität der im Zusammenhang mit dem Metaversum stehenden Entwicklungen verlangt nach einer regulatorischen Einbeziehung von Erkenntnissen insbesondere aus den Bereichen Recht, Ethik, Soziologie, Ökonomie und Technik. Zudem erfordert die grenzüberschreitende Natur des Metaversums länder- und rechtsordnungsübergreifende regulatorische Initiativen. Besondere Bedeutung werden konkret den Fragen nach der Ausgestaltung und der Gewährleistung des Zugangs zum Metaversum sowie der Zuordnung von Verantwortlichkeit für die Einhaltung bestehender und noch zu schaffender gesetzlicher Vorgaben zukommen.