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Zitiervorschlag: Passarge, LRZ 2022, Rn. 1082, [●], www.lrz.legal/2022Rn1082.

Permanente Kurz-URL: LRZ.legal/2022Rn1082

Der vorliegende Beitrag widmet sich im Anschluss an eine (bewusst streitbare und stark prononcierte) rechtspolitische Grundsatzkritik den praktischen und rechtlichen Unklarheiten, mit denen die Anwendung des LkSG nach dessen Inkrafttreten zum 1.1.2023 behaftet sein wird.

1. Einführung

Der Gesetzgeber hat in der letzten Zeit die Compliance-Szene mit diversen neuen Gesetzen beglückt. Diese erreichen die selbst gesteckten Ziele nicht immer; im besten Fall schaden sie nur wenig und produzieren aufgrund der umfangreichen Dokumentations- und Berichtspflichten vor allem Unmengen von Bürokratie. Insoweit sind zweierlei Aspekte ausgesprochen irritierend. Zum einen werden Unternehmen verpflichtet, politische Ziele umzusetzen, wobei ein grundlegendes Misstrauen von Politik und Verwaltung gegenüber Unternehmen zu bestehen scheint. Dabei fällt auf, dass Politik und Verwaltung selbst Vorreiter bei der Umsetzung ihrer Ziele sein könnten – auf diese Vorreiterrolle aber häufig gern verzichten. Zum anderen irritiert, dass in großen Teilen der juristischen Literatur diese neuen Gesetze lediglich erläuternd dargestellt werden, eine kritische inhaltliche Auseinandersetzung mit Regelungsgehalt und Sinn und Zweck der Gesetze aber weitgehend ausbleibt. Diese Verflachung des juristischen Diskurses ist bedauerlich. Daher ist der folgende (gewiss streitbare und stark prononcierte) Beitrag als Anstoß für eine solche Diskussion im Hinblick auf das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) gedacht. Inhaltlich soll das LkSG zunächst einem Praxistext unterzogen (hierzu unter I.) und sodann der Blick auf offene Rechtsfragen gerichtet werden (hierzu unter II.).

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2. Grundsatzkritik

Nach den Grundsätzen guter Gesetzgebung sollte eine gesetzliche Regelung notwendig sein, adäquat (geeignet und wirksam zur Erreichung der Ziele), praktikabel, responsiv (flexibel und anpassungsfähig), der gesetzgeberischen Kontinuität entsprechen, Vertrauen schaffen, klar kommuniziert werden und kostengünstig sein.1 Ob dies für das LkSG gilt? Es drängen sich einige grundlegende Fragen auf:

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2.1. Zentrale Frage und keine Antwort: Ist das Ziel des Gesetzes überhaupt legitim?

Die zentrale Frage ist die nach dem Ziel und der Legitimität des LkSG. Gemäß der Begründung des Regierungsentwurfes dient das Gesetz dazu, die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen mit dem Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte von 2016 (Nationaler Aktionsplan) umzusetzen. Weiter heißt es:

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Die zunehmende Integration deutscher Unternehmen in globale Beschaffungs- und Absatzmärkte bietet Chancen und Herausforderungen zugleich: neue Märkte und Produktionsstätten werden erschlossen und so Arbeitsplätze und Wohlstand geschaffen. Gleichzeitig können aber auch Risiken durch Intransparenz und die oft mangelhafte Durchsetzung von international anerkannten Menschenrechten in den Lieferketten von Unternehmen in der globalen Wirtschaft entstehen. Die Pflicht, die Menschenrechte des Einzelnen zu achten, zu schützen und einzuhalten, liegt bei den Staaten. Die Verantwortung von Unternehmen für die Achtung der Menschenrechte besteht unabhängig von der Fähigkeit oder Bereitschaft der Staaten, ihrer Pflicht zum Schutz der Menschenrechte nachzukommen. Macht der innerstaatliche Kontext es unmöglich, dieser Verantwortung uneingeschränkt nachzukommen, ist von Unternehmen zu erwarten, dass sie die Grundsätze der international anerkannten Menschenrechte achten, soweit es in Anbetracht der Umstände möglich ist.2

