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Zitiervorschlag: Grätz, LRZ 2021, S. 159, [●], www.lrz.legal/2021S159.

Permanente Kurz-URL: LRZ.legal/2021S159

Künstliche Intelligenz (nachfolgend „KI“) ist heute allgegenwärtig. Schätzungen zufolge sollen bereits im Jahr 2017 rund 84 % der Menschen KI genutzt haben.[1]

1. Problemaufriss

 

Künstliche Intelligenz (nachfolgend „KI“) ist heute allgegenwärtig. Schätzungen zufolge sollen bereits im Jahr 2017 rund 84 % der Menschen KI genutzt haben.[1] Verkörpert in Robotern begegnet uns dieser technische Fortschritt allerdings nur selten. Vielmehr begleiten uns die intelligenten Helfer in unseren Mobiltelefonen oder unterstützen uns während der Autofahrt. Umgesetzt werden diese Hilfestellungen mit elektronischen Assistenzsystemen und autonom operierenden Computerprogrammen. Zu beobachten ist dabei, dass die Technik zunehmend selbständiger wird. In jüngster Zeit wird KI auch vermehrt dazu genutzt, kreative Prozesse nachzubilden. Unweigerlich wirft dies die Frage auf, wie zeitgemäß die anthropozentrische Ausrichtung des Urheberrechts als zentrales Recht der Kreativität noch ist. Gleichwohl steckt die juristische Bewertung dieses Novums noch in den Kinderschuhen.

 

2. Kreative KI als neue Herausforderung für das Urheberrecht

 

Künstliche Intelligenz begleitet heute unterschiedlichste Filmprojekte und produziert sogar Musik.[2] So erweckte die KI DeepBach den Stil des namensgebenden Komponisten zu neuem Leben.[3] Selbst der Gewinn eines Literaturpreises scheint für KI nicht ausgeschlossen.[4] Weitere Arbeiten belegen, dass derartige kreative Projekte nicht die Ausnahme darstellen: Die KI „E-David“ konnte sich selbst portraitieren, nachdem sie von einer Malerin angelernt worden ist.[5] Ein Bild von The Next Rembrandt überzeugte selbst Kunstexperten.[6] Aber auch im Alltag unterhält uns künstliche Kunst. In Fahrstühlen etwa erklingen zunehmend die neusten Kreationen der intelligenten Systeme.[7] Dabei ist diese artifizielle Kunst schon jetzt nicht mehr von derjenigen der großen Meister zu unterscheiden.

 

Ausgehend von diesem Befund wird speziell im Urheberrecht beraten, ob die elektronischen Werkzeuge Schöpfer sein können.[8] Auch im Patentrecht diskutieren die Literaten über die Erfindereigenschaft derartiger Systeme.[9] Aber rührt diese Kreativität tatsächlich von den Maschinen her?

 

In den Fokus rückt die Problematik mit der wirtschaftlichen Verwertung der Erzeugnisse. Das Gemälde Portrait of Edmond De Belamy wurde im Oktober 2018 für 432.500 US-Dollar versteigert – ebenfalls ein „Werk“, das unter Zuhilfenahme eines intelligenten Systems kreiert wurde.[10] Für 29 Werke der KI DeepDream wurden immerhin 97.000 US-Dollar geboten.[11]

 

Für die Beteiligten stellt sich somit die Frage, wem die „Werke“ und deren Erlöse zustehen oder zustehen sollten. Die gesellschaftliche Bedeutung dieses Themenkomplexes könnte nicht größer sein. Die nächsten Schritte werden über unser künftiges Verständnis von Kunst entscheiden. Möchten wir künstliche Kreativität genauso schützen wie menschliche Kreativität? Entwerten wir damit einen dem Menschen vorbehaltenen „göttlichen Funken“?

 

3. Künstliche Intelligenz: Technische und begriffliche Grundlagen

 

Künstliche Kreativität wird heute durch künstliche neuronale Netze umgesetzt. Diese sind dem menschlichen Gehirn nachempfunden und müssen im Gegensatz zu Computerprogrammen nicht programmiert, sondern maschinell angelernt werden. Infolge des Lernprozesses sind die Vorgänge innerhalb der intelligenten Werkzeuge für den Menschen nicht mehr gänzlich nachprüfbar. Aus diesem Grunde wird den Systemen mittlerweile Autonomie zugeschrieben.

