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Zitiervorschlag: Kaeding, LRZ 2024, Rn. 1037, [●], www.lrz.legal/2024Rn1037.
Permanente Kurz-URL: LRZ.legal/2024Rn1037
Der Klimawandel und dessen Folgen sowohl für die menschliche Gesundheit als auch für die Versorgung der Patientinnen und Patienten erfordern eine deutliche Ausrichtung der Gesundheitsversorgung auf Nachhaltigkeit. Auch wenn das geplante Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) diesen Aspekt unerwähnt lässt, enthält es doch Ansätze, die langjährigen Erfahrungen mit Nachhaltigkeitsmaßnahmen und – initiativen in Krankenhäusern in diesem Sinne fruchtbar zu machen.
Der Klimawandel und dessen Folgen belasten die Gesundheitsversorgung, so wie durch die Gesundheitsversorgung das Klima belastet wird. Um auch künftig unter den Bedingungen des Klimawandels eine allgemein zugängliche und qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung zu sichern, sollte deren Nachhaltigkeit als gesetzliches Ziel verankert werden. Erreichen ließe sich dieses Ziel durch bundesweit einheitliche Standards, die Klimaschutz und Klimafolgenanpassung als Teil der Gesundheitsversorgung beschreiben.
Deutschland hat sich das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu sein, vgl. § 3 Klimaschutzgesetz und die Klimaschutzgesetze der Länder. In allen Produktionssektoren (vgl. Anlage 1 zu § 5 KSG) sollen sich die Treibhausgas-(THG)-Emissionen verringern.
Das Gesundheitswesen kann hierzu einen erkennbaren Beitrag leisten. Ungefähr 6 % des gesamten THG-Fußabdrucks1 in Deutschland gingen 2019 allein auf das Gesundheitswesen zurück (rd. 68 Mio. t CO2-Äquivalente).2 Von den THG-Emissionen des Gesundheitswesens entfallen rd. 42 % auf den Sektor Energie, 21% auf den Sektor Industrie, 17% auf den Sektor Gebäude und 14% auf den Sektor Verkehr.3 36% der THG-Emissionen im Gesundheitswesen entstehen durch stationäre und teilstationäre Einrichtungen.4 Der Anteil der Krankenhäuser daran beträgt ca. 64%.5 Das sind mehr als 15,5 Mio. t CO2-Äquivalente.
Das Gesundheitswesen in Deutschland treibt den Klimawandel einerseits also mit an. Andererseits ist es, vor allem in der Gesundheitsversorgung, von den Folgen des Klimawandels betroffen.6
Die Auswirkungen des Klimawandels auf die menschliche Gesundheit sind vielfach untersucht. Hitzetote7, Hitze- und Hitzefolgeerkrankungen, Gesundheitsschäden durch Schadstoffbelastungen in Dürreperioden oder durch Infektionen aufgrund invasiver Erreger oder Überträger8, durch Erkrankungen, Verletzungen und Todesfälle aufgrund von Extremwettereignissen oder -perioden9 sind bereits messbar.10
Aber die Auswirkungen reichen darüber hinaus und verändern Versorgungsprozesse und -strukturen. Erkenntnisse zu den Auswirkungen von Hitze auf die Wirkung von Arzneimitteln im menschlichen Körper und die daraus folgenden notwendigen Anpassungen von Behandlungsprozessen sind, teilweise in Übersichten zusammengefasst, beschrieben.11 Veränderte klimatische Bedingungen beeinflussen die Hygiene- und Arbeitsbedingungen.12 Darüber hinaus werden Gesundheitseinrichtungen unmittelbar oder mittelbar Opfer des Klimawandels durch Unwetter- oder Extremwetterereignisse, die deren Gebäude betreffen oder die Versorgungsinfrastrukturen und -prozesse stören.13 Die Gesundheitsversorgung der Zukunft kann daher nur nachhaltig sein, wenn sie auch resilient ist.
