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(K)ein Modell für Deutschland?
Zitiervorschlag: Eberle, LR 2020, S. 175, [●], www.lrz.legal/2020S175
Weitgehend unbeachtet hat der Finanzausschuss jüngst der sogenannten „Regulatory Sandbox“ für Deutschland eine Absage erteilt. Nach wie vor gibt es in Deutschland damit keine Möglichkeit für junge Finanzunternehmen, insbesondere aus der StartUp-Szene, innovative Geschäftsmodelle in einem begleiteten Verfahren unter Erleichterungen von aufsichtsrechtlichen Vorgaben und in enger Zusammenarbeit mit den zuständigen Aufsichtsbehörden zunächst auf eine Marktfähigkeit zu testen. Der nachfolgenden Kurzbeitrag stellt die jüngste Entscheidung des Finanzausschusses dar und gibt einen knappen Überblick über die Situation in Nachbarländern sowie europäische und internationale Bestrebungen bevor der Autor kurz die Auswirkungen des eher starren deutschen Aufsichtsregimes auf die - vorgeblich doch allseits gewünschte - Innovation in der deutschen Finanzdienstleistungsbranche skizziert.
Am 16. Juni 2020 lehnte der Finanzausschuss des Bundestags einen von der FDP-Fraktion eingebrachten Antrag ab, der die Einführung von „Erprobungszonen für FinTechs nach dem Beispiel der britischen Regulatory Sandboxes“ forderte. In der hierzu vom Bundestag ausgegebenen Pressemitteilung heißt es, für die CDU/CSU-Fraktion hätten sich „viele Punkte aus dem FDP-Antrag schon erledigt“, es drohten „bei den Sandboxes Probleme mit dem Europarecht“. Die SPD-Fraktion lehnt Sandboxes unter Verweis auf den Verbraucherschutz rundheraus ab. Die Linke ebenso, vergaß dabei aber nicht den Hinweis, dass „die Regulatorik im Finanzbereich (…) insgesamt unzureichend (sei).“ Die AfD schließlich ließ in atemberaubender Perplexität berichten, insgesamt erkenne sie in Deutschland „überbordende Regulatorik“, warf der FDP-Fraktion aber im gleichen Papier vor, „mit dem Antrag ihre Klientel begünstigen zu wollen.“
Nun muss man den gesamten Vorgang gewiss im Lichte parteipolitischen Kalküls betrachten – angefangen beim Antrag selbst und hinweg über sämtliche der vorgenannten Aussagen –, überaus bedauerlich ist die pauschale Ablehnung der Regulatory Sandbox dennoch. Und zwar nicht nur für innovative Startups und die hinter diesen stehenden Unternehmerinnen und Unternehmer. Auch für die BaFin, den Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt oder gar eine wie auch immer geartete „Technologieführerschaft“ – man denke an die groß angekündigte Blockchain-Strategie1 der Bundesregierung oder an die ganz begeistert international kommunizierte Ankündigung einer „elektronischen Inhaberschuldverschreibung2 noch für das Jahr 2020.
Nicht zuletzt ist der Vorgang für die Verbraucher in Deutschland bedauerlich – obgleich diese jedenfalls den Trost haben, dass zwischenzeitlich einige europäische Nachbarn eine Sandboxlösung eingeführt haben und selbstredend auch der deutsche Verbraucher über das Liechtensteiner Startup eine Blockchain-Anleihe zeichnen kann, jedenfalls in den meisten Fällen.3
Bedauerlich ist im Besonderen, dass die verantwortlichen Akteure anzunehmen scheinen, bei einer Regulatory Sandbox handele es sich um eine Art staatlich konzessionierten rechtsfreien Raum, in dem FinTech-Unternehmen tun und lassen können, was sie möchten, ohne dabei einem Rechtsrahmen unterworfen zu sein.