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Dieser Zweck ist gewiss ehrenhaft und nicht unangemessen. Aber die ganz wesentliche Frage bleibt unbeantwortet: Aus welchem Grunde „ist von Unternehmen zu erwarten“, dass diese den Schutz der Menschenrechte bzw. deren Achtung verantworten? Diese Frage stellt sich mit besonderer Schärfe, wenn Staaten als eigentliche Adressaten der Menschenrechte ihrer Verpflichtung zu deren Achtung nicht nachkommen.

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Im vorangegangenen Zitat heißt es ausdrücklich und zu Recht: „Die Pflicht, die Menschenrechte des Einzelnen zu achten, zu schützen und einzuhalten, liegt bei den Staaten“. Darin liegt ein Widerspruch zu der gesetzgeberischen Definition des mit dem LkSG verfolgten Ziels. Aus welchem Grunde sollen Unternehmen zur Umsetzung von politischen Zielen verpflichtet sein, wenn diese Ziele von einzelnen Staaten und der (internationalen) Politik schon nicht erreicht werden können? Selbstverständlich steht es Unternehmen frei, nach Belieben Umwelt-, und Menschenrechte im Zuge ihrer weltweiten Tätigkeit zu schützen und zu verbessern; aber aus welchem Grunde sollen Unternehmen gezwungen werden, für Mensch und Umwelt in entfernten Staaten mehr zu bewegen, als es die dortigen Regierungen überhaupt anstreben?

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Um das politische Ziel einer Verbesserung von Menschenrechten und Umweltstandards auf der ganzen Welt zu erreichen, wäre es vielmehr angebracht, die Macht der Politik, insbesondere der internationalen Wirtschaftspolitik und der Entwicklungshilfe, einzusetzen. Wenn diese geballte Kraft nicht ausreicht, diese Ziele umzusetzen, wie soll es dann ein mittelständisches Unternehmen in Deutschland schaffen? Und vor allem die Konsequenzen beim Scheitern entsprechender Bemühungen tragen?

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Letztlich hebt die Politik mit einer derartigen Zielbestimmung des LkSG die Wirtschaft und einzelne Unternehmen auf dieselbe Verantwortungsebene, auf der sie selbst agiert. Unternehmen sollen politische Ziele international umsetzen, wobei sie sich diese Ziele selbst nicht gesetzt haben. Konsequent weitergedacht, müssten für die Politik und die Unternehmen dieselben Regeln und Maßstäbe gelten. Dem ist gewiss nicht so, ganz im Gegenteil. Die Politik setzt Maßstäbe, die sie selbst nicht beachtet, während Unternehmen für deren Nichteinhalten bestraft werden sollen. Sollten Unternehmen tatsächlich zur weltweiten Umsetzung von Menschenrechten und von völkerrechtlichen Grundsätzen verpflichtet sein, müssten mit einer solchen Pflichtenbindung entsprechende Rechte korrespondieren.

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So edel das Ziel des Gesetzes ist (auch aus Sicht des Verfassers), sollten die vorstehend skizzierten Fragen einer ehrlichen Analyse unterzogen werden. Um es zusammenzufassen: Das Gesetz will in die Arbeits-, Umweltstandards und Lebensbedingungen, sowie die Rechtslage einzelner Länder eingreifen und diese – im Idealfall – verändern und verbessern. Allerdings ist dies Aufgabe der jeweiligen Staaten und ihrer Bürger und stellt – freundlich formuliert – eine wirtschaftspolitische Bevormundung dar, die im Widerspruch zum Grundsatz der Souveränität der Staaten steht. Wäre es nicht richtiger, auf politischer Ebene dafür Sorge zu tragen, dass die jeweiligen Länder selbst über das Voranschreiten ihrer Entwicklungsstandards entscheiden? Und wo findet sich im LkSG eigentlich der Endabnehmer, der Verbraucher, der die unter Verletzung von Umweltstandards und Menschenrechten produzierten, möglichst billigen Güter kauft?