Der Begriff „Gesundheitsversorgung“ umfasst alle Organisationen, Strukturen und Prozesse, die der Förderung der Gesundheit, der Vorbeugung von Krankheiten, der medizinischen und therapeutischen Behandlung, der Rehabilitation und der Pflege dienen.14
Die Vorbeugung von Krankheiten ist Gegenstand der Prävention. Präventionsmaßnahmen knüpfen sowohl am Verhalten des Einzelnen als auch an gesundheitsrelevanten Lebensbedingungen an. Sie lassen sich u.a. in drei Stufen unterteilen: vor Beginn einer Krankheit (Primärprävention), im Frühstadium einer Krankheit (Sekundärprävention) und nach Manifestation einer Krankheit (Tertiärprävention).15 Maßnahmen der Sekundär- und Tertiärprävention beziehen sich zumeist auf eine konkrete Erkrankung. Primärprävention dagegen betrifft Maßnahmen zur Vermeidung oder Verringerung von Gesundheitsrisiken für gesunde Menschen; sie können, müssen aber nicht auf bestimmte Krankheiten bezogen sein.16
Da die mittelbaren und unmittelbaren negativen Folgen des Klimawandels auf die Gesundheit und die Risiken für klimawandelassoziierte Erkrankungen bekannt sind, können hieran auch primärpräventive Maßnahmen geknüpft werden.17 Der wichtigste primärpräventive Beitrag ist die Verringerung von THG-Emissionen, weil nur dadurch die Erderwärmung gestoppt und Umweltbedingungen gewahrt werden können, unter denen gesundes menschliches Leben (noch) möglich ist. Für Einrichtungen der Gesundheitsversorgung sollte das selbstverständlich sein.
Die Gesundheitsversorgung in Deutschland wird in drei wesentliche Bereiche unterteilt: Die Primärversorgung (ambulante ärztliche Behandlung), die Akutversorgung (stationäre Versorgung im Krankenhaus) und die Rehabilitation.18
Krankenhäuser sind Einrichtungen, in denen durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistung Krankheiten, Leiden oder Körperschäden festgestellt, geheilt oder gelindert werden oder Geburtshilfe geleistet wird und in denen die zu versorgenden Personen untergebracht und verpflegt werden können, § 2 Nr. 1 KHG. Ihre Aufgabe ist die qualitativ hochwertige, patienten- und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung, § 1 KHG.
Krankenhäuser werden vor allem als Einrichtungen zur Behandlung bereits eingetretener Erkrankungen verstanden, vgl. §§ 27 Abs. 1 Nr. 5, 107 Abs. 1 SGB V. Sie erbringen zwar auch Leistungen der Sekundär- oder Tertiärprävention. Primärpräventive Leistungen werden mit ihnen jedoch weniger in Verbindung gebracht, insbesondere nicht in Hinblick auf die qualitativen Anforderungen, die an die akut-stationäre Gesundheitsversorgung gestellt werden.
Qualität in der Gesundheitsversorgung bemisst sich vor allem an Ergebnissen (z.B. Anzahl und Dauer von Behandlungen oder Komplikationen) und an personellen und technischen Strukturen (z.B. Anzahl und Qualifikation des Personals oder die medizintechnische Ausstattung), vgl. § 136b SGB V. Zwar weisen die gesetzlichen Regelungen im SGB V auf ein weitergehendes Qualitätsverständnis hin. So verpflichtet § 135a Abs. 1 SGB V die Leistungserbringer allgemein zur kontinuierlichen Verbesserung und Weiterentwicklung der Qualität, jedoch gehen die spezielleren Regelungen der § 136 ff. SGB V vor.19
Mit der Hervorhebung von Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität nimmt der Gesetzgeber Bezug auf die auf Donedebian zurückgehenden Ansätze zur Messung der Qualität der medizinischen Versorgung im Verhältnis zwischen Arzt und Patient.21 Danach sind nicht nur die Ergebnisse einer Behandlung, sondern auch der Behandlungsprozess selbst und die Strukturen, in denen er stattfindet, zu betrachten, um den komplexen Bedingungen bei der Messung der Versorgungsqualität Rechnung zu tragen.
Die Betrachtung des Behandlungsprozesses selbst (Prozessqualität) wird damit begründet, dass sich die Qualität einer Behandlung nicht allein nach der Leistungsfähigkeit der Medizintechnik bemisst, sondern daran, ob die jeweils aktuelle „gute medizinische Praxis“ Anwendung findet.22 Eine gute medizinische Versorgung setzt entsprechende strukturelle Bedingungen voraus, unter denen sich die Behandlungsprozesse abspielen.23 Dazu gehören neben der Qualifikation des medizinischen Personals und dessen Organisation, unter anderem die Angemessenheit von Einrichtungen und Ausrüstung, die Verwaltungsstruktur oder auch die finanzielle Organisation.24
Ein indikations- und behandlungsbezogenes, auf Ergebnisse, Technik und Personal beschränktes Qualitätsverständnis, wie es sich im Gesetz abbildet25 und auch in den Regelungen zum Qualitätsbericht der Krankenhäuser zum Ausdruck kommt26, kann dagegen nur einen Ausschnitt der Bedingungen erfassen, die auf die Behandlung und deren Qualität einwirken. Die jede Art der Behandlung mittelbar oder unmittelbar beeinträchtigenden Folgen des Klimawandels lassen sich so nur unzureichend berücksichtigen.
Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) empfiehlt in einem Gutachten Planetary Health Care als Ansatz für eine Nachhaltigkeitstransformation des deutschen Gesundheitswesens.27 Danach sind drei Prinzipien für eine nachhaltige Gesundheitsversorgung maßgebend28:
Mit der zunehmenden Alterung der Bevölkerung, komplexer werdenden Diagnose- und therapeutischen Verfahren und durch eine immer besser werdende medizinische Versorgung steigt die Nachfrage nach medizinischen Leistungen. Primärpräventive Maßnahmen können und sollen die Gesundheit so stärken und erhalten, dass eine Nachfrage nach medizinischen Leistungen schon nicht entsteht. Das verlangt allgemein eine auf Primärprävention ausgerichtete Politik, nicht zuletzt durch eine saubere und sichere Umwelt. 29
Das Fünfte Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB V) regelt und definiert Primärprävention in einem eigenen Abschnitt. § 20 Abs. 1 SGB V verpflichtet die Krankenkassen zu Leistungen zur Verhinderung und Verminderung von Krankheitsrisiken (primäre Prävention) sowie zur Förderung des selbstbestimmten gesundheitsorientierten Handelns der Versicherten (Gesundheitsförderung). Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat unter Einbeziehung des Sachverstands der Medizin, der Gesundheits-, Pflege- und Sozialwissenschaften einheitliche Handlungsfelder und Kriterien für die Leistungen der Krankenkassen zu bestimmen, deren Ziele nach Bedarf, Zielgruppen, Zugangswegen, Inhalt, Methodik, Qualität, intersektoraler Zusammenarbeit, wissenschaftlicher Evaluation einschließlich der Messung der Zielerreichung festzulegen sind, § 20 Abs. 2 SGB V. Darüber hinaus ist von den Sozialversicherungsträgern eine nationale Präventionsstrategie zu entwickeln, §§ 20d f. SGB V, die maßgeblich durch Rahmenvereinbarungen auf Länderebene umgesetzt wird, § 20f SGB V.
Eine Nachhaltigkeitstransformation der Gesundheitsversorgung kann nur gelingen, wenn der Klimawandel und dessen Auswirkungen in die nationale Präventionsstrategie Eingang finden und zu Maßnahmen veranlassen. Deshalb sind in die Präventionsstrategie auch der umweltmedizinische Sachverstand und die Erkenntnisse der Klima- und Klimafolgenforschung einzubeziehen. Zum Erhalt gesundheitsförderlicher oder zumindest nicht -beeinträchtigender Umweltbedingungen durch Verringerung des THG-Fußabdrucks sowie zum Erhalt von Bedingungen für eine angemessene Gesundheitsversorgung durch Maßnahmen zur Klimafolgenanpassung müssen außerdem alle Akteure gemeinsam beitragen. Insoweit können die Krankenkassen hierfür nicht allein verantwortlich sein. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass die Transformation des Gesundheitswesens zu einem nachhaltigen Gesundheitswesen als Teil einer umfassenden gesellschaftlichen Transformation zu verstehen ist.30
Eine bedarfs- und patientengerechte Behandlung ist nicht nur eine Maßnahme, die die Gesundheit und das Wohlbefinden des Patienten in den Mittelpunkt rückt;31 sie schont auch personelle, sachliche und finanzielle Ressourcen.