Dies ist selbstverständlich nicht der Fall. Im Gegenteil. Die Idee der Regulatory Sandbox, die in anderen – auch europäischen – Ländern überaus erfolgreich zum Einsatz kommt, ist gerade die, einen regulatorischen Rahmen für junge, innovative Unternehmen zu schaffen, die eine Entwicklung des Unternehmens hin zu einem vollregulierten Marktteilnehmer überhaupt erst ermöglicht.4 Wer jemals ein FinTech-Startup oder im Vorstadium befindliche Gründer eines solchen im Aufsichtsrecht beraten hat, der wird mit ziemlicher Sicherheit bestätigen können, dass die meisten Ideen deutscher Gründer lange vor einem solchen Markteintritt scheitern. Dies ist deshalb der Fall, weil die aufsichtsrechtlichen Anforderungen nach dem deutschen one-size-fits-all (akademischer: technologieneutralen) Modell für ein junges oder noch nicht gegründetes Unternehmen derart kostenintensiv sind, dass oftmals bereits die Gründung zu einem prohibitiv teuren Unterfangen wird. Ohne Erlaubnis nach § 32 KWG oder §§ 10, 11 ZAG lässt sich in aller Regel nicht einmal eine Geschäftsidee testen, sei sie noch so innovativ und erfolgversprechend. Um eine solche Erlaubnis zu erlangen, müssen komplexe Verfahren durchlaufen werden, die sich regelmäßig über viele Monate ziehen, hohe Gebühren5 und noch höherer Rechtsberatungskosten auslösen. Ein mittlerer fünfstelliger bis mittlerer sechsstelliger Betrag muss schon investiert werden, bevor Startup und innovationswillige Gründer auch die konzeptionell simpelste Geschäftsidee überhaupt auf ihre Marktfähigkeit testen können.
Das ist natürlich kein deutsches Spezifikum und selbstverständlich ist das Finanzaufsichtsrecht aus gutem Grund engmaschig gestrickt. Gleichwohl fällt es dem deutschen Gesetzgeber ungewöhnlich schwer, das damit verbundene Grundproblem anzuerkennen. Namentlich, dass innovative Gründerinnen und Gründer, die Digitalisierung und Finanzdienstleistungen zusammenbringen und neue – oftmals für alle Beteiligten und insbesondere für Verbraucher günstigere – Geschäftsmodelle zur Marktreife bringen möchten hierdurch entweder vollständig vom Gründen abgehalten werden oder schlicht in einem anderen europäischen Land gründen.6 In Polen, Dänemark, Litauen, den Niederladen und Großbritannien existieren bereits echte Regulatory Sandbox Modelle, in weiteren Jurisdiktionen wie beispielsweise Liechtenstein oder der Schweiz verfolgen die jeweiligen Aufsichtsbehörden einen Ansatz der kooperativen Gründung, der in Deutschland so nicht existiert und der einem Sandbox oder Innovation Hub-Modell zumindest nahekommt. Auch Frankreich verfolgt seit einigen Jahren gezielt ein solches kooperatives Lizenzierungsmodell. Spanien und Österreich stehen dem Vernehmen nach vor einer baldigen Einführung eigener Sandbox-Modelle.
Mit dem Grundsatz der Proportionalität ist der deutsche Weg nicht unbedingt vereinbar, besagt dieser doch, dass die BaFin nicht starr Aufsichtsmaßnahmen ergreifen soll, sondern die Risiken und die konkrete Relevanz eines Finanzproduktes im Einzelfall zu betrachten ist. Angemessen wäre es dann aber bei wirklich innovativen Geschäftsideen, die eben im Wortsinne etwas Neues einführen möchten, eine solche Betrachtung auch vorzunehmen. Große Relevanz wird die neue Idee zunächst nicht haben, systemische Risiken werden in aller Regel für eine längere Zeit nach Markteinführung aufgrund des zunächst eher niedrigen zu erwartenden Umsatzvolumens nicht bestehen. Damit ergeben sich auch eher weniger Risiken als bei bereits auf Marktfähigkeit getesteten, tradierten Produkten der Fall. Gleichwohl ergeben sich natürlich Risiken, die sich allerdings auch im Rahmen eines Sandbox-Verfahrens mitigieren lassen – klassischer Weise durch eine betragsmäßige Begrenzung der im Rahmen des Verfahrens pro Verbraucher zulässigen Einzelinvestition, durch eine Begrenzung auf einen Gesamtumsatz, durch detaillierte Vorgaben und eine laufende Abstimmung mit der und Reporting an die zuständigen Aufsichtsbehörden. Das bindet Ressourcen und könnte theoretisch zu einem Interessenkonflikt innerhalb der BaFin führen. Auch weitere Risiken sind denkbar und wurden in der Fachliteratur bereits in der Vergangenheit diskutiert.7
Die Einführung eines Sandbox-Verfahrens würde jedenfalls bedeuten, dass eine genau für dieses Verfahren aufgestellte Abteilung zu gründen wäre, die mit den notwendigen Ressourcen ausgestattet wäre. Ein freiwilliges Bewerbungsverfahren unter Einreichung eines Businessplans und Nachweis der Geeignetheit der beteiligten Gründer und Verantwortungsträger im Unternehmen müsste durchgeführt und die Teilnahme zeitlich beschränkt werden. Das alles wäre freilich keine echte Hürde, wollte man Innovation im Finanzsektor wirklich fördern, die Gründungsbereitschaft in Deutschland steigern und ernsthaft eine Vorreiterrolle im Hinblick auf moderne Technologien einnehmen. Hier böte sich dem deutschen Gesetzgeber ein Rückgriff auf die von der EBA im Rahmen der paneuropäischen Zusammenarbeit der nationalen Aufsichtsbehörden aufgrund des FinTech Action Plans 20188 im Joint Report on Regulatory Sandboxes and Innovation Hubs9 veröffentlichten Best Practice Regeln durchaus an.
