Sprache auswählen
„New Work“ auch für Juristen?
Zitiervorschlag: Labudek, LR 2019, S. 192, [●], www.lrz.legal/2019S192
Die Arbeitswelt erlebt gerade machtvolle Veränderungen durch sogenannte Megatrends. Sie greifen natürlich auch in das Biotop der Rechtsexperten über. Dort kommen zusätzlich Ausprägungen des juristischen Arbeitsmarktes und Besonderheiten seiner Wertekultur dazu. Es entsteht eine Mischung aus verschiedenen, sich gegenseitig beeinflussenden Strömungen. Was bedeutet all das für die Zukunft der juristischen Berufswelt?
Die Umgestaltung der Wirtschaft hat längst begonnen. Die umfassende Digitalisierung und die Nutzung künstlicher Intelligenz verändern die Art, wie Unternehmen wirtschaften, wie sie am Markt handeln und sich nach innen organisieren. Prozessabläufe, Wertschöpfungsketten, ja ganze Geschäftsfelder verschwinden und entstehen neu. Das gab es schon immer, aber die Gründlichkeit und Geschwindigkeit sind ohne Beispiel. Schnelligkeit, Veränderungsbereitschaft und Anpassungsfähigkeit im Wettbewerbsumfeld werden, so heißt es, dramatisch zunehmen. Dies alles verändert auch die Art des Umgangs und der Zusammenarbeit. Daher kommt der schillernde Begriff „New Work“.
Die Generation Y wirkt. Die heutigen jungen Berufstätigen, so wird immer wieder gesagt, haben andere und veränderte Werte. Das sind Einsatzfreude, Flexibilität und Teamfähigkeit, aber auch die Forderung nach Fairness, Freiräumen, und Sinnstiftung. Die Suche nach Ausgewogenheit mit Bedürfnissen und Ansprüchen außerhalb der Arbeitswelt führt zu freiwilligen Beschränkungen und klaren Grenzen. Der Anspruch nach Zeitautonomie, Selbstbestimmung und Weiterentwicklung geht einher mit geringerer Loyalität zum Arbeitgeber und vermindertem Interesse an unternehmerischer Verantwortung. Wichtig sind flache Hierarchien und ein gutes Arbeitsklima, eine erkennbare Wirkung der eigenen Arbeit und keine steifen Umgangsformen.
Der juristische Arbeitsmarkt verändert sich gerade dramatisch. Die Zahl der in Deutschland ausgebildeten Volljuristen nimmt seit der Jahrtausendwende schleichend, aber kontinuierlich ab. Diese Entwicklung ist stabil, eine Wende nicht zu erwarten. Nichts deutet darauf hin, dass der Bedarf nach juristischer Expertise entsprechend sinkt. Im Gegenteil: In Justiz und Behörden wird bis 2030 dringend juristischer Nachwuchs benötigt, weil die geburtenstarken Jahrgänge in nahezu geschlossener Formation bis dahin in den Ruhestand einrücken.
Die Digitalisierung macht natürlich auch vor den Experten der Rechtsanwendung nicht halt. Sie ist offenbar hier nicht ohne Rückschläge. Die Entwicklung hin zu schnellen und intelligenten juristischen Datenbanken und automatisierter Textgestaltung wird zweifellos fortschreiten. Smart Contracts und andere Wunderwerke warten noch auf ihren Durchbruch.
LegalTech kommt, vorausgesetzt die Angebote sind relevant, benutzerfreundlich, zuverlässig und der Preis stimmt. Wer wollte nicht stupide, einfache, sich wiederholende Tätigkeiten oder zeitraubende Suchaufgaben einer Maschine überlassen und stattdessen seine kreativen Ideen umzusetzen und bestmöglich kommunizieren.
In der nicht-juristischen Arbeitswelt, erzeuge die Digitalisierung, so heißt es, mit „New Work“ gleichsam notwendigerweise ein selbstbestimmtes Arbeiten, bei dem eine sinnstiftende und fehlertolerante Führung Kreativität fördert. Routinemäßige, automatisierbare Tätigkeiten werden an den Rechner delegiert. Die „neue Arbeit“ wird durch sich selbst organisierende, aber hochmotivierte, agile Teams an wechselnden Arbeitsorten mit möglichst direkter Kommunikation für hierarchiearme und idealerweise nach demokratischen Grundsätzen geführte Unternehmen erbracht. Es darf bezweifelt werden, ob all diese Zuschreibungen an die schöne neue (Arbeits-)Welt tatsächlich dauerhaft den Sprung vom Wunsch in die Wirklichkeit schaffen. Aber es gibt durchaus erkennbare Entwicklungen in diese Richtung.