Die patienten- und bedarfsgerechte Versorgung ist wegen der erstrebten Qualität und Wirtschaftlichkeit bereits mehrfach gesetzlich verankert, vgl. §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 12, 70 Abs. 1, 73 Abs. 4, 106a Abs. 2. 135a Abs. 1 SGB V. § 1 Abs. 1 Satz 6 der auf § 136 Abs. 1 SGB V gründenden Qualitätsmanagement-Richtlinie des G-BA nennt ausdrücklich die patientenorientierte Prozessoptimierung und die Patientenzufriedenheit als Ziele. Nach § 1 KHG gehört eine patienten- und bedarfsgerechte Versorgung zu den Grundsätzen der akut-stationären Versorgung. Auch § 630a Abs. 2 BGB konkretisiert – letztlich ebenfalls im Sinne von Qualität und Wirtschaftlichkeit – die allgemeinen vertraglichen Sorgfaltspflichten aus dem Behandlungsvertrag dahingehend, dass eine Behandlung geschuldet ist, die nach dem jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der ärztlichen Erfahrung zur Erreichung des ärztlichen Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat.32
Fehl-, Über- oder Unterversorgung verschwenden nicht nur Ressourcen und sind schon allein deshalb nicht als nachhaltig anzusehen. Im schlimmsten Falle bleibt (oder wird) die Gesundheit (weiter) beeinträchtigt. Es müssen weitere medizinische oder pflegerische Leistungen in Anspruch genommen werden und die Nachfrage steigt. Zunehmend wendet sich daher auch die Versorgungsforschung diesem Thema zu.33
Ein erfolgreicher Kampf gegen Fehl-, Über- und Unterversorgung setzt zudem ein Vergütungssystem voraus, dass Anreize für eine gute medizinische Praxis setzt und entsprechendes patientenorientiertes Handeln belohnt.34 Vor diesem Hintergrund ist eine Anpassung der Gebührenordnung der Ärzte, die die menschliche Zuwendung zum Patienten (sog. sprechende Medizin) honoriert, grundsätzlich zu begrüßen.35
Jede Gesundheitseinrichtung kann ihre Strukturen und Prozesse im Sinne einer Verminderung der unmittelbaren und mittelbaren THG-Emissionen ausrichten.
Nach dem Green House Gas (GHG-)Protocol werden THG-Emissionen nach 3 Scopes unterschieden.36 Gesundheitseinrichtungen können ihre direkten (Scope 1-)Emissionen senken, indem sie beispielsweise bei der Energieerzeugung anstelle fossiler Energiequellen erneuerbare Energien aus Windkraft, Solarenergie oder -thermie oder Wasserkraft nutzen oder ihren Energieverbrauch reduzieren. Sie können (Scope 2-)Emissionen senken, in dem sie Energie aus erneuerbaren Energiequellen einkaufen. Schließlich können die verursachten (Scope 3-)Emissionen aus vor- und nachgelagerten Versorgungsketten beispielsweise durch eine nachhaltige Gestaltung der Einkaufspolitik, Abfallvermeidung oder Anpassung der Transportlogistik und -mittel verringert werden.37 Allein die zeitliche Zusammenlegung unterschiedlicher Untersuchungen für Patienten verringert den Individualverkehr und dadurch verursachte Emissionen.38 Auch die virtuelle Kommunikation kann THG-Emissionen mindern, beispielsweise durch Aufklärungsgespräche in digitaler Form.39
Wie den einleitenden Ausführungen entnommen werden kann, sind gerade stationäre Einrichtungen wie Krankenhäuser aufgerufen, THG-Emissionen einzusparen. Auch wenn Investitionen in hierauf gerichtete Maßnahmen nicht von der Investitionskostenförderung der Bundesländer umfasst oder Mehrkosten durch Umstellung auf nachhaltige Strukturen und Prozesse nicht in den Pflegesätzen berücksichtigt sind40, heißt das nicht, dass solche Maßnahmen nicht zulässig wären. Es bedeutet nur, dass die Krankenhausträger die Kosten hierfür außerhalb der gesetzlichen Krankenhausfinanzierung decken müssen. Das kann auch durch anderweitige Förderprogramme geschehen.41
Maßnahmen zur Verringerung von THG-Emissionen werden von den Krankenhausträgern in der Regel dann ergriffen, wenn sich die damit verbundenen Investitionen kurz- oder mittelfristig auszahlen, wie bei der Einsparung von Energie oder Abfall oder wenn sich Krankenhausträger hierdurch anderweitig einen Vorteil, z.B. im Wettbewerb um Fachkräfte oder Patienten erwarten.
Das entspricht zwar in einzelnen Aspekten den Planetary Health Care-Prinzipien, stellt aber noch keinen systematischen Ansatz für eine Nachhaltigkeitstransformation dar. Unverbindliche Empfehlungen und Absichtserklärungen42 genügen für die Sicherstellung einer allgemein zugänglichen und qualitativ hochwertigen akut-stationären Versorgung unter den Folgen des Klimawandels ebenfalls nicht. Insoweit sind auch die zahlreichen freiwilligen Initiativen für mehr Nachhaltigkeit, v.a. in der akut-stationären Versorgung43, die praktizierenden Best-Practice-Beispiele44 , auch wenn sie teilweise staatlich unterstützt werden, oder die seit vielen Jahren auf den Markt gebrachten Dekarbonisierungs- und Nachhaltigkeitsangebote für Krankenhäuser45, noch nicht der Beginn einer allgemeinen Lenkung der Gesundheits- und insbesondere der Akutversorgung zu mehr Nachhaltigkeit. Sie sind teilweise zeitlich beschränkt, den Interessen ihrer Initiatoren unterworfen und neben den finanziellen und personellen Ressourcen, die den teilnehmenden Einrichtungen für die Umsetzung solcher Maßnahmen zur Verfügung stehen auch abhängig vom Nachhaltigkeitsbewusstsein der Beschäftigten in den Krankenhäusern.46 Indem sich der Staat auf ein solches Vorgehen beschränkt, überlässt er das Thema Nachhaltigkeit den unterschiedlichen Akteuren innerhalb und außerhalb der Gesundheitsversorgung, die eigene Ziele und Interessen verfolgen.
Allerdings lassen sich aus den Initiativen und Best-Practice-Beispielen wichtige Informationen und Erkenntnisse über geeignete Nachhaltigkeitsmaßnahmen gewinnen, die die als Grundlage für eine allgemeine Nachhaltigkeitstransformation der Gesundheitsversorgung dienen können und sollten. Sie werden deshalb teilweise wissenschaftlich begleitet47 und die Wirksamkeit der unterschiedlichen Maßnahmen wird untersucht. Eine Gruppe australischer Wissenschaftler hat die internationale Literatur zu Strategien und Taktiken zur Reduzierung der THG-Emissionen systematisch ausgewertet, verschiedene Ansätze auf Makro-, Meso- und Mikroebene der Gesundheitsversorgung untersucht und übergreifende Strategien, Modelle und Instrumente identifiziert, die zur Dekarbonisierung der Gesundheitsversorgungssysteme eingesetzt werden könnten, um bis zum Jahr 2050 eine Netto-Null-Emission zu erreichen.48
Das Deutsche Krankenhausinstitut (DKI) hat Ergebnisse einer Studie zu Klimaschutzmaßnahmen im Krankenhaus veröffentlicht, in denen die 3 wirksamsten Maßnahmen in verschiedenen Feldern des Krankenhausbetriebs analysiert und benannt werden.49
Maßnahmen mit Auswirkungen auf die Patientenversorgung werden jedoch nur dann erfolgreich umgesetzt werden können, wenn Alternativen mit einem geringeren THG-Fußabdruck im Vergleich zu den derzeitigen Praktiken gleiche oder bessere Ergebnisse für die Patienten bieten und von den Patienten akzeptiert und unterstützt werden. 50 Nur so lässt sich der Anspruch einer ökologisch nachhaltigen Gesundheitsversorgung mit dem Auftrag einer patienten- und bedarfsgerechten Gesundheitsversorgung vereinbaren.51
Während der Bundesgesetzgeber und die Parlamente der Länder mit ihren jeweiligen Klimaschutzgesetzen sektorenbezogene Nachhaltigkeitsziele gesetzlich verankert haben, fehlt es im Bereich der Gesundheitsversorgung an einer vergleichbaren Zielsetzung52, die die diese Klimaschutzziele unterstützt. Weder ist die nachhaltige Gesundheitsversorgung ein gesetzlich festgeschriebenes Ziel, das alle Beteiligten adressiert noch werden Instrumente oder Methoden festgelegt, die die Gesundheitsversorgung in eine nachhaltige Richtung lenken.
Die geplante Reform der Krankenhausstrukturen und der Krankenhausvergütung durch das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG)53 hätte die Möglichkeit geboten, die bisherigen Erkenntnisse über besonders effektive Maßnahmen zur Verringerung des THG-Fußabdrucks und die notwendigen Maßnahmen zur Klimafolgenanpassung als Teil der Behandlungsqualität aufzugreifen und zu einem gesetzlichen Ziel für eine nachhaltige akut-stationäre Versorgung zu verdichten. So könnte ein erster Schritt zu einer umfassenden Nachhaltigkeitstransformation des Gesundheitswesens unternommen werden. Die ökologische Nachhaltigkeit der Akutversorgung spielt im aktuellen Gesetzesentwurf allerdings keine Rolle. Mit ihrem Vorhaben „Hitzeschutzplan für Gesundheit“54 , im Rahmen dessen den Gesundheitseinrichtungen Konzepte zum Hitzeschutz überlassen werden sollen, zeigt die Bundesregierung zwar, dass sie insbesondere Klimaanpassungsmaßnahmen als Teil der Strukturbedingungen der akutstationären Versorgung erkannt hat. Es werden aber in der Krankenhausreform keine Grundlagen in diese Richtung gelegt:
