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Zitiervorschlag: Bosse/Schulz, LR 2019, S. 238, [●], www.lrz.legal/2019S238

 
Dr. Christian F. Bosse | Jan Schulz
Dr. Christian F. Bosse: Lawyer, Managing Partner Law GSA | EY | Jan Schulz: Lawyer, Associate Partner, Legal Managed Services Leader GSA | EY

Paradigmenwechsel in Rechtsabteilungen – vom Rechtsdienstleister zum Risikomanager.

Die Digitalisierung transformiert alle Bereiche von Unternehmen – da sind Rechtsabteilungen keine Ausnahme. Ihre bisherige Rolle als interne Rechtsberater wandelt sich zunehmend zu internen und externen Risikomanagern. Um diese Aufgabe im Unternehmen in Zukunft effizient erfüllen zu können, müssen die Rechtsabteilungen ihre Prozesse digitalisieren. Doch welche Ressourcen sind dafür erforderlich? Legal-Tech-Lösungen – darin besteht kein Zweifel – sind die Wegweiser für die Reise zur Rechtsabteilung 4.0.

Sie erstellen und prüfen Verträge, beraten bei M&A-Verhandlungen und vertreten das Unternehmen bei rechtlichen Auseinandersetzungen: Das sind nur einige der klassischen Aufgaben von Rechtsabteilungen in Unternehmen. Doch digitale Geschäftsmodelle und die wachsende Datenflut erfordern neue Kompetenzen und enorme Entwicklungsgeschwindigkeiten von den Verantwortlichen. Gleichzeitig werden regulatorische Anforderungen und Compliance-Vorgaben auf nationaler wie internationaler Ebene immer strenger und vielschichtiger. Unternehmen müssen ihre Standards also immer wieder überprüfen und anpassen. Mit analogen Mitteln kosten solche administrativen Aufgaben viel Zeit und Kapazitäten. Es wird Zeit, dass Rechtsabteilungen ihre Prozesse effizienter gestalten und ihre Expertise gezielt für komplexe Aufgaben einsetzen. Doch wie steht es um den Digitalisierungsgrad in Rechtsabteilungen?


 

 

 

Von modernen Technologien weit entfernt

Bei gerade einmal der Hälfte der Rechtsabteilungen existieren erste Digitalstrategien, wie eine aktuelle EY-Studie zur Digitalisierung von Rechtsabteilungen zeigt. 40 Prozent arbeiten mit Kalkulationstabellen, während sieben Prozent sogar noch ohne jegliche digitale Unterstützung arbeiten. Jede dritte Rechtsabteilung nutzt zwar digitale Möglichkeiten, doch nur 17 Prozent arbeiten größtenteils mit technologischer Unterstützung. Damit ist klar: Was den Grad der Digitalisierung der Rechtsabteilungen anbelangt, ist bisher nicht allzu viel passiert. Die Innovationen beschränken sich nach wie vor auf das Standardisieren und Automatisieren einzelner Prozesse, wie beispielsweise beim Vertragsmanagement. Auch in naher Zukunft geht es nur zögerlich voran. Zu den derzeit mit Abstand beliebtesten Optionen zählen digitale Lösungen zur zentralen Erfassung und Ablage von Verträgen. Auch das Verwalten von Verträgen planen die Rechtsabteilungen zu digitalisieren. Doch unterm Strich ist die Lage alarmierend, insbesondere hinsichtlich der wachsenden Relevanz von Rechtsabteilungen in der Organisation.

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Fehlende systematische Überwachung von Verträgen

Der Wunsch nach Digitalisierung ist zwar da, doch die Umsetzung in der Praxis kommt nur schleppend voran. So hat ein Großteil keinen Überblick über alle im Unternehmen geschlossenen Verträge. 58 Prozent kennen sogar die Prozesse nicht, bei denen Verträge geschlossen werden. Das zeigt, dass die Verwaltung von Verträgen oft noch – ausschließlich oder vorrangig – Sache der Fachabteilung und nicht der Rechtsabteilung ist. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Risikoüberwachung, da die Verantwortlichen schlichtweg die Chancen und Risiken nicht systematisch überprüfen können.


Hürden bei der Digitalisierung erkennen und überwinden

Doch woran liegt es, dass sich Unternehmen so schwertun, die Digitalisierung der Rechtsabteilung voranzutreiben? In erster Linie fehlt es den Unternehmen an Budget, die Prozesse umzustrukturieren und Legal-Tech-Lösungen zu implementieren. Die meisten Abteilungen haben nur bis zu 10.000 Euro zur Verfügung, obwohl jedes vierte Unternehmen das Zehnfache benötigen würde. Dazu kommt: Für die Entwicklung zur Rechtsabteilung 4.0 braucht es auch Fachleute, die die digitalen Technologien steuern können. Denn nur wenn Textanalysen und KI-gesteuerte Recherchen gezielt eingesetzt sind, können sie die Syndizi auch entlasten und Kapazitäten für komplexere Aufgaben freisetzen. Nicht zuletzt gilt es auch, die eigene Position im Unternehmen zu stärken. Von Anfang an in wichtige Entscheidungen eingebunden zu sein, ist die Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Risikomanagement.