Es bleibt zu hoffen, dass Deutschland die internationalen Entwicklungen nicht weiterhin ignoriert, denn nur dann kann Deutschland ein attraktiver Standort für innovative Unternehmen im Finanzsektor sein. Lassen wir uns hierzulande zu viel Zeit und verlieren uns weiter in politischen Ränkespielen ohne sachlich-inhaltliche Auseinandersetzung mit praktisch durchführbaren Konzepten, so bleibt (einmal mehr) nur die Hoffnung auf den europäischen Gesetzgeber10 oder – von anderen Ländern angestoßene – internationale Netzwerklösungen wie beispielsweise das von der FCA initiierte „Global Financial Innovation Network (GFIN)“.11
Klar ist jedenfalls eines: Diejenigen Länder, die den heute jungen, innovativen Unternehmen zumindest die Möglichkeit bieten, sich zu relevanten Akteuren im Finanzsektor zu entwickeln, werden diese relevanten Akteure mittelfristig auch beherbergen.
Referenzen:
1 „Wir stellen die Weichen für die Token-Ökonomie“, Blockchain-Strategie der Bundesregierung, BMWi/BMF, 8.3.2019, mit weiteren Dokumenten abrufbar unter https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/digital-made-in-de/blockchain-strategie-1546662.
2 Eckpunktepapier für die regulatorische Behandlung von elektronischen Wertpapieren und Krypto-Token, BMF/BMWi, abrufbar mit weiteren Informationen zum Thema unter https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Internationales_Finanzmarkt/2019-03-08-eckpunkte-elektronische-wertpapiere.html.
3 Zum innovativen „Blockchain Gesetz“ Liechtenstein, mit weiteren Ressourcen: https://impuls-liechtenstein.li/blockchain-gesetz/.
4 Man vergleiche hierzu nur die vorbildlich adressatengerechten Informationen der FCA zur Regulatory Sandbox in Großbritannien: https://www.fca.org.uk/firms/innovation/regulatory-sandbox.
5 Die bloße feststellende Entscheidung der BaFin, ob ein Unternehmen dem KWG und/oder ZAG unterliegt kostet bereits bei Eröffnung des Verfahrens nach § 4 KWG bzw. § 4 Abs. 4 ZAG 10.000 Euro und/oder 5.000 Euro, vgl. Ziff. 1.1.8.1 und 9.1.1.1.1 der Anlage zu § 2 Abs. 1 FinDAGKostV.
6 Mit den Worten der FCA: „(the regulatory sandbox) gives firms the regulatory certainty they need to develop their innovations and deliver them at speed, improves outcomes for consumers, encourages positive innovation domestically and internationally”, vgl. https://www.fca.org.uk/publications/research/impact-and-effectiveness-innovate sowie das dort abrufbare paper “The impact and effectiveness of Innovate”.
7 Vgl. zum vorstehenden Absatz instruktiv D. Krimphove, BKR 2018, 494, 498 f. m.w.N. sowie zur Einordnung in den europäischen Kontext Möslein/Omlor, BKR 2018, 236, insb. 238.
8 FinTech-Aktionsplan: Für einen wettbewerbsfähigen und innovativeren EU-Finanzsektor, COM(2018) 109 final.
9 Vgl. mit weiteren Ressourcen: https://eba.europa.eu/esas-publish-joint-report-on-regulatory-sandboxes-and-innovation-hubs.
10 Vgl. zum Stand der europäischen Diskussion: EBA, European Supervisory Authorities Joint Report on Regulatory Sandboxes and Innovation Hubs, abrufbar unter: https://eba.europa.eu/esas-publish-joint-report-on-regulatory-sandboxes-and-innovation-hubs, dort insbesondere S. 17 f.
11 Zum GFIN vgl. https://www.fca.org.uk/firms/innovation/global-financial-innovation-network.