 

Eine derartige Charakterisierung solcher Netze sollte jedenfalls heute noch einem relativierenden Begriffsverständnis zugeführt werden. Künstliche Intelligenz setzt sich keine eigenen Zielvorgaben und agiert nicht aus eigenem Antrieb heraus. Stattdessen setzen Experten mit enormem intellektuellem und wirtschaftlichem Aufwand in mühevoller Kleinstarbeit kreative Zielvorgaben mithilfe der intelligenten Systeme um. KI ist also durch die Koexistenz des Menschen bedingt. Daher verfügt die aktuell vorzufindende sog. schwache KI auch noch nicht über – wenn es etwas Derartiges denn geben sollte – eigene „echte“ Kreativität. Dies bedeutet nicht, dass die Realisierung „vollkommener“ künstlicher Kreativität in der Zukunft nicht möglich wäre. Spätestens mit der Entwicklung sog. starker KI, die sogar die intellektuellen Fähigkeiten des Menschen übertreffen soll, wird die „Kreativitätsfrage“ erneut zu stellen sein.

 

4. Immaterialgüterrechtsschutz kreativer KI de lege lata

 

Im Rahmen der immaterialgüterrechtlichen Bewertung der künstlichen Kreativität ist zwischen dem intelligenten System einerseits und dessen Hervorbringungen andererseits zu unterscheiden. Eine Gesamtschau zeigt, dass der Rechtsschutz beider Anknüpfungspunkte korreliert. Dies darf allerdings nicht dahingehend missverstanden werden, dass sich ein immaterialgüterrechtlicher Schutz an dem künstlichen neuronalen Netz unmittelbar an den artifiziellen Erzeugnissen fortsetzten würde. Indes kann ein starker Schutz auf der Ebene des Systems dazu führen, dass ein schwächerer Schutz auf der Ebene der Erzeugnisse akzeptabel ist. Dies wäre jedenfalls zu erwägen, wenn der Programmierer des Netzes und dessen Nutzer personenidentisch sind. Da Letzteres aber häufig gerade nicht der Fall ist, müssen unterschiedliche Konstellationen interessengerecht aufgelöst werden.

 

Eingangs darf festgestellt werden, dass mit dem aktuellen Urheberrechts- und Patentgesetz bereits gegenwärtig ein Katalog an Rechtstexten existiert, mit dem die intelligenten Systeme umfassend geschützt werden könnten.[12] Gleichwohl kann sowohl im Urheber- als auch im Patentrecht festgestellt werden, dass Schwierigkeiten bei der praktischen Verwirklichung dieses Schutzes bestehen. Im Urheberrecht wird der Computerprogrammbegriff der §§ 69a ff. UrhG eng ausgelegt. Dies führt dazu, dass wesentliche Bestandteile der künstlichen Intelligenzen aus dem Schutzbereich fallen. Dieses Problem könnte mit einem weiteren Verständnis gelöst werden. Sachdienlich wären darüber hinaus Handreichungen der Patentämter, um Patentanmeldungen für die künstlichen Helfer zielführend tätigen zu können. Aktuell bestehen hier Unklarheiten, wie die Systeme in den Patentschriften zu beschreiben sind. Flankierend könnte das neue Geschäftsgeheimnisgesetz dazu beitragen, verbleibende Schutzlücken zu schließen.

 

Andere Probleme als die praktische Realisierung eines Rechtsschutzes offenbart eine immaterialgüterrechtliche Prüfung der artifiziellen Erzeugnisse.[13] Aufgrund der propagierten Autonomie von KI besteht die Gefahr, dass selbige mit dem tragenden Grundgedanken des Immaterialgüterrechts, namentlich, dass lediglich der Mensch zu kreativem Schaffen in der Lage ist, in Konflikt geraten könnte. Es stellt sich die Frage, ob KI noch ein Hilfsmittel im urheberrechtlichen Schöpfungsprozess darstellt, oder ob das Band zwischen Erzeugnis und Mensch durchbrochen ist.

