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Beitragsreihe: LEGAL LIVE 2021 – Inhalte, Erfahrung, Feedback
Zitiervorschlag: Labudek, LR 2021, S. 108, [●], www.lrz.legal/2021S108
Permanente Kurz-URL: LRZ.legal/2021S108
Dieser Beitrag ist eine Zusammenfassung der Ergebnisse des Workshops vom 24.03.2021, der im Rahmen der LEGAL LIVE 2021, der internationalen Online-Kongressmesse für Recht und Compliance, stattgefunden hat.
Nach mehr als zwölf Monaten Pandemie lässt sich zusammenfassen:
Auch wenn die Einschränkungen beendet sind, werden wir nicht in die früheren Verhältnisse zurückkehren. Es bleibt bei virtueller Vernetzung und Kommunikation mit viel Home-Office statt Präsenzkultur.
Die bereits vor der Pandemie in internationalen Organisationen vorhandene Infrastruktur zur virtuellen Kommunikation hat sich verfestigt und verbreitet. Auch in kleineren Unternehmen und Kanzleien ist der Austausch innerhalb und außerhalb der Organisation, also auch zu Mandanten und Kunden, über Videokonferenzen und schnellen, gesicherten Datentransfer mehr und mehr zum Alltag geworden. Dies hat auch die Art der Kommunikation verändert. Sie ist verdichteter und konzentrierter. Generell wird für die Zeit nach der Pandemie erwartet, dass diese Art der Verbindung untereinander und mit Kunden und Mandanten beibehalten wird, weil sie Zeit und Kosten spart.
Andererseits wird dadurch nach Einschätzung der Teilnehmer der persönliche Kontakt, die physische Begegnung, nicht ersetzt werden können. Die persönliche Begegnung bleibt für eine gute, vertrauensvolle und nachhaltige Beziehung unverzichtbar.
Mittlerweile erwarten Mandanten von Rechtsanwaltskanzleien, aber auch Behörden und Gerichte sowie die Auftraggeber der Rechtsabteilungen von Unternehmen, dass digitale Kommunikationsmittel verfügbar, zuverlässig und datensicher vorhanden sind und von ihren juristischen „Ansprechpartnern“ kompetent beherrscht werden.
Nicht übersehen werden sollte, dass von Juristen regelmäßig erwartet wird, die Rechtslage, wie sie durch die Pandemie geschaffen und verändert wurde, zu kennen. Diese Anforderung ist angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung, der Änderungsgeschwindigkeit und der Tiefe der rechtlichen Auswirkungen nicht trivial.
Das Arbeiten mit Kollegen innerhalb der Organisation ist ebenfalls von zahlreichen Veränderungen geprägt. Einerseits werden virtuelle Meetings und Konferenzen als besonders effektiv wahrgenommen, andererseits fehlt der kurze Weg zum sozial geprägten Austausch durch persönliche Begegnungen. Insgesamt kann die erhöhte Komplexität der Informationswege zu einer erhöhten Belastung führen. Hinzu kommen „Störeinflüsse“ wie die Notwendigkeit, die eigenen Kinder im Home Office zu betreuen oder die fehlende technische Qualität der digitalen Infrastruktur im Wohnbereich. Nach einer Phase des intensiven Ausprobierens der digitalen Möglichkeiten ist nun eine Ernüchterung und Ermüdung in der Anwendung wahrzunehmen. Dies wird zu einer Konsolidierung führen. Nicht alles was technisch geht, wird dauerhaft genutzt werden.
Neue Anforderungen an juristische Experten sind daher:
- Sicherheit im Umgang mit digitalen Kommunikationsmitteln
- Kompetenz in den entsprechenden Kommunikationsstilen
- Toleranz gegenüber sozialer Isolation
- ausgeprägte Fähigkeit zur Selbstorganisation und Bewältigung von Störeinflüssen
- Bereitschaft zur Eigenständigkeit und Selbstmotivation.
Auch die Anforderungen an Führungskräfte haben sich verändert. Es muss mehr und intensiver kommuniziert werden. Die virtuelle Verständigung in beide Richtungen, also zwischen den Führenden und den Geführten, muss deutlicher und situationsgerechter ausgeprägt sein. Da es am Feedback durch die typischen nonverbalen Kommunikationselemente wie Gestik, Körpersprache, Verhalten in der Gruppe etc. fehlt, sind die übrigbleibenden Kommunikationswege umso intensiver zu nutzen. Gleichzeitig ist auf die verschiedenen Kommunikationstypen zu achten, um dem daraus folgenden unterschiedlichen Betreuungsbedarf der Mitarbeiter, aber auch der Führungskräfte, gerecht zu werden. Auf den mittlerweile erhöhten Freiheitsgrad durch „das Arbeiten auf Distanz“ ist dabei Rücksicht zu nehmen. Fehlt es an einer gelungenen Kommunikation, besteht die Gefahr, dass die zentralen Funktionen von Führung, nämlich Strukturierung, Zielsetzung, Motivation und Unterstützung, zu kurz kommen. Im schlimmsten Fall fällt das Team auseinander.
Eine besondere Herausforderung bildet dabei einmal die Berücksichtigung des mit dem Home Office entstandenen erhöhten Freiheitsgrad und die - auch schon vor Corona eingeforderte - stärkere Eigenständigkeit. Zum anderen ist die Integration neuer Mitarbeiter anspruchsvoller geworden, weil physische Präsenz am Arbeitsplatz und Kontaktaufnahme zu anderen Teammitgliedern ausfallen.
Neue Anforderungen an juristische Führungskräfte sind daher:
- erhöhte Kommunikationskompetenz
- ausgeprägtere Sensibilität gegenüber verschiedenen Kommunikationstypen
- erhöhte Anpassungsfähigkeit und situatives Führen
- Loslassenkönnen und Zulassen von Eigenständigkeit
- Vorgeben von Struktur und Zielen und das verbindliche Einfordern von Ergebnissen „auf Distanz“.
LegalTech-Anwendungen können nach Erfahrungen der Workshopteilnehmer dazu beitragen, die neue Arbeitswelt besser zu bewältigen. Dazu müssen sie die Strukturierung von Datenflüssen und die Standardisierung von Prozessen unterstützen. Entscheidend ist, dass diese Anwendungen tatsächlich helfen, die vorhandene Komplexität zu verringern und sie nicht noch zusätzlich erhöhen.
Die „neue Normalität“ wird ein gereifter und eher ausgewogener Umgang mit den Zwängen und Möglichkeiten der Arbeitsanforderungen und ihrer technischen Bewältigung sein, die in den letzten 12 Monaten ausprobiert wurden. Von Bedeutung werden dabei vor allem solche Persönlichkeitsmerkmale, die eine souveräne Bewältigung dieser Anforderungen begünstigen. Technische Anwendungen können diese Bewältigung unterstützen.
Nicht sicher ist, ob die zwangsläufig eingetretene größere Eigenständigkeit und Selbstorganisation im Home Office tatsächlich zu einer erhöhten Autonomie, also einem größeren Gestaltungsspielraum der eigenen Arbeitswelt führen werden oder ob Prozessvorgaben und Kontrollmaßnahmen eher zunehmen. Erkennbar sind Hinweise für Entwicklungen in beide Richtungen.