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2.2. Ist das LkSG überhaupt umsetzbar? Idee gegen Realität

Ein jedes Gesetz kann sich sinnvollerweise nur solche Ziele setzen, die überhaupt erreicht werden können. Dies ist im Hinblick auf des LkSG mehr als nur fraglich. Dies zeigt sich schon an der Gesamtkonzeption, in dem zum einen ausgesprochen umfangreiche Pflichten begründet werden, zum anderen im Hinblick auf das gewünschte Ergebnis nur eine Bemühenspflicht besteht.

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Zu der grundlegenden Pflicht der Durchführung von Risikobewertungen bestehen ausführliche Vorgaben in § 5 LkSG.3 Ziel der Risikoanalyse und der Folgemaßnahmen soll es sein, solche Unternehmen aus der Lieferkette zu entfernen, bei denen Arbeitsbedingungen oder -umfeld den westlichen Vorstellungen nicht entsprechen. Ultima Ratio des LkSG soll etwa bei Verstößen gegen Arbeitsbedingungen die Kündigung des Vertrages sein, § 7 Abs. 3 LkSG. Diese Vorstellung ist reichlich praxisfern: Derzeit ergeben sich Probleme nicht daraus, dass Glieder in der Lieferkette nach Belieben ausgetauscht werden können, sondern dass das schwächste Glied die ganze Lieferkette zum Reißen bringt. Die verheerenden Folgen sieht man, nicht nur in den Supermärkten, sondern bei vielen mittelständischen Unternehmen, die angesichts der unterbrochenen Lieferkette aus China ihre Produktion massiv herunterfahren müssen. Für viele Unternehmen besteht ein bestenfalls extrem geringer Spielraum, Lieferanten überhaupt auszutauschen, ein Verzicht ist häufig kaum möglich, ohne den Bestand des Unternehmens zu gefährden.

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Selbstverständlich sind Arbeits- und Umweltbedingungen und die Menschenrechtslage in vielen Ländern dieser Welt nicht nur kritikwürdig, sondern katastrophal. Gleichwohl hindert das die Politik nicht, auch mit Ländern, in denen die schlimmsten Verhältnisse vorherrschen, uneingeschränkte diplomatische Beziehungen zu unterhalten, Hilfsgelder dorthin zu senden und von der Verhängung von Sanktionen abzusehen. Demgegenüber sollen Unternehmen ihre Geschäftsbeziehungen mit solchen kritischen Ländern, bzw. dortigen Unternehmen abbrechen. Bestes Beispiel für diese Diskrepanz sind die aktuellen Probleme im Energiebereich. Fällt eine Diktatur als Energielieferant aus, wendet man sich der anderen zu. Würde ein Unternehmen dagegen ernsthaft eine Risikoanalyse nach dem LkSG für den Bezug von Erdöl oder Erdgas aus Katar oder Saudi-Arabien durchführen, müsste ein entsprechender Vertrag umgehend gekündigt werden.

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Um die Folgen des LkSG zu verstehen, sollte die Idee des LkSG zu Ende gedacht und ein Perspektivenwechsel vorgenommen und überlegt werden, welche konkreten Folgen der Abbruch von Geschäftsbeziehungen mit den betroffenen Regionen oder gar Ländern hat. Denn diese werden gewiss nicht umgehend ihre Umwelt-, Arbeits-, und Menschenrechtsbedingungen anpassen, weil dafür in der Regel das Geld und häufig auch der politische Wille fehlt. Werden Lieferverträge am schmuddeligen Anfang der Lieferkette aufgekündigt, führt dies keineswegs mit der vom Gesetzgeber unterstellten Selbstverständlichkeit zu Wohlstand und zu einer Stärkung von Menschenrechten. Vielmehr ist anzunehmen, dass die lokale Wirtschaft geschwächt wird und dadurch Verelendung und Rechtlosigkeit nicht ab-, sondern zunehmen.4 Auch sind vermeintlich umweltfreundliche Technologien bei einer Gesamtbetrachtung nicht immer wirklich umweltfreundlich, tatsächlich teilweise sogar schädlicher als konventionelle Technologien.5 Insbesondere die vielfach eingesetzte Lithiumbatterie wird unter einem Höchstmaß an Umweltschäden in armen Ländern produziert. Lithium findet sich in besonders trockenen Gegenden; zur Gewinnung wird aber viel Wasser benötigt, das als Trinkwasser und zur Bewässerung der Felder fehlt; ferner werden Chemikalien und Schwermetalle in die Umwelt emittiert.6 Würde man das LksG konsequent anwenden, müssten Elektroautos sofort aus jeder Lieferkette verbannt werden. Vergleichbares gilt für Mobiltelefone, bei denen das zentrale Element Coltan unter schlimmsten Umweltbedingungen und Sklaverei in Kriegsgebieten gewonnen wird.7

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2.3. Wonach sollen Unternehmen entscheiden? Zur Realität des LksG in der unternehmerischen Umsetzung

Um die Folgen von non-compliance und Verstößen gegen das LkSG zu vermeiden, müssen Unternehmen komplexe Abwägungen vornehmen. Sie sollen über technische Belange des Umweltschutzes Bescheid wissen, die Einhaltung völkerrechtlicher Abkommen und die Menschenrechtslage vor Ort kennen und darauf basierend richtige Entscheidungen treffen. Dabei müssen sie verschiedene technische, moralische und politische Beweggründe abwägen. Dabei wird es immer wieder zu Kollisionen dieser Werte kommen. So stehen Maßnahmen zur Co2 Reduzierung häufig im Gegensatz zum Schutz von Flora und Fauna, etwa wenn Windräder in Vogelfluglinien stehen und damit Unmengen von Vögeln töten.  Geschäfte mit Diktaturen können der Menschenrechtslage förderlich sein, wenn sie zu einer zarten Verbesserung der allgemeinen Lage führen (könnten), wobei ein Erfolg aber erst nach Jahren absehbar ist; gleichzeitig können sie aber auch zu einer unerwünschten Stärkung verbrecherischer Regime führen. Wer kann und will über die Richtigkeit einer Fortführung oder eines Abbruchs von Geschäftsbeziehungen in einem solchen Fall entscheiden? Dies sind Fragestellungen, die schon die große Politik nicht beantworten kann – die nun aber Unternehmen auferlegt werden.

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2.4. Zwischenergebnis

Mag das Ziel des LkSG, die Verbesserung von Menschenrechten und Umweltstandards ehrbar sein, so ist die Idee, dass nicht die Politik oder Endabnehmer, sondern Unternehmen dafür verantwortlich sein sollen, unangemessen und falsch. Das LkSG steht im Widerspruch zum völkerrechtlichen Grundsatz, wonach die Pflicht, die Menschenrechte des Einzelnen zu achten, zu schützen und einzuhalten, bei den Staaten liegt.

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3. Rechtliche Einzelfragen

Neben den praktischen Fragen bestehen auch zahlreiche grundlegende rechtliche Fragen zum LkSG. Da jede Anlass und Raum für eine selbstständige und ausführliche Betrachtung fordert, soll hier nur ein zusammenfassender Überblick und Anregung für die wissenschaftliche Diskussion und/oder gerichtliche Überprüfung gegeben werden.

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3.1. Mögliche Verfassungswidrigkeit des LkSG

Es bestehen ganz erhebliche Bedenken an der Verfassungsgemäßheit des LkSG, da die zahlreichen Bußgeldtatbestände an viele unklare Vorgaben und unbestimmte Rechtsbegriffe geknüpft sind und somit gegen das Bestimmtheitsgebot verstoßen könnten. Die sehr zahlreichen Vorgaben von Compliance-Maßnahmen stellen einen Eingriff in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit dar und verstoßen möglicherweise gegen Art. 12 und Art. 14 GG. Nach den Grundsätzen der Business Judgement Rule (§ 93 Abs.1 S. 1 und S. 2 AktG) wird dem Vorstand für seine Entscheidungen ein weiter Beurteilungs- und Handlungsspielraum eingeräumt. Denn unternehmerische Entscheidungsprozesse sind dadurch gekennzeichnet, dass sie häufig mit Unsicherheiten und unter Zeitdruck getroffen werden müssen. Es soll der Gefahr vorgebeugt werden, dass Gerichte bei einer nachträglichen Beurteilung und in Kenntnis des späteren Verlaufs überzogene Anforderungen an die organschaftliche Sorgfaltspflicht und damit die Haftung von Vorständen stellen. Gemäß den Grundsätzen der Business Judgement Rule handelt ein Geschäftsführer dann pflichtgemäß, wenn er sich vor einer Entscheidung hinreichend informiert, sich nicht in einem Interessenkonflikt befindet und darauf vertrauen darf, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Tut er dies nicht, hat er die Folgen zu tragen. Damit unterscheidet der Vorstand selbstständig wie risikofreudig er handeln möchte, verschätzt er sich, so trägt er die Folgen. Dies ist zentraler Bestandteil unternehmerischen Tätigkeiten und unterscheidet sich grundlegend von bürokratischen Strukturen. Die ausgesprochen detaillierten Vorgaben des LkSG stehen im Widerspruch zu dieser unternehmerischen Freiheit.

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3.2. Anwendung des LkSG auf Konzerne

Das LkSG gilt für Unternehmen mit mehr als 3.000 Arbeitnehmern; ab dem Jahr 2024 wird es für Unternehmen mit mehr als 1.000 Arbeitnehmern gelten. Eine Regelung für Konzerne findet sich in § 1 Abs. 3 LkSG. Danach ist für konzernangehörige (Tochter-) Unternehmen die Anzahl der eigenen Arbeitnehmer maßgeblich, eine Zurechnung von Arbeitnehmern anderer Unternehmen innerhalb des Konzernverbundes erfolgt nicht. Das LkSG ist demnach auf konzernangehörige Unternehmen nur dann anwendbar, wenn diese selbst über mehr als 3.000 (1.000) Arbeitnehmer verfügen. Eine analoge Anwendung der Rechtsgedanken aus den § 24 Abs. 3 LkSG, § 81c Abs. 5 GWB scheitert an der Vergleichbarkeit der Regelungen. Der Blick auf den ähnlichen Regelungsgehalt des § 9 GwG zeigt, dass eine solche Unterscheidung vom Gesetzgeber durchaus gewollt ist. Somit ist das LkSG auf Konzerne faktisch nicht anwendbar,8 denn eine Obergesellschaft mit mehr als 1000 oder gar 3000 Mitarbeitern wird sich kaum finden.

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Des Weiteren sind die gesellschaftsrechtlichen Begrifflichkeiten unklar oder stehen teilweise im Widerspruch zu den etablierten Begrifflichkeiten im Gesellschafts-, Konzern- und Kartellrecht.9 Insbesondere die Frage nach dem Vorliegen „bestimmenden Einflusses“ ist nicht zufriedenstellend geregelt.10 Diese fehlende Klarheit ist nicht trivial; denn der Umgang damit bzw. die Folgen stehen nicht zur Disposition der betroffenen Rechtsträger, also der Aktiengesellschaft, dem Aktionär, den Organen oder sonstigen privatrechtlichen Personen. Vielmehr führen die Unklarheit und Unsicherheit im schlimmsten Fall zu empfindlichen Bußgeldern.

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3.3. Risikoanalyse

Unternehmen sind nach § 3, 4 LkSG verpflichtet, menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten in angemessener Weise zu beachten und dazu ein Risikomanagement aufsetzen. In einem ersten Schritt sind die Risiken nach § 5 LkSG in einer Risikoanalyse zu erfassen, bevor die Unternehmen in einem zweiten Schritt Präventions- und Abhilfemaßnahmen nach den Vorgaben der §§ 6, 7 LkSG finden und umsetzen müssen.11 Hierzu hat nun das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle eine Handreichung zur Ermittlung, Gewichtung und Priorisierung von Risiken veröffentlicht,12 die gewiss eine sehr ausführliche und hilfreiche Anleitung für die Durchführung einer Risikoanalyse darstellt. Dem geneigten Betrachter fällt allerdings auf, dass für vergleichbare rechtliche Pflichten Unternehmen eine Risikoanalyse selbstständig entwickeln und durchführen (können). Diese Freiheit besteht nun nicht mehr. Gleichwohl fehlen konkrete Vorgaben im Gesetz. Führt ein Unternehmen die Risikoanalyse fahrlässig nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig durch, so stellt dies gemäß § 24 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 eine bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit dar. Dabei stellt sich die Frage, ob jeder einzelne Fehler eine Ordnungswidrigkeit darstellt, oder ob die gesamte (fehlerhafte) Risikoanalyse als eine einheitliche Ordnungswidrigkeit zu behandeln ist. Vor allem stellt sich die Frage nach den Anforderungen an die Erkennbarkeit der Risiken für das Unternehmen. Inwieweit muss es etwa im Hinblick auf Umweltschäden eine belastbare fachliche Expertise haben? Was muss es als gegeben ansehen? Wie bereits oben kurz angerissen, führt die Gewinnung von Lithium oder Coltan zu besonders schweren Belastungen der Umwelt und Menschenrechte. Demgegenüber ist die landläufige Meinung, dass Elektroautos die mit Lithium-Akkus fahren besonders umweltfreundlich sind. Wie verhalten sich eigene Erkenntnisse des Unternehmens zu möglicherweise divergierenden behördlichen Erkenntnissen?13 Die grundlegende – und von Gerichten kaum zu beantwortende – Frage wird sein: Was ist richtig?

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3.4. Berichts und Dokumentationspflichten

Berichts und Dokumentationspflichten finden zu Recht ihre Grenze bei Geschäftsgeheimnissen. In der Praxis wird nahezu jedes Unternehmen seine Lieferanten als Geschäftsgeheimnis verstehen und vor dem Zugriff durch Dritte schützen. Gerade in spezialisierten Branchen können über die Kenntnis von Zulieferern umfangreiche Erkenntnisse über Kostenstruktur, Produktion und Produktentwicklung abgeleitet werden. Werden diese öffentlich zugänglich, so freuen sich auch Wettbewerber und Kunden. Für das betroffene Unternehmen ist dies wenig erfreulich, es wird die vom LkSG geforderten Informationen zu Recht nicht veröffentlichen. Dies wirft die Frage auf, in welcher Tiefe muss das Unternehmen hierüber berichten und dies begründen muss.

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Ferner stellt sich die Frage, wie genau zu verfahren ist, wenn Zulieferer nicht eindeutig identifizierbar sind. Dies ist insbesondere beim Handel mit Rohstoffen der Fall, wenn diese bei Zwischenhändlern vermengt werden.

