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Zitiervorschlag: Kürth, LR 2020, S. 1, [●], www.lrz.legal/2020S1

 
Philipp Kürth
Student, Humboldt Universität Berlin

Welchem Kurs folgt die Legal-Tech-Szene? Auf der LEGAL ®EVOLUTION wird Anfang Dezember Jahresbilanz gezogen und die Route für das kommende Jahr aufgenommen.

Legal Tech will den Rechtsmarkt auf den Kopf stellen. Dieser Prämisse folgt auch die LEGAL ®EVOLUTION – Europas führende Fachmesse für die Digitalisierung im Rechtsbereich. Am 4. und 5. Dezember führten Expo und Kongress zur technologie-gestützten Rechtsdienstleistung Praktiker aus der Rechtsberatung und -durchsetzung mit Referenten aus den Bereichen der Rechtswissenschaft und Rechtsetzung sowie Technologie- und Serviceanbietern zusammen. Zum dritten Mal fand das jährliche Fachevent statt – treu seinem Namen immer noch mit einem alternativen, vorkämpferischen Charakter, jedoch mit deutlich mehr Besuchern, Ausstellern und einem umfangreicheren Vortrags- und Workshopprogramm als in den Vorjahren.


 

 

 

Brennpunkt für den Austausch statt Messe unter vielen...

Im Allgemeinen folgen Messen einem einheitlichen Schema, haben ein immergleiches Profil: Teilnehmer besuchen sie mit einer spezifischen Agenda – „Was kann Anbieter XY für mich tun?“
Man sammelt Minz-Dragees, Kugelschreiber und ein paar Visitenkarten ein, erfreut sich des Hummus-Avocado-Sandwiches und des Plundergebäcks und gibt Interesse vor, während man die Liste geschäftlicher Bekanntschaften abarbeitet.

Die LEGAL ®EVOLUTION bewahrt den Schein eines Panoptikums insoweit, als die Aussteller an ihren Ständen die Gäste von ihren Dienstleistungen überzeugen müssen und versuchen, mit containerweise Give-Aways vom Kaffeebecher bis zum Stressball im Gedächtnis ihrer Besucher zu bleiben. Dass der Kern der vertretenen Unternehmen aber bereits das dritte Jahr einen Stand hat, zeigt, dass den Technologie- und Serviceanbietern scheinbar etwas gelingt – nämlich die tradierte, innovationsverschlossene Anwaltschaft von ihren Potenzialen zu überzeugen.

Neben anwendungstauglichen technischen Lösungen, die durch Mehrwert für den Rechtsmarkt tatsächlich schon Erfolge verbuchen konnten, stellt die Kongressmesse die Impression in den Vordergrund, Teil einer gestaltenden Bewegung und der Mission „Technologisierung des Rechts“ zu sein. Man trifft bekannte Gesichter, überzeugte und tatendurstige Menschen, die sich seit der ersten Stunde Legal Tech der Aufgabe verschrieben haben, das Recht und die rechtliche Beratung den gegenwärtigen Herausforderungen durch die Digital Player ebenbürtig zu machen.


Diskurs statt (bloßes) Selling: Was soll die ®EVOLUTION hervorbringen?

Die LEGAL ®EVOLUTION schafft ein eigenes Flair. Exposition und Kongress vermitteln das Engramm eines Klassentreffens. Sie öffnen aber auch ihren Adressatenkreis und beziehen Studierende ein, die eine nicht unerhebliche Prozentzahl der Gäste ausmachen. Die LEGAL ®EVOLUTION trägt dazu bei, dass Jurastudierende sich auf die Chancen und Herausforderungen der Automatisierung eines Teils ihrer Tätigkeiten einlassen und damit die Option bekommen, ihre zukünftige Arbeit proaktiv mitzugestalten.