Nach einem neu einzuführenden § 6a Abs. 1 Satz 2 KHG sollen den jeweiligen Krankenhausstandorten, die die entsprechenden Mindestqualitätsanforderungen gemäß §§ 135e Abs. 2, 135f SGB V-E erfüllen, Leistungsgruppen zugewiesen werden. Die Mindestqualitätsanforderungen in § 135e Abs. 2 SGB V-E betreffen vorrangig Anforderungen an die medizintechnische und personelle Ausstattung. Mit der geplanten Einführung eines neuen § 135e SGB V bliebe für die Berücksichtigung des Klimawandels und dessen Folgen auf die Struktur- und Prozessbedingungen einer Behandlung nur ein begrenzter Raum, weil sich die Regelung sonstiger Struktur- und Prozessbedingungen nur auf die zugewiesenen Leistungsgruppen und somit auf die zugeordneten Behandlungen bezieht, § 135e Abs. 1 Nr. 2 d) SGB V-E.55 Damit wird letztlich an dem engen, auf eine bestimmte Behandlung bezogenen Verständnis von Struktur- und Prozessqualität festgehalten. § 136 SGB V soll nach dem geplanten KHVVG dahingehend angepasst werden, dass der G-BA die Mindestqualitätsanforderungen nur noch insoweit bestimmt, als diese nicht bereits durch eine Rechtsverordnung nach § 135e Abs. 1 SGB V-E festgelegt werden.56 So sollen Widersprüche vermieden werden.57 Das schränkt die Möglichkeiten des G-BA, allgemeine Struktur- und Prozessbedingungen für eine an die die Auswirkungen des Klimawandels angepasste künftige akut-stationäre Versorgung als Qualitätsmerkmal zu formulieren58, weiter ein.
Solange Maßnahmen zur Verringerung des THG-Fußabdrucks und zur Klimafolgenanpassung nicht Teil der Anforderungen an die akutstationäre Versorgung im Sinne des § 1 KHG oder der sozialrechtlichen Anforderungen sind, werden sie nach der derzeitigen Struktur der Krankenhausfinanzierung in Deutschland von den Pflegesätzen und der Investitionskostenförderung nicht erfasst.
Um die Kosten einer Nachhaltigkeitstransformation gutachterlich ermitteln zu lassen, hatte die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW) ein eigenes Zielbild für ein klimaneutrales Krankenhaus entwickelt.59 Das Gutachten hat allein für Nordrhein-Westfalen einen Bedarf von 3 Mrd. Euro nur für Maßnahmen zur Verringerung der THG-Emissionen ermittelt; durchschnittlich entfallen damit auf jedes Krankenhaus in Nordrhein-Westfalen 10 Mio. Euro.60 Diese müssten durch Pflegesätze, Investitionskosten- oder eine fondsgebundene Förderung oder aus eigenen Gewinnen und Einsparungen finanziert werden.
Insbesondere Investitionen in bauliche Maßnahmen zur Verbesserung der Gebäudestruktur und Infrastruktur der Krankenhausstandorte, z.B. für Dämm- Kühlungs- und Verschattungsmaßnahmen, für Flächenentsiegelungen etc. können im Rahmen der Investitionskostenförderung nur berücksichtigt werden, wenn es sich um bedarfsnotwendige Maßnahmen im Rahmen eines geförderten Neu- oder Umbaus handelt, die aufgrund der hohen Anforderungen, beispielsweise durch das Gebäudeenergiegesetz (GEG), gefordert sind.61 Auch die Fördertatbestände des Krankenhausstrukturfonds (KHSF) oder des Krankenhauszukunftsfonds (KHZF) verfolgen keine Nachhaltigkeitsziele.
Wie die Ausführungen unter 3. zeigen, lassen sich die Prinzipien des Planetary Health Care-Ansatzes aus rechtlicher Sicht – soweit nicht ohnehin schon enthalten – in das in Deutschland bestehende System der Gesundheitsversorgung integrieren.
Voraussetzung dafür ist die politische Entscheidung für eine nachhaltige Gesundheitsversorgung als übergeordnetes Ziel. Die gesetzlichen Regelungen sind unter einer solchen Zielstellung zu überprüfen und anzupassen. Das gilt insbesondere für die nationale Präventionsstrategie, durch die die Verringerung des THG-Fußabdrucks zu einem selbstverständlichen Bestandteil der Gesundheitsversorgung werden könnte. Auch in den Regelungen des SGB V zu den inhaltlichen und prozessualen Anforderungen an die Qualität der Gesundheitsversorgung müssen der Klimawandel und dessen Folgen in die Mindestanforderungen an die Struktur- und Prozessbedingungen Eingang finden, um bundeseinheitliche Qualitätsstandards sicherzustellen.
Die Qualitätsberichte und die nach EU-Recht erforderliche Nachhaltigkeitsberichterstattung, die vor allem Krankenhäuser mit einer hohen Bettenanzahl treffen wird,62 sollten dabei so miteinander verknüpft sein, dass Teile der Nachhaltigkeitsberichterstattung in den Qualitätsbericht einbezogen werden können.
Die langjährigen Erfahrungen mit Nachhaltigkeitsmaßnahmen und Best-Practice-Beispielen aus dem Krankenhausbetrieb und die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen, dass Maßnahmen für eine nachhaltige Gesundheits-, insbesondere Krankenhausversorgung umsetzbar sind und Erfolge erzielen.63 Das gilt nicht nur für die Verringerung von THG-Emissionen als primärpräventive Maßnahme, sondern auch für Maßnahmen zur Klimafolgenanpassung, die die Behandlungsqualität der Patienten durch Anpassung von Prozessen und Strukturen langfristig sichern. Es sind zwei Seiten einer Medaille.
Das sollte sich auch als Grundsatz in § 1 KHG widerspiegeln, der eine qualitativ hochwertige, patienten- und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen, resilienten, digital ausgestatteten, qualitativ hochwertig, nachhaltig und eigenverantwortlich wirtschaftenden Krankenhäusern vorgibt. Eine solche Regelung würde schließlich auch die Investitionskostenförderung für entsprechende Maßnahmen öffnen.
Die in den letzten Jahren gewonnenen Erkenntnisse zu einem nachhaltigen Krankenhausbetrieb lassen sich auch auf andere stationäre Einrichtungen außerhalb der Akutversorgung, beispielsweise der Rehabilitation oder Pflege übertragen. Schließlich werden auch Adaptionen auf teilstationäre und ambulante Einrichtungen möglich sein. Es liegt also nahe, die Akutversorgung zum Vorreiter einer Nachhaltigkeitstransformation der Gesundheitsversorgung zu machen. Die durch das KHVVG verfolgten Reformansätze könnten dazu mit dem Planetary Health Care-Ansatz verknüpft werden.
Das KHVVG will die Finanzierung der Betriebskosten der Krankenhäuser verändern, ohne das seit 1972 geltende Grundprinzip der dualen Finanzierung der Kosten der Krankenhäuser anzutasten. Daneben hat sich eine fondsgestützte Finanzierung für besonders erwünschte Maßnahmen etabliert64, die mit dem KHVVG fortgesetzt werden soll. Die Erfüllung von qualitativen Mindestanforderungen als Voraussetzung für die Erbringung bestimmter, in Gruppen zusammengefasster Behandlungsleistungen sowie die Einrichtung eines langfristigen Transformationsfonds für investive Maßnahmen sind Ansätze, auf die sich auch eine Nachhaltigkeitstransformation stützen ließe.65
Mit der geplanten Einführung eines neuen § 6b in das Krankenhausfinanzierungsgesetz sollen die Krankenhausplanungsbehörden die Möglichkeit erhalten, den Krankenhausstandorten Koordinierungs- und Vernetzungsaufgaben zuzuweisen. Nachdem die Anpassung der Patientenversorgung an die Folgen des Klimawandels erheblicher Anstrengungen durch die stationären Einrichtungen bedarf, wäre es folgerichtig, diese Regelung um klimawandelbezogene Maßnahmen zu ergänzen und darauf gerichtete Kooperationen mit anderen Einrichtungen innerhalb und außerhalb der akut-stationären Versorgung zu unterstützen. So lassen sich Kooperationen zwischen Einrichtungen der verschiedenen Bereiche der Gesundheitsversorgung, beispielsweise zur gemeinsamen Anlage von Reservoirs zur Sicherstellung der Trinkwasserversorgung in Dürreperioden oder eine Verteilung von Aufgaben während besonders beanspruchender Wetterbedingungen, wie Hitze, Hochwasser oder ähnliche Maßnahmen vorstellen. Das würde zugleich sektorenübergreifende Strukturen stärken.
Die klassische Investitionskostenförderung berücksichtigt in der aktuellen Ausgestaltung den Klimawandel und dessen Folgen nicht und ist deshalb für eine Nachhaltigkeitstransformation der Krankenhäuser nicht ausreichend (s. unter 4.).
Die durch das KHVVG weiter verfolgte strukturelle Bereinigung der Krankenhauslandschaft durch die geplante Fortführung des KHSF als Transformationsfonds sollte nicht nur auf größere, sondern auch auf nachhaltige Einrichtungen der akut-stationären Versorgung zielen. Die geplante Regelung des § 12b KHG-E sollte daher um einen entsprechenden Fördertatbestand ergänzt werden. Damit wären noch weitere förderliche Aspekte verbunden: Die in der Taxonomieverordnung66 formulierten Anforderungen an Nachhaltigkeit wären für die Krankenhäuser leichter erreichbar; sie könnten so künftig Kosten für die Inanspruchnahme von Finanzdienstleistungen senken.67
Die Finanzierung von Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel wird nach Inkrafttreten des KHVVG in der aktuellen Entwurfsfassung nicht einfacher werden, weil die Möglichkeiten, Gewinne aus den Fallpauschalen zu erzielen, geringer werden.68 Derzeit lassen sich aber reine Nachhaltigkeitsmaßnahmen nur aus Gewinnen oder Einsparungen bestreiten. Erst durch die gesetzliche Verankerung einer Gesundheitsversorgung, die den Klimawandel und dessen Folgen berücksichtigt, können daraus entstehende Kosten in die Kalkulation der Pflegesätze eingehen. So könnten die damit verbundenen Sachkosten bei der Berechnung der mit dem KHVVG geplanten Vorhaltevergütung berücksichtigt werden. Das schon bestehende Personalbudget bedürfte vor dem Hintergrund notwendiger Klimaanpassungsmaßnahmen einer Erweiterung: Bisher wird das Personalbudget zweckgebunden für die Beschäftigung von Pflegepersonal bereitgestellt, Mittel, die dafür nicht verwendet werden, sind zurückzuzahlen.69 Strukturqualität hängt aber nicht nur von der formalen Qualifikation und der Anzahl des Personals ab. So ist auch eine kontinuierliche Fortbildung über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit erforderlich. Qualität in der Pflege gibt es darüber hinaus nur, wenn die Pflegekräfte auch vor Ort sind und nicht durch ungesunde Arbeitsbedingungen krankheitsbedingt ausfallen. Die aktuelle Zweckbindung des Personalbudgets lässt für entsprechende Maßnahmen keinen Raum.
Mit der Krankenhausreform wird unter anderem eine leitlinienangepasste Versorgung angestrebt, vgl. § 135e Abs. 4 Satz 2 SGB V-E. Die Bestimmung der Versorgungsqualität durch Verweis auf den durch die Leitlinien der Fachgesellschaften geprägten Fachstandard wäre aber ein nur wenig geeigneter Ansatz für eine Nachhaltigkeitstransformation.
Damit würde die Bestimmung der qualitativen Anforderungen an die Struktur- und Prozessbedingungen auf die Fachgesellschaften übergewälzt, die vor allem die evidenzbasierte Festlegung von Standards hinsichtlich der Notwendigkeit von Eingriffen und des Eingriffsprozesses zusammenfassen und konsentieren. Die Einbeziehung von Planetary Health in die Leitlinienentwicklung wird in den Fachgesellschaften derzeit zwar diskutiert. Allerding befinden sich diese Diskussionen erst am Anfang.70 Ob und wie dieser Aspekt Eingang finden kann und wird, ist noch vollkommen offen.
Das Gesundheitswesen in Deutschland trägt durch seine THG-Emissionen signifikant zum Klimawandel bei und die Folgen wirken auf die Gesundheitsversorgung selbst zurück. Das gilt nicht nur allgemein für die sich verschlechternden Gesundheitsbedingungen, sondern auch für die Qualität der Behandlung unter den Auswirkungen des Klimawandels.
Die gesetzliche Verankerung des Ziels einer nachhaltigen Gesundheitsversorgung ist längst geboten. Klimaschutz und Klimafolgenanpassung müssen selbstverständlicher Bestandteil primärpräventiver Maßnahmen und Qualitätsanforderungen in der Gesundheitsversorgung sein.
Die Nachhaltigkeitstransformation könnte – aufbauend auf den jahrelangen Erfahrungen mit entsprechenden Maßnahmen in der Akutversorgung – mit der Erweiterung der Grundsätze in § 1 KHG um eine nachhaltige und resiliente Krankenhausversorgung beginnen und über die Formulierung genereller Anforderungen an die Struktur- und Prozessbedingungen der Gesundheitsversorgung mittelfristig auf alle Bereiche der Gesundheitsversorgung erstreckt werden.
Das geplante KHVVG als Teil der aktuellen Krankenhausreform enthält verschiedene Ansätze, auf die – beispielsweise über die Integration der Planetary Health Care Prinzipien – der erste Schritt zu einer umfassenden Nachhaltigkeitstransformation der Gesundheitsversorgung gesetzt werden könnte.