Den Paradigmenwechsel aktiv mitgestalten

Zunächst ist es wichtig, Akzeptanz für den Paradigmenwechsel und die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine zu schaffen. Dazu sollten die Rechtsabteilungen ihr traditionelles Rollenverständnis ablegen und lernende Algorithmen als unterstützende Einheit betrachten, die administrative, zeitraubende Aufgaben übernehmen. Auf diese Weise bietet Legal-Tech ein enormes Potential für die Prozesse und die Organisation der Rechtsabteilungen. Doch welche Anforderungen muss die Rechtsabteilung 4.0 erfüllen? Und wie gelingt die Transformation? Aktuell besitzen weniger als die Hälfte ein von der Unternehmensleitung verabschiedetes Programm zur digitalen Transformation. Dabei sind Legal-Tech-Lösungen der Schlüssel für eine digitalisierte und zugleich effiziente Organisation. Allerdings beklagen rund 65 Prozent der Rechtsabteilungen das fehlende Know-how, um entsprechende Technologien in die Prozesse implementieren zu können. Es existiert jedoch eine Bandbreite an verschiedenen Lösungen, die mit unterschiedlichem Aufwand kurzfristig bis langfristig Anwendung finden können.


Mit Plattformen Standards setzen

Von Legal-Tech erhoffen sich die Syndizi vor allem mehr Effizienz durch Standardisierung und Automatisierung. Text-Analytics oder künstliche Intelligenz können eingesetzt werden, um Daten aufzubereiten und auszuwerten. Sogenannte Legal-Operations-Plattformen bieten neben Unterstützung bei der Dokumentenerstellung ein Workflow-Management und eine transparente Vertragsverwaltung. Im „One-Stop-Shop“ finden Mitarbeiter Vertragsmuster und können unkompliziert Anfragen an die Rechtsabteilung stellen. Diese werden anschließend Risikoklassen zugewiesen, die darüber entscheiden, ob die eigene Rechtsabteilung oder ein externer Dienstleister beauftragt wird. Kommuniziert wird ausschließlich über die eine IT-Plattform, sodass Risiken, beispielsweise durch E-Mail-Verkehr, entfallen. Die Plattform bietet außerdem ein umfassendes Vertragsmanagement, das alle Zyklen – von der Erfassung bis zur Unterzeichnung – abbildet. Sogar das Einholen von Zustimmungserklärungen lässt sich mühelos integrieren. So kann die Rechtsabteilung durch eine höhere Effizienz Kosten sparen und Anfragen aus den Fachbereichen schneller bearbeiten. Zudem begegnet die Rechtsabteilung anderen Stabsfunktionen auf Augenhöhe – die laufenden Vorgänge sind auf einem Dashboard jederzeit ersichtlich und Verträge werden systematisch erfasst und verwaltet. Allerdings ist der Aufwand für die Implementierung einer Legal-Operations-Plattform vergleichsweise hoch, da Prozesse umgestellt und vereinheitlicht werden müssen. Langfristig profitieren die Unternehmen aber von einer einheitlichen, standardisierten Lösung.

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Besserer Überblick: Transparentes Vertragsmanagement

Rechtsabteilungen fehlt oftmals die Kontrolle über den gesamten Lebenszyklus aller Verträge. Die Auswertung von bestimmten erfassten Metadaten wie Laufzeit und Kündigungsregelungen, Volumen des Abschlusses, verantwortliche Abteilung nebst Ansprechpartner und Rechtswahl sind häufig dezentral erfasst. Das Vertragsmanagement ist von der Erstellung bis zur Unterschrift und Ablage jedoch auch in einem einheitlichen Prozess möglich. Mit Legal-Tech-Lösungen wie „Contract Inventory“ können Verträge digital verwaltet und aus der Rechtsabteilung gesteuert werden. So können vor allem Risiken besser bewertet werden. Zur Implementierung sind allerdings strategische Allianzen in Unternehmen zu schließen, denn die Überführung aller Verträge in ein digitales Vertragsmanagement erfordert eine Kooperationsbereitschaft auf den verschiedensten Ebenen. Langfristig ist die digitale Vertragsverwaltung jedoch unerlässlich und gehört damit zu den wichtigsten Technologien, die in den nächsten fünf Jahren Einzug in den Rechtsabteilungen nehmen sollten. 


Der digitale Jurist

Künstliche Intelligenz birgt viele Potentiale für Unternehmen – so auch für den Rechtsmarkt. Eine auf Verträge spezialisierte Plattform hat kürzlich mittels künstlicher Intelligenz eine Reihe von Top-US-Anwälten bei der Vertragsanalyse geschlagen. KI-Systeme basieren auf in einzelne Arbeitsschritte heruntergebrochene Anweisungen, die von der Computer-Software abgearbeitet werden. Bei Due-Diligence-Prüfungen werden Verträge in ein KI-System eingespeist, die dann nach bestimmten, vom Nutzer definierten Klauseln und Mustern durchsucht werden. Dieser Vorgang bildet bereits den ersten Schritt für den Einsatz von KI in der Rechtsberatung, um die nötige Datengrundlage zu erhalten. Denn selbst öffentlich zugängliche Daten sind digital nur begrenzt verfügbar. So gibt es keine Online-Datenbank, die sämtliche Gerichtsurteile umfasst. Der Einsatz von KI ist bislang auf Nischen mit maßgeschneiderten Lösungen begrenzt. Sie muss mit großen Datenmengen angereichert und trainiert werden, um ihr volles Potential zu entfalten. Dann kann sie jedoch enorme Effizienzgewinne erbringen sowie die Prozesse und Strukturen nachhaltig optimieren. Damit sind KI-Systeme langfristig unverzichtbar.

Fakt ist: An Legal-Tech kommen Rechtsabteilungen deutscher Unternehmen nicht mehr vorbei. Wer im internationalen Wettbewerb bestehen will, muss dringend die nötige IT-Infrastruktur schaffen.