Die LEGAL ®EVOLUTION fördert inhaltlich als auch adressatenbezogen aktiv einen zukunftsgerichteten Diskurs, indem sie studentischen Initiativen Tickets bereitstellt und Zugang zu einem breiten Spektrum an Einblicken in die Praxis sowie Inspirationen für eine interdisziplinäre Arbeit – und Gratisdrinks – gewährt. Vielmehr noch bietet sie damit – und das ist viel wichtiger – den gut 50 tech-begeisterten Jurastudierenden aus einer Handvoll Unistädten von München über Berlin und Münster bis nach Göttingen eine Plattform. Sie ist ein zentrales Event für den Austausch darüber, wie die Fortschritte beim Vorantreiben einer zeitgemäßen juristischen Ausbildung verlaufen. Die privat organisierten Vereinigungen[1] entspringen einem Defizit an Lehrangeboten zur Auswirkung der Digitalisierung auf das Recht und einer lange nicht erkennbar gewesenen Wahrnehmung von Legal Tech überhaupt an den Jurafakultäten. Angesichts des disruptiven Potenzials für juristische Tätigkeiten und Geschäftsmodelle haben die Studierenden-Initiativen die Weiterbildung in diesen Bereichen selbst in die Hand genommen. Sie veranstalten Workshops zum Umgang mit neuartiger Software für effizientere Rechtsdienstleistungen, laden Referenten und Kommilitonen zu Vortragsabenden über aktuelle rechtliche Herausforderungen technologischer Neuerungen ein und verteilen Zuständigkeiten für eine gegenseitige interne Fortbildung. Die Vereine sind jung und ihr Angebot ist bei den über die nächsten Klausuren hinausdenkenden Studenten gefragt. Hingegen sind ihre Initiatoren selbst Teil des Kreises der Rezipienten. Häufig fehlen die Erfahrungen bei der Leitung eines Vereins oder der Vermittlung neuartiger Inhalte über innovative Medien an ein großes Publikum.

Gut also, dass es die LEGAL ®EVOLUTION gibt, auf der die Initiativen das eigene Vorgehen evaluieren, sich gegenseitig Anreize setzen und wertvolle Erkenntnisse füreinander fruchtbar machen können.
Legal Tech ist ein Ausnahmetatbestand für den sonst so innovationshemmenden Konkurrenzkampf und die Sticheleien, wie sie Jurastudenten nachgesagt werden. Es geht um eine gemeinsame Mission, nämlich das eigene Schicksal als Juristin oder Jurist zu bestimmen und sich gestaltend den Effekten der Automatisierung zu stellen. Dieses Gefühl des Miteinanders ist, was man auf der LEGAL ®EVOLUTION spürt.


Nachwuchs auf hunderttausend-seitige Klagen vorbereiten

Die Kongressmesse für IT-Lösungen und Managed Services im Rechtsbereich zieht ihre Gäste mit, pusht sie nach vorn und lässt sie sich gegenseitig zu mehr Mut bei der Technologisierung befeuern. Insbesondere gilt dies für zwei Teilgebiete rechtlicher Tätigkeiten, an denen der profit-gekoppelte Konkurrenzdruck kein maßgeblich treibender Einflussfaktor für innovative Weiterentwicklung ist: Justiz und Lehre bekamen auf der LEGAL ®EVOLUTION 2019 eine Bühne, um einen Vergleich ihrer Digitalisierungsbemühungen und -fortschritte zu ziehen.


Herausforderung Massenverfahren: Treiber für das Technologie-Niveau der Justiz

Eine deutliche Umbruch-Stimmung spiegelten die Beiträge der Diskutanten des eröffnenden Justizpanels wider. Obschon der allgegenwärtigen Kritik am Status Quo des elektronischen Rechtsverkehrs in der Justiz legte die Präsidentin des Landgerichts München I, Andrea Schmidt, das Augenmerk auf die bereits funktionierende Basis digitaler Prozesse, mit denen immerhin 3.000 elektronische Eingänge pro Woche bearbeitet werden können. Angesichts der noch zu bewältigenden Herausforderung der Massenverfahren begegne die Justiz ihren Grenzen vor allem im Zivilverfahrensrecht, das nach Ansicht von Bundesverfassungsrichter a.D. Reinhard Gaier den Regeln des 19. Jahrhunderts folge. 45.000-seitige Klageschriften mit 600.000 Seiten Anhang – das ist eine 50 Meter dicke Akte – sind die Dimensionen dieser Tage in München judizierter Lkw-Kartell-Prozesse, mit denen sich die Regelungen der ZPO schwertun. Föderalismus und das öffentliche Vergaberecht hinderten die Justiz daran, „einfach mal zu einem Startup zu gehen und zu sagen: Bau mir mal was.“


Universitäten, bewegt euch! – die Digital Study 2019

Mit dem Aufstieg von Legal Technology in der Wahrnehmung der Rechtsbranche über die vergangenen Jahre stieg auch die Kritik an der Reaktionslosigkeit der juristischen Fakultäten. Das Thema ist auch heute im Veranstaltungsverzeichnis der durchschnittlichen Jurafakultät noch deutlich unterrepräsentiert. Dies missbilligend, nahmen es in einigen Städten Gruppen von Studierenden selbst in die Hand, sich einen Rahmen für ihre interdisziplinäre Weiterbildung zu schaffen – und gründeten studentische Legal-Tech-Initiativen. Noch immer werden lautstark Forderungen gestellt, das juristische Studium inhaltlich sowie methodisch zu reformieren. Von der Einbeziehung rechtlicher Fragestellung des Web-Zeitalters, über ein Pflichtfach „Legal Tech“, vom Schreiben eines E-Examens bis zur gänzlichen Abschaffung dieses Klassifikations-Siegels differieren die Ansinnen. Dabei werden jedoch die schon erkennbaren Bewegungen an den Universitäten zu Unrecht in den Hintergrund gerückt.

LEX Superior nutzte den Rahmen der LEGAL ®EVOLUTION, um auf die Einbeziehung digitalisierungsspezifischer Inhalte in die Lehre aufmerksam zu machen und die dahingehenden Bemühungen der Fakultäten, E-Learning-Anbieter und Studierenden-Initiativen auszuzeichnen. Die Digital Awards 2019 wurden auf Grundlage der Ergebnisse einer Digitalisierungsstudie verliehen, die über den vergangenen Sommer die Bewertung von Rechtsstudium und -referendariat durch 2.600 angehende Juristen und die Einschätzungen von 14 Fakultäten erfasste. Ein nachdrücklich begrüßenswerter Vorstoß, vergegenwärtigt man sich den Effekt der Honorierungen auf die Institutionen, die sich so in ihren Bestrebungen bestärkt fühlen. Sie erkennen vielleicht das Potenzial einer Vorreiterstellung in ihrer fachspezifischen Ausrichtung und wollen diese Position auch in Zukunft nicht aufgeben. Weniger digitalaffine Fakultäten könnten und sollten die Digital Awards als Ansporn nehmen, ihre Inhalte in ähnlicher Weise zu erweitern, wollen sie im nationalen Vergleich nicht als Zukunftsverweigerer dastehen. Reich an vertrackten Komplexitäten und rechtlichen Streitfragen ist dieser Vorgang der Digitalisierung ja allemal – auch wenn das noch nicht allen Juraprofessoren präsent ist, die mangels eines eigenen Computers das Onlinestellen ihrer Vorlesungsfolien den Lehrstuhlmitarbeitern überlassen müssen.

Eindeutiges Ergebnis der Digital Study[2]: Studierende und Referendare wünschen sich mehr Legal Tech und Legal Design; bei drei von vier Fakultäten ist glücklicherweise ein Ausbau der Angebote zu Digitalisierung und Recht geplant. Sind bereits entsprechende Lehrveranstaltungen in das Programm eingebunden, überzeugen sie hinsichtlich ihrer Qualität die Mehrheit der Studierenden. Digitalgestützte Lehrkonzepte wie Inverted Classroom-Methoden oder Abstimmungssysteme sind noch ausbaufähig; aber immerhin befürworten auch 75% der Universitäten den digitalen Zugriff auf Lernmaterialien. Bei der Bereitschaft, Klausuren im ersten Examen digital abzufassen, haben die Fakultäten (82%) ihre Studenten (67%) sogar übertroffen.


Lebenslanges Lernen, stetige Disruption, Eifer für die