Diese Unternehmen sind die Mandanten von Anwaltskanzleien und die internen Kunden von Rechtsabteilungen. Wie schlagen diese Veränderungen zu ihnen durch? Ist eine Übertragung von New Work auf den juristischen Betrieb möglich?
Es gibt bereits heute Rechtsanwälte und -anwältinnen, die mit Laptop und Telefon erfolgreich von überall auf der Welt arbeiten. Andererseits bedeutet ein Gerichts- oder Behördentermin nun einmal, dass man sich dort physisch einfinden muss.
Juristische Dienstleistungen sind nicht fehlertolerant! Eine Klage, ein Vertrag, eine Beratung soll - aus Sicht des Nachfragers und übrigens auch des Berufsrechts - nicht mal gerade so, sondern bestmöglich sein. Auftraggeber wollen keine Risiken eingehen, wenn es um die Qualität juristischer Leistungen geht, deren Folgen für sie selbst existenziell sein können.
Ein iteratives Vorgehen wie beim „agilen Management“, d. h. eine bewusst nur auf den nächsten Schritt konzentrierte Erzeugung von Teilergebnissen und anschließenden situativ neu zu entscheidenden nächsten Schritten mag bei Softwareprojekten sinnvoll sein. Für juristische Leistungen verbietet es sich eher. Das dort bewährte strukturierte Vorgehen mit vorausschauender Planung in konkreten Lösungsvarianten, anschließender Entscheidung und sukzessiver Umsetzung erscheint nicht ersetzbar.
Wenn Kunden allerdings selbst ganz anders denken und handeln als bisher gewohnt, kann sich auch der juristische Berater dem nicht entziehen. Wenn gewohnte hierarchische Strukturen und Entscheidungswege beweglich und kurzlebig werden oder sich gänzlich auflösen, entsteht auch für diese Berater Anpassungsdruck.
Der Anwalt und der Unternehmensjurist sind Brückenbauer zwischen rechtlichen Geboten und wirtschaftlicher Freiheit. Sie müssen sich mehr denn je verständlich machen können. Erlernbares Faktenwissen wird zunehmend aus Datenbanken abrufbar und deshalb immer weniger wichtig. Andererseits schafft dies Kapazitäten für eine gründliche Methodik, für Spezialisierung und für Kommunikation mit dem Auftraggeber.
Dabei entstehen neue kulturelle Hürden. Der 24-jährige Startup-Gründer findet möglicherweise im 57-jährigen Seniorpartner seiner Anwaltskanzlei nicht den Berater, der seine Sprache spricht. Wenn Autorität und Loyalität an Bedeutung verlieren, entsteht Vertrauen aus Überzeugung und verständlicher Kommunikation.
Die Wandlung des Arbeitsmarktes von einem jahrzehntelangen arbeitgebergeprägten Anbietermarkt zu einem Arbeitnehmermarkt hat sich bereits vollzogen. Das lässt sich nicht nur am Niveau der Eingangsgehälter einiger Kanzleien ablesen, sondern auch an den erheblichen Anstrengungen, mit denen potentielle Arbeitgeber um den Nachwuchs buhlen.
Diese Situation verschafft den digitalaffinen und internetsozialisierten Nachwuchsjuristen einen besonderen Hebel. Nichts deutet darauf hin, dass die beschriebenen Werte und Haltungen der Generation Y beim juristischen Nachwuchs völlig anders wären. Sie könnte diese besondere Situation des Arbeitsmarktes nutzen, um Werte, Einstellungen und Arbeitsformen durchzusetzen, die bisher in den traditionellen juristischen Welten nicht vorkamen.
Anwaltskanzleien und Rechtsabteilungen erwächst ein dreifacher Anpassungsdruck:
Aus all dem folgen viele vorläufig noch offene Fragen: