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Zitiervorschlag: Nebessow, LR 2020, S. 253, [●], www.lrz.legal/2020S253

 

 
Leonid Nebessow
Redakteur I LEGAL REVOLUTIONary

Am 22.05.2019 hat das EU-Parlament mit der Verabschiedung der Digitale-Inhalte-Richtlinie1 (DIRL) die Schaffung eines Vertragsrechts für digitale Inhalte und Dienstleistungen angestoßen. Flankiert wird dies durch die gleichzeigtig erlassene Warenkaufrichtlinie2 (WKRL), in deren Anwendungsbereich neben klassischen Waren auch solche mit digitalen Elementen fallen. Beide Richtlinien begründen gemeinsam erstmals ein einheitliches Gewährleistungsrecht für B2C-Verträge über digitale Produkte.3 Ein Referentenentwurf des BMJV zur nationalen Umsetzung steht noch aus.

1. Einleitung

Das digitalspezifische Vertragsrecht der beiden Richtlinien stieß in der deutschen Literatur auf Kritik. Insbesondere hat sich der 71. Deutsche Juristentag mehrheitlich der These von Faust angeschlossen, dass es keines eigenständigen digitalen Vertragstyps bedarf.4 Ein solcher würde die Systematik des BGBs sprengen.5 Die Vertragstypologie des Schuldrechts differenziere schließlich nicht nach Leistungsobjekt, vielmehr nach Leistungshandlung.6 Dies sei ferner auch nicht erforderlich, um sachgerechte Lösungen im digitalen Bereich zu finden.7 Dem Gesetzgeber sei zu raten, mit dem Umsetzungsakt die bestehenden Vertragstypen lediglich punktuell um die Besonderheiten digitaler Güter anzupassen.8 Nur unter Wahrung der dogmatischen Binnenkohärenz des BGBs könne Rechtssicherheit für den Rechtsanwender gewährleistet werden.

 

Doch diese Kritik ist nicht berechtigt. Das BGB ist schon längst nicht mehr in der Lage, Geschäfte der digitalen Wirtschaft interessengerecht abzubilden. Beim Vertragsobjekt digitale Güter bestehen grundlegend andere Interessen als bei analogen Gütern, auf die die Systematik und Dogmatik des BGBs abstellen. Damit die wirtschaftliche Realität des 21. Jahrhunderts tatsächlich sachgerecht geregelt werden kann, ist die Loslösung der BGB-Normen von der des 19. Jahrhunderts dringend erforderlich. Das BGB braucht ein Update; es braucht einen digitalen Vertragstyp!

 

Diese (zugegeben recht plakative) Behauptung gilt es im Folgenden zu beweisen, indem das unterschiedliche vertragliche Regelungsbedürfnis der digitalen und analogen Güter herausgearbeitet wird. Dazu wird zunächst der Rechtsrahmen der beiden Richtlinien knapp vorgestellt und erläutert, inwiefern sie einen Systembruch des BGBs bewirken. Im Anschluss gilt es diesen anhand des besonderen Regelungsbedürfnisses der digitalen Güter zu rechtfertigen

 

2. Systemumwerfungen durch den Rechtsrahmen der Richtlinien

Die beiden vollharmonisierenden Richtlinien konstituieren ein Gewährleistungsrecht für B2C-Verträge über Waren und digitale Inhalte. Sie vermitteln dem Verbraucher einen vertraglichen Erfüllungsanspruch und bestimmen subjektive sowie objektive Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit, bei deren Nichterfüllung dem Verbraucher Abhilfemöglichkeiten, bis hin zur Beendigung des Vertrages, zustehen.9

 

Die Richtlinien differenzieren primär nach dem geschuldeten Leistungsobjekt.  Digitale Güter unterfallen dem Regelungsregime der DIRL, analoge Güter hingegen dem der WKRL.10 Während die WKRL jedoch nur klassische Kauf- und Werklieferungsverträge umfasst, fallen in den Anwendungsbereich der DIRL nicht nur (1.) die dauerhafte einmalige Zurverfügungstellung digitaler Inhalte,11 sondern neben (2.) der vorübergehenden Zugangsverschaffung digitaler Inhalte, auch (3.) die Bereitstellung digitaler Dienstleistungen.12 Die jeweiligen Leistungsstörungsrechte richten sich teilweise nach der Art der Bereitstellung. Damit erfolgt jedenfalls sekundär eine leistungshandlungsbezogene Differenzierung.13 Ferner sind von der DIRL auch solche Geschäfte erfasst, bei denen der Verbraucher statt eines Entgelts (personenbezogene) Daten bereitstellt.14 Solche Verträge lassen sich mangels Entgeltlichkeit de lege lata überhaupt nicht unter die klassischen Vertragstypen subsumieren.

 

Das BGB hingegen knüpft als primäres Differenzierungskriterium für die Typisierung der synallagmatischen Austauschverträge und ihrer jeweiligen Abhilfemöglichkeiten bei Leistungsstörungen an die geschuldete Leistungshandlung an.15 Verträge mit einer einmaligen Leistungspflicht fallen unter das Kaufrechts- und Gewährleistungsregime, während solche mit einer dauerhaften Leistungspflicht Dauerschuldverhältnisse16 mit einer Kündigungsmöglichkeit darstellen.17 Erstere vermitteln typischerweise eine dauerhafte Rechteübertragung. Bei Dauerschuldverhältnissen hingegen werden lediglich zeitlich begrenzte Nutzungsrechte übertragen.

 

Dieses neue Differenzierungsregime sorgt für dogmatische Irritation. So unterfallen die vorübergehende Zugangsverschaffung digitaler Inhalte und die Bereitstellung digitaler Dienstleistungen, die de lege lata als Dienst- oder Mietverträge eingeordnet werden, einem für solche Verträge untypischen Gewährleistungsrecht. Andererseits besteht bei der kaufähnlichen Konstellation der einmaligen, dauerhaften Zurverfügungstellung sowie bei Kaufverträgen über Waren mit digitalen Elementen eine für Kaufverträge untypische nachträgliche (Aktualisierungs-)Pflicht des Anbieters bzw. Verkäufers.18 Überdies kommt bei allen lediglich datenfinanzierten Geschäften aufgrund des etwaigen Widerrufs der datenschutzrechtlichen Einwilligung eine außerordentliche Kündigungsmöglichkeit hinzu.19 Damit kommt es zu einer Aufweichung der grundsätzlich strikten Dogmatik des punktuellen und dauerhaften Leistungsaustausches des deutschen Vertragsrechts.

 

3. Das Rechtsobjekt des digitalen Inhalts

Die Zuweisung von Rechten an digitalen Produkten erfordert zunächst die Anerkennung des abstrakten „digitalen Inhalts“ als Rechtsobjekt. Da die sachliche Substanz eines digitalen Gutes nicht mehr als ein, für die meisten unverständlicher, Datensatz ist, gestaltet sich ein solcher Zugang deutlich schwieriger als bei verkörperten Objekten.

 

Zur Konzeptualisierung dieses Rechtsobjekts sind dessen strukturellen Besonderheiten zu beachten. Digitale Güter sind immateriell und können deswegen nicht abgenutzt werden.20 Sie werden in einem Code dargestellt, sind damit unbegrenzt reproduzierbar und nicht exklusiv.21 Sie sind durch eine geringe Anpassung des Codes fortlaufend veränderbar.22 Die Konzeption hinter dem Code kann urheberrechtlich geschützt sein.23 Mit jeder Nutzung eines digitalen Inhalts erfolgt eine Datenverarbeitung, sodass dem Verbraucher Schutz der DSGVO zusteht.24

 

Dies intendiert bereits, dass digitale Güter nicht gleichwertig neben Sachen und immateriellen Rechten stehen können.25 Vielmehr kennzeichnet sie als Zuweisungsobjekt subjektiver Rechte eine strukturelle Dreigliedrigkeit:

  • Die semantische Ebene, als Anknüpfungspunkt für immaterialgüterrechtliche Ausschließlichkeitsrechte26,
  • die syntaktische Ebene, als Bezugspunkt für verkehrsfähige Nutzungsrechte, sowie
  • die strukturelle Ebene, als Bezugspunkt für Sacheigentum. 27

Die Richtlinien vermitteln keine Eigentumsrechte an der semantischen Information, sondern Nutzungsrechte an ihrer Kopie, der syntaktischen Information.28

 

Ferner dienen diese drei Anknüpfungsebenen nicht nur für die Zuordnung dinglicher bzw. teilverdinglichter, sondern auch obligatorischer Rechte, die sich zudem gegenseitig gem. §§ 399, 413 BGB bedingen können.29 Folglich handelt es sich bei digitalen Inhalten um ein zwischengeschaltetes hybrides Rechtsobjekt, welches sich aus dem Zusammenwirken der an den drei Zuweisungsebenen bestehenden dinglichen und obligatorischen Rechte zusammensetzt.30

 

Somit bestehen bereits beim Anknüpfungspunkt für die vertragliche Rechtezuweisung strukturelle Unterschiede, sodass sich neben dem Schuld- und Sachenrecht auch das Urheber- und Datenschutzrecht auf das Verfügungsrecht über digitale Produkte auswirkt.31

 

4. Eigentumsübergang beim digitalen und analogen Kaufvertrag

Das Zusammenspiel der Rechte an den verschiedenen Zuordnungsebenen des digitalen Inhalts soll hier anhand des Übergangs der Weiterveräußerungsbefugnis bei einer dauerhaften Zurverfügungstellung, verglichen mit dem Verkauf einer Ware, dargestellt werden.

 

Zum Schutze der Verkehrsfähigkeit einer Software, tritt gem. § 69d I UrhG, Art. 5 I Computerprogramm-RL32 mit jedem Erstverkauf im Sinne des Art. 4 II CPRL Erschöpfung ein, sodass die Weiterveräußerungsbefugnis des Erwerbers entgegen § 69c I UrhG nicht vom Einverständnis des Urhebers abhängt.33

 

Mittels eines digitalen Kaufvertrags, also mit Erfüllung der Leistungspflicht des Art. 5 II lit. a DIRL durch die Zurverfügungstellung eines Lizenzschlüssels, welcher die Nutzung einer zum Herunterladen zugänglich gemachten Werkkopie ermöglicht, erhält der Verbraucher, dem Rahmen des Lizenzvertrags entsprechend, ein dauerhaftes veräußerliches Nutzungsrecht an einer Werkkopie.34 Dies ist ein Novum der DIRL.35 Nach traditioneller urheberrechtlicher Auffassung ist vom Erstkauf nur die auf einem bestimmten Datenträger verkörperte Kopie erfasst, sodass hiernach beim digitalen Kaufvertrag allenfalls ein Nutzungsrecht an einer bestimmten, nicht jedoch an einer künftig erst herunterzuladenden Programmkopie übergehen würde.36

 

Allerdings verkennt diese Ansicht, dass analog zur körperlichen Untrennbarkeit von Werkkopie und Datenträger37 eine kausale Verbundenheit zwischen Lizenzvertrag und Zugang zu irgendeiner Programmkopie besteht.38 Zum einen ist die Bereitstellung der syntaktischen Information wegen der unbegrenzten Vervielfältigungsmöglichkeit der semantischen Information39  ohne schöpferischen Aufwand möglich, damit urheberrechtlich nicht schutzwürdig, sowie ohnehin von der Leistungspflicht des Art. 5 II lit. a DIRL erfasst. Zum anderen erhält die Lizenz erst durch die tatsächliche Nutzungsmöglichkeit einen wirtschaftlichen und verkehrsfähigen Wert.40 Somit erhält der Verbraucher ein dauerhaftes obligatorisch sowie dinglich wirkendes Nutzungsrecht an der syntaktischen Information, also irgendeiner Programmkopie.41

 

 

Problematisch wird der einheitliche Übergang dinglicher Rechte bei Kaufverträgen und ihrem digitalen Äquivalent, wenn, wie im Urteil des EuGH UsedSoft vs. Oracle,42 lediglich ein unbefristetes, nicht abtretbares Nutzungsrecht im Lizenzvertrag vereinbart wird.43 Eine entsprechende Klausel in den AGB im Rahmen eines Kaufvertrags über eine physische Werkkopie widerspricht dem wesentlichen Grundgedanken der Erschöpfung nach §§ 69d I UrhG, Art. 5 CPRL, sodass sie gem. § 307 II Nr. 1 BGB unwirksam ist und dem Erwerber ein uneingeschränktes Veräußerungsrecht zusteht.44 Beim digitalen Kaufvertrag hingegen hat der Anbieter mangels dauerhafter Überlassung eines Nutzungsrechts, die Leistungspflicht gem. Art. 5 II lit. a DIRL nicht erfüllt.45 Damit liegt gar nicht erst ein Erstkauf vor, mit dem die Erschöpfung eintreten könnte.

 

Zum selben Ergebnis kommt, vor Inkrafttreten der DIRL, auch der BGH.46 Durch die Ausweitung der Anwendung von Art. 4 II 1 CPRL auf die Übertragung eines dauerhaften, nicht abtretbaren Nutzungsrechts an dem Datenbestand, sei nicht die Verkehrsfähigkeit des Vervielfältigungsstücks, sondern die des Vervielfältigungsrechts am Werk bewirkt.47 

 

Die Gegenauffassung des EuGH hingegen legt den Lizenzvertrag als Kauf im Sinne des Art. 4 II 1 CPRL aus.48 Der Leistungsinhalt sei durch die beabsichtigte dauerhafte Übertragung und Verschaffung des digitalen Inhalts, sowie der Nutzungsmöglichkeit und – Berechtigung, entsprechend.49 Die Veräußerung eines Computerprogramms durch Herunterladen entspreche funktional der Aushändigung eines materiellen Datenträgers.50 Der Vertrag stabilisiere die normative Erwartung des Abnehmers: Die Übertragung des „Eigentums an der Programmkopie“.51  Bei Nichtanwendung könnte der Urheber den Wiederverkauf der Programmkopie kontrollieren und dafür ein erneutes Entgelt verlangen, was ihre Verkehrsfähigkeit einschränken würde.52

 

Die Auffassung des EuGH überzeugt. Durch den Lizenzvertrag wird dem Erwerber lediglich ein Nutzungsrecht an der syntaktischen Information vermittelt, nicht jedoch das Verbreitungsrecht an der semantischen Information.53 Die vom BGH unterstellte Übertragung des Verbreitungsrecht findet also nicht statt. Damit ist auch die Formulierung des EuGH, es werde Eigentum an der Kopie übertragen, missverständlich, hinsichtlich eines dinglichen Nutzungsrechts an der syntaktischen Information aber richtig.54

 

 

Problematisch ist ferner, dass diese dingliche Lösung in praxi bereits an ihre Grenzen stößt.55 Die Erschöpfung umfasst gem. §§ 69a ff. UrhG lediglich verbreitete Software und ist hinsichtlich anderer Vertriebsformen und digitaler Inhalte, wie z.B. der öffentlichen Wiedergabe gem. §19a UrhG oder bei Hörbüchern, nicht analogiefähig.56

 

Obwohl die DIRL eine solche Unterscheidung nicht trifft, würde dies ein dualistisches System der Übertragung digitaler Inhalte schaffen, dass auf keinem funktionalen Differenzierungskriterium beruht.57 Zum anderen hat die Praxis dialektisch reagiert und gestaltet Softwareverträge vielfach so aus, dass nur noch ein zeitlich begrenztes Nutzungsrecht übertragen wird.58

 

Eine Lösung würde sich also nur durch die Schaffung eines Leitbildes für digitale Kaufverträge ergeben.59 Dies bedarf einer rechtspolitischen Entscheidung im Urheberrecht hinsichtlich der Verkehrsfähigkeit digitaler Güter, die die konkreten normativen Erwartungen des Verbrauchers tatsächlich stabilisieren würde.60

 

Verneint man diese, so schließt die fehlende Zustimmung des Urhebers gem. § 34 I 1 UrhG bei einem vertraglich vereinbarten Übertragungsverbot die Vertragsübernahme eines Dritterwerbers gem. §§ 413, 399 Var. 2 BGB aus.61

 

Sollen digitale Inhalte hingegen verkehrsfähig sein, so besteht eine normative Erwartung des Verbrauchers auf „Eigentumsübergang“, sodass eine solche Klausel gem. § 307 I 1 BGB unwirksam und die versagte Einwilligung des Urhebers zur Übertragung des Nutzungsrechts gem. § 34 I 2 UrhG nicht erforderlich ist.62  

 

 

Mithin hängt der dauerhafte Übergang dinglicher Rechte und damit das Vorliegen eines digitalen Kaufvertrags,63 von der Verkehrsfähigkeit digitaler Inhalte ab.64 Dabei besteht eine Akzessorietät zum Urheberrecht, der die leistungshandlungsbezogene Differenzierung der Vertragsrechtsdogmatik nicht gerecht wird.65  Vielmehr bedarf es  einer ökonomischen Analyse des digitalen Primär- und Sekundärmarkts, um zu beurteilen, ob digitale Inhalte verkehrsfähig sein sollten.66 

 

5. Fazit und Plädoyer für einen digitalen Vertragstyp

Die neuen Richtlinien vermitteln ein einheitliches Gewährleistungs- und Kündigungsrecht bei Warenkaufverträgen und Verträgen über digitale Güter. Scheinbar folgerichtig hat sich die Mehrheit des 71. DJT dafür ausgesprochen sie in den Anwendungsbereich der bestehenden Vertragstypen aufzunehmen und eine punktuelle, objektspezifische Anpassung der Vertragsmäßigkeitsanforderungen sowie der Leistungsstörungsrechte vorzunehmen.67 Dazu müsste eine Vielzahl an kleinteiligen Änderungen vorgenommen werden.68 Materiell würde dies dennoch einen eigenständigen Rechtsrahmen für digitale Produkte schaffen und damit jedenfalls sekundär eine objektbezogene Differenzierung vornehmen. Angesichts der rechtlichen Spezifika von digitalen Gütern ist das auch zweckmäßig. Dies entspricht bspw. auch der Systematik des Mietrechts, welches bereits heute die rechtlichen Besonderheiten des Vertragsobjekts „Wohnraum“ in den §§ 548 ff. BGB gesondert regelt.69 Zahlreiche Sondervorschriften hingegen würden das Recht der digitalen Verträge auf das gesamte Schuldrecht zersplittern und damit Komplexität schaffen.70 Auch eine Anpassung des allgemeinen Schuldrechts liefe auf dasselbe hinaus; der Rechtsanwender müsste diese allgemeinen Normen stets richtlinienkonform anhand der DIRL auslegen.71 Die den normativen Widersprüchen bedingte Rechtsunsicherheit würde weiter perpetuiert werden.72

 

Entscheidet sich der Gesetzgeber hingegen für ein eigenständiges digitales Vertragsrecht, könnte sekundär, nach dem Vorbild der DIRL,73 eine leistungshandlungsbezogene Differenzierung analog zum analogen Vertragsrecht vorgenommen werden.74 Damit würde nicht mit der dogmatischen Binnenkohärenz gebrochen werden; allenfalls mit ihrer traditionellen Ästhetik.

 

Ferner könnten so datenfinanzierte Modelle aufgenommen werden, ohne in die Systematik der entgeltlichen Austauschverträge einzugreifen.75 Überdies steht sowohl der Rechte- und Pflichtenübergang als auch die Wirksamkeit der digitalen Verträge in Akzessorietät zu dem  Urheber- sowie Datenschutzrecht, sodass die Schaffung eines eigenen Grundvertragstyps schon erforderlich ist, um Verknüpfungen herzustellen, die ansonsten nicht zum Regelungsbedürfnis der analogen Verträge passen würden.76

 

Die Richtlinien nehmen keine grundlegend neuen normativen Wertungen vor, sondern bilden die bestehenden Interessen des Digitalhandels lediglich ab.77 Wenn die Dogmatik des BGBs es schon nicht vermag, sich daran anzupassen, wird sie, spätestens mit dem Einzug neuer Technologien in die wirtschaftliche Realität, zusammenbrechen.78 Erst durch die Schaffung technologiespezifischer Normen kann sie rechtssystemintern Erkenntnisse über den Digitalhandel gewinnen, um ihre Regulierung daran anzupassen.

 

 

Trotz ihres technologieneutralen Selbstverständnisses gelang es dem BGB nicht Geschäfte der Digitalwirtschaft innerhalb der bestehenden Vertragsstrukturen interessengerecht abzubilden.79 Ansonsten würde es auch keine dogmatischen Irritationen durch die Richtlinien geben. Der Gesetzgeber sollte ihrem Vorbild folgen und ein Sonderprivatrecht für digitale Produkte schaffen. Dass dadurch mit der Systematik des Vertragsrechts gebrochen wird, stimmt nicht. Es würde lediglich die hierarchische Stellung des leistungshandlungs- und rechtsobjektbezogenen Differenzierungskriteriums vertauscht werden. Hätte der historische Gesetzgeber bei Schaffung des BGBs gewusst, dass immaterielle Güter eines Tages verkehrsfähig sein würden, hätte er sich wohl auch für diese Hierarchie entschieden.

 

Um mittelfristig ein Regulierungsversagen zu vermeiden, ist die von der EU angestoßene Schaffung eines Sonderprivatrechts für digitale Produkte dringend notwendig. Schließlich würde die Zielsetzung der Richtlinien unterlaufen werden, wenn das nationale Vertragsrecht an einer traditionellen Dogmatik festhält, die nicht dazu imstande ist, dem Regelungsbedürfnis der digitalen Güter gerecht zu werden.

 

 Referenzen:


1 Richtlinie (EU) 2019/770; nachfolgend abgekürzt als DIRL.

2 Richtlinie (EU) 2019/771; nachfolgend abgekürzt als WKRL.

3 Vgl. Art. 25 WKRL sowie EG 71 WKRL; Tonner VuR 2019, 363 ff.; Wilke, BB 2019, 2434 ff.; Staudenmayer, NJW, 2019, 2889, ff.

4 Faust, DJT Gutachten A, 2016, A 89 ff.; DJT, Verhandlungen des 71. DJT – Band II/1, K 73, Beschlüsse.

5 Faust, DJT Gutachten A, 2016, A 89 ff.

6 Faust, DJT Gutachten A, 2016, A 89 ff.

7 Faust, DJT Gutachten A, 2016, A 89 ff.

8 Faust, DJT Gutachten A, 2016, A 89 ff.; DJT, Verhandlungen des 71. DJT – Band II/1, K 73, Beschlüsse.

9 Vertiefend: Vgl. Tonner, VuR 2019, 363 ff.; Wilke BB 2019, 2434 ff.; Staudenmayer, NJW, 2019, 2889 ff.

10 Vgl. Art. 3 DIRL sowie Art. 3 WKRL.

11 Sie werden de lege lata über § 453 I als Kaufverträge eingeordnet, deswegen im folgenden als digitale Kaufverträge bezeichnet; Wendland, ZVglRWiss 2019, 191, 209 ff.; Faust, DJT Gutachten A, 2016, A 43.

12 Vgl. Art. 5 II DIRL; Wendland, ZVglRWiss 2019, 191, 209 ff.

13 Wendland, ZVglRWiss 2019, 191, 202, 225, 228 ff.

14 Vgl. Art. 3 UAbs. 2 DIRL.

15 Wendland, ZVglRWiss 2019, 191, 194, 195, 201, 202, 225, 228 ff.; Schmidt-Kessel, K&R 2014, 475, 477 ff.; Faust, DJT Gutachten A, 2016, A 15, A 89 ff.

16 Beispielsweise Miet- oder Dienstvertrag.

17 Metzger, JZ 2019, 577, 582; Schulze, ZEuP 2019, 695, 700.

18 Vgl. Art. 8 II lit. b DIRL sowie Art. 7 III WKRL; Wendland ZVglRWiss 2019, 191, 211 ff.

19 Specht, JZ 2017, 763 f.; Staudenmayer, NJW 2019, 2497 f., 2450; Schulze, ZEuP 2019, 695, 714 f., 717; Spindler/Sein, MMR 2019, 488, 492 f.

20 Grünberger, AcP 2018, 213, 232.

21 Grünberger, AcP 2018, 213, 231 f.

22 Grünberger, AcP 2018, 213, 233 f.

23 Grünberger, AcP 2018, 213, 231 f., Metzger JZ 2019, 577, 584.

24 Vgl. Art. 16 II. DIRL.

25 Grünberger, AcP 2018, 213, 226.

26 Wie Urheber-, Patent, oder Markenrechte. Damit werden wird digitalen Inhalten Exklusivität verliehen, um einem Marktversagen vorzubeugen. BGH ZUM 2017, 236 Rn. 34; Grünberger, AcP 2018, 213, 228 f.

27 Zech, Information als Schutzgegenstand, S. 35 ff.; Grünberger, AcP 2018, 213, 226 f.; Auer, ZfPW 2019, 130, 137 f. Wendland, ZVglRWiss 2019, 191, 204.

28 Zech, Information als Schutzgegenstand, S. 261 f.; Grünberger, AcP 2018, 213, 227 f.; Auer, ZfPW 2019, 130, 137 f.

29 Auer, ZfPW 2019, 130, 137f.; Grünberger, AcP 2018, 213, 226 f.; Wendland, ZVglRWiss 2019, 191, 204.

30 Auer, ZfPW 2019, 130, 138 f.

31 Grünberger, AcP 2018, 213, 248 f.

32 Nachfolgend als CPRL bezeichnet.

33 Grünberger, AcP 2018, 213, 229.

34 Spindler/Sein, MMR 2019, 488, 489 f.; Wendland, ZVglRWiss 2019, 191, 208 f.

35 Spindler/Sein, MMR 2019, 488, 490.

36 Auer, ZfPW 2019, 130, 141.

37 Zech, Information als Schutzgegenstand, S. 261, 265.

38 EuGH NJW 2012, 2565 f., Rn. 43 f., Grünberger, AcP 2018, 213, 230 f., 247 f.

39 Grünberger, AcP 2018, 213, 227.; Auer, ZfPW 2019, 130, 137 f.

40 EuGH NJW 2012, 2565 f. Rn. 43 f.

41 Zech, Information als Schutzgegenstand, S. 261 f.; Grünberger, AcP 2018, 213, 227.; Auer, ZfPW 2019, 130, 136.

42 EuGH NJW 2012, 2565 f.

43 EuGH NJW 2012, 2565 f. Rn. 43.

44 Grünberger, AcP 2018, 213, 249, 262 f.

45 Spindler/Sein, MMR 2019, 488, 489 f.; Wendland, ZVglRWiss 2019, 191, 208 f.

46 BGH MMR 2011, 305 ff.

47 BGH MMR 2011, 305, 309 Rn. 31.

48 EuGH NJW 2012, 2565 f. Rn. 42 ff.; Auer, ZfPW 2019, 130, 143.

49 EuGH NJW 2012, 2565 f., Rn. 42 ff.; Auer, ZfPW 2019, 130, 143.

50 EuGH NJW 2012, 2565 f., Rn. 61; Grünberger, AcP 2018, 213, 276 f.

51 EuGH NJW 2012, 2565 f., Rn. 47; Grünberger, AcP 2018, 213, 276 f.

52 EuGH NJW 2012, 2565, 2567, Rn. 63; Grünberger, AcP 2018, 213, 276 f.

53 Grünberger, AcP 2018, 213, 229, 273 f.

54 Grünberger, AcP 2018, 213, 229, 275 f.

55 Auer, ZfPW 2019, 130, 143.

56 BGH ZUM 2017, 236, Rn. 65 ff; OLG Hamm NJW 2014, 3695, 3665; Auer,ZfPW 2019, 130, 142; Grünberger, AcP 2018, 213, 229 f.; Spindler/Sein, MMR 2019, 488, 489 f.

57 Auer, ZfPW 2019, 130, 142 f.

58 Auer, ZfPW 2019, 130, 143.

59 Auer, ZfPW 2019, 130, 143, 144 f. Grünberger, AcP 2018, 213, 248 f.

60 Auer, ZfPW 2019, 130, 143, 144 f. Grünberger, AcP 2018, 213, 248 f.

61 Auer, ZfPW 2019, 130, 143f.; Grünberger, AcP 2018, 213, 276 f.

62 Auer, ZfPW 2019, 130, 144 f.; Grünberger, AcP 2018, 213, 247 ff.; 262

63 Spindler/Sein, MMR 2019, 488, 489 f.; dagegen: Auer, ZfPW 2019, 130, 140 f.

64: Grünberger, AcP 2018, 213, 248 ff.; 274 ff.

65 Grünberger, AcP 2018, 213, 247 ff.; Auer, ZfPW 2019, 130, 146 ff.

66 Diese kann hier nicht im erforderlichen Umfang vorgenommen werden. Hauptargument dagegen: Primär- und Sekundärmarkt stehen anders als bei analogen Gütern in direkter Preiskonkurrenz. Hauptargument dafür: Verkehrsfähigkeit digitaler Güter; Grünberger, AcP 2018, 213, 249; Auer, ZfPW 2019, 130, 141.

67 Metzger, JZ 2019, 577, 585; Wendland, ZVglRWiss 2019, 191, 223.

68 Metzger, JZ 2019, 577, 585.

69 Wendland, ZVglRWiss 2019, 191, 225.

70 Wendland, ZVglRWiss 2019, 191, 220; Metzger, JZ 2019, 577, 585.

71 Wendland, ZVglRWiss 2019, 191, 227.

72 Wendland, ZVglRWiss 2019, 191, 224 f., 228.

73 Vgl. Art. 5 II DIRL; Wendland, ZVglRWiss 2019, 191, 202, 225, 228 ff.

74 Wendland, ZVglRWiss 2019, 191, 225 ff.; Grünberger, AcP 2018, 213, 236 f.

75 Metzger, JZ 2019, 577, 586; Wendland, ZVglRWiss 2019, 191, 229 f.

76 Metzger, JZ 2019, 577, 585; Specht, JZ 2017, 763, 770; Auer, ZfPW 2019, 130, 147.

77 Wendland, ZVglRWiss 2019, 191, 225.

78 Auer, ZfPW 2019, 130, 147.

79 Wendland, ZVglRWiss 2019, 191, 229; Metzger, JZ 2019, 577, 586; dagegen: Faust, DJT Gutachten A, 2016, A 89 ff.

 

 


 

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