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3.5. Abhilfemaßnahmen

Welche Folgen wird die Ultima Ratio der Abhilfemaßnahmen, die Beendigung der Geschäftsbeziehung, haben? Der Lieferant in Bangladesch hält sich nach wie vor an die lokalen Regelungen und den (möglicherweise seit Jahren) bestehenden Rahmenvertrag. Wird der Vertrag nach § 7 Abs. 3 LkSG gekündigt, drohen möglicherweise erhebliche Schadenersatzanasprüche des Lieferanten, wenn dieser seinerseits seine Pflichten aus dem bestehenden Vertrag nicht verletzt hat. Dafür grundlegend wird das jeweils anwendbare Recht sein. Nach deutschem Recht wird die Kündigung gem. § 7 Abs. 3 LkSG keine Pflichtverletzung i.S.d. § 280 BGB darstellen; unterliegt der Vertrag einem ausländischen materiellen Recht, mag die Beurteilung anders ausfallen.

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3.6. Zivilrechtliche Haftung

Ausweislich des Wortlautes des § 3 Abs. 3 S. 1 LkSG soll kein eigener Schadensersatzanspruch gegen Unternehmen wegen Verletzung des LkSG bestehen. Dort heißt es: „Eine Verletzung der Pflichten aus diesem Gesetz begründet keine zivilrechtliche Haftung“. Dies wird jedoch sogleich mit dem Folgesatz widerrufen: „Eine unabhängig von diesem Gesetz begründete zivilrechtliche Haftung bleibt unberührt“. Ein solcher Widerspruch des Gesetzgebers dürfte einmalig sein. Denn zum einen dürfte das LKSG angesichts der Regelungsziele ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB sein. Dessen Geltung wird allerdings durch § 3 Abs. 3 S. 1 LkSG nicht beschränkt, vielmehr ist der 2. Satz des § 3 Abs. 3 LkSG ein sehr deutlicher Hinweis eben auf diese Haftungsregelung. Die prozessualen Folgen nimmt das Gesetz in den Blick, indem es in § 11 LkSG eine Regelung zur Prozessstandschaft von NGOs und Gewerkschaften niederlegt. Freilich macht Prozessstandschaft ohne entsprechenden Anspruch nicht sonderlich viel Sinn. Es drängt sich der Verdacht auf, dass die in den ursprünglichen Entwürfen vorgesehenen Schadensersatzansprüche gewissermaßen durch die Hintertür eingeführt werden sollen.

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Allein dieser kurze Überblick über derzeit offene Rechtsfragen macht deutlich, dass das LkSG schwerwiegende rechtliche Fallstricke aufweist.

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4. Fazit

Das LkSG ist ein Paradebeispiel für den Satz: „Das Gegenteil von gut gemacht ist gut gemeint.“ Der Effekt des LkSG für die zu schützenden Rechtsgüter wird gegen null gehen. Nachhaltige Auswirkungen auf die Lage bei Menschenrechten und Umweltbelastungen kann einzig das Verhalten der Verbraucher haben. Selbstverständlich steht es jedem Bürger frei, auf Produkte zu verzichten, die nicht den gewünschten Umwelt- oder Menschenrechtsstandards entsprechen. Um dies festzustellen, können jederzeit umfassende Informationsquellen genutzt werden, ohne dass es dazu des LkSG bedarf. Von diesen Informationsmöglichkeiten macht der westliche Bürger offenbar aber nur wenig Gebrauch. Freilich ist nicht Selbstzweck von international agierenden Textilunternehmen, billige T-Shirts unter unwürdigen Bedingungen in Bangladesch zu produzieren. Würden diese in Deutschland und anderen westlichen Staaten nicht gekauft, gäbe es die kritisierten Zustände am Anfang der Lieferkette nicht. Mit der Einführung des LkSG werden Unternehmen nach der Corona-Pandemie, dem Ukraine-Krieg und den ohnehin schon angespannten oder gerissenen Lieferketten durch die umfangreichen bußgeldbewehrten Handlungs-, Berichts-, und Dokumentationspflichten weiter belastet. Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber noch einmal nachbessert. 

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