 

Maßgeblich hierfür sind die im Urheberrecht geltenden Zurechnungskriterien. Nach der sog. Lehre vom Schutzzweck der Norm ist zu untersuchen, ob das Entstehen eines Werkes auf eine Handlung zurückzuführen ist, die von dem Schutzbereich des Urheberrechts umfasst ist. § 2 Abs. 2 UrhG legt in diesem Zusammenhang fest, dass nur persönliche geistige, also menschliche Schöpfungen Werke sind, und schließt gleichsam maschinell erzeugte Erzeugnisse aus dem Schutzbereich des Urheberrechts im engeren Sinne aus. Von herausragender Bedeutung für die Einordnung eines artifiziellen Erzeugnisses sind folglich die Vorgaben, die ein Mensch einer KI durch die Auswahl der Trainingsdaten und die Programmierung der Topologie eines künstlichen neuronalen Netzes macht. Fest steht damit aber sogleich auch, dass Produkte einer gänzlich autonomen, mithin starker KI nicht mehr unter den Werkbegriff subsumiert werden können.

 

5. Regulierungsrahmen für artifizielle Erzeugnisse de lege ferenda

 

In der juristischen Literatur mehren sich die Vorschläge, wie auf diese Schutzlücke zu reagieren wäre. Die Verortung starker KI im ersten Teil des Urheberrechtsgesetzes würde letztlich signalisieren, dass künstliche und menschliche Kreativität als gleichwertig beurteilt würden. Auf breiten Zuspruch stößt daher der Ansatz, einen Regulierungsrahmen de lege ferenda durch ein verwandtes Schutzrecht in dem zweiten Teil des Urheberrechtsgesetzes zu schaffen.[14] Begründet wird dies häufig damit, dass eine solche Lösung systemverträglich sei, da die verwandten Schutzrechte eine persönlich geistige – und damit menschliche – Schöpfung nicht zwingend voraussetzen.

 

Vollkommen übersehen wird dabei, dass dieser Ansatz zwar systemverträglich, nicht aber systemgerecht wäre. Dies liegt darin begründet, dass die verwandten Schutzrechte ideengeschichtlich der Vermittlung fremder Individualität dienen. Ihnen ist also eine Werkkommunikationsfunktion inhärent. Artifizielle Erzeugnisse besitzen eine derartige Werkkommunikationsfunktion aber nicht. Andererseits hat sich der Katalog der verwandten Schutzrechte seit seiner erstmaligen gesetzlichen Kodifizierung fortentwickelt. Nunmehr schützt dieses bunte Sammelsurium jedwede Leistungen, die als schutzwürdig empfunden werden, sodass heute auch Datenbanken an diesem Schutz partizipieren. Es können demnach Ausnahmen von dem grundlegenden Prinzip der verwandten Schutzrechte identifiziert werden. Insbesondere den §§ 72, 95 und 87a ff. UrhG könnte in diesem Rahmen eine Vorbildfunktion für ein neues Leistungsschutzrecht für artifizielle Erzeugnisse zuteilwerden. Diese Rechte stellen keine persönliche geistige Schöpfung, sondern Organisations- und Investitionsaufwand unter Schutz.

 

Ungeachtet dessen, dass die Regulierung starker KI über neue Leistungsschutzrechte nicht vollkommen systemgerecht wäre, weist diese Lösung sogar einige Vorzüge auf:[15] Im Gegensatz zum Markenrecht setzen die verwandten Schutzrechte keinen speziellen Schutzgegenstand voraus. Artifizielle Erzeugnisse ließen sich in dieses Gefüge also unproblematisch eingliedern. Zudem schafft eine konkrete Schutzdauer gegenüber dem Wettbewerbsrecht Rechtssicherheit. Mangelnde Formerfordernisse erleichtern eine internationale Handhabung der Erzeugnisse. Darüber hinaus würde eine Erweiterung des „urheberrechtlichen Unterbaus“ zugleich einer Rechtszersplitterung entgegenwirken.

 

Insgesamt können die verwandten Schutzrechte daher tatsächlich einen geeigneten Regulierungsrahmen für artifizielle Erzeugnisse bieten.

 

6. Bedarfsanalyse

 

Fraglich bleibt, ob wir gegenwärtig überhaupt weitere Regulierungsmechanismen für kreative künstliche Intelligenz benötigen. Dies wäre der Fall, wenn weitere Anreize zur Produktion artifizieller Erzeugnisse gesetzt werden müssten, um ein Marktversagen zu verhindern.

 

Derzeit boomt KI jedoch. Auch für artifizielle Erzeugnisse werden horrende Summen gelöhnt. Aktuell steht ein Marktversagen somit nicht bevor und ein neues Leistungsschutzrecht für KI wäre verfrüht. Ob diese Sachlage mit der Entwicklung starker KI weiterhin Geltung beanspruchen kann, bleibt abzuwarten. Hier werden die weiteren Entwicklungen und die gesellschaftliche Akzeptanz künstlicher Kreativität abzuwarten sein. Künftig kann ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf jedenfalls nicht ausgeschlossen werden. Ein solches Recht käme insbesondere freischaffenden KI-Künstlern zugute, die mit artifiziellen Erzeugnissen ihren Lebensunterhalt bestreiten möchten.

 

7. Fazit

 

Künstliche Intelligenz schafft heute Erzeugnisse, die von menschlichen Kunstwerken nicht mehr unterschieden werden können. Dies ruft auf dem Gebiet des Immaterialgüterrechts zahlreiche Fragestellungen auf den Plan. Nicht nur der gegenwärtige Rechtsstand wird von diesem technologischen Meilenstein tangiert. Vielmehr geht es um die verantwortungsvolle Gestaltung der Zukunft unseres Kreativsektors. Die Leistungsschutzrechte bieten hierzu einen interessengerechten, wenn auch nicht gänzlich systemgerechten Rahmen, der ausgebaut werden könnte. Um den Spagat zwischen Kunstfreiheit und Regulierung zu meistern, müssen schon heute die Weichen richtig gestellt werden.

 


[1] Wolan, Next Generation Digital Transformation. S. 38.

[2] Näher hierzu: Grätz, Künstliche Intelligenz im Urheberrecht, S. 3-4 und 35-38.

[3] Kersten, in: FS Lehner, 2019, 432, 437.

[4] Der Roman „Der Tag, an dem ein Computer einen Roman schreibt“, der fast das Finale des japanischen Literaturpreises Nikkei Hoshi Shinchi erreichte, handelt hiervon (Volland, Die kreative Macht der Maschinen, S. 27-29).

[5] Volland, Die kreative Macht der Maschinen, S. 58, 59.

[6] Feiks, Automatisierte Kreativität, S. 77, 78.

[7] Kreutzer/Sirrenberg, Künstliche Intelligenz verstehen, S. 249, 250.

[8] Vgl. nur Bleckat, InTeR 2019, 54: „Intelligente Roboter als Urheber“.

[9] Nägerl/Neuburger/Steinbach, GRUR 2019, 336, 340.

[10] Dornis, GRUR 2019, 1252, 1253; Grätz, Künstliche Intelligenz im Urheberrecht, S. 4 m.w.N.

[11] Kersten, in: FS Lehner, 2019, 432, 438.

[12] Vgl. hierzu ausführlich: Grätz, Künstliche Intelligenz im Urheberrecht, S. 45-72.

[13] Vgl. hierzu: Grätz, Künstliche Intelligenz im Urheberrecht, S. 73-131.

[14] de Cock Buning, EJRR 2016, 310, 320 f.; Dornis, GRUR 2019, 1252, 1260, 1264; Ehinger/Grünberg, K&R 2019, 232, 236; Gomille, JZ 2019, 969, 973; Hetmank/Lauber-Rönsberg, GRUR 2018, 574, 580; Lauber-Rönsberg, GRUR 2019, 244, 253; Papastefanou, WRP 2020, 290, 293, 296; Specht-Riemenschneider, in: FS Taeger, 2020, 711, 724.

[15] Weiterführend hierzu: Grätz, Künstliche Intelligenz im Urheberrecht, S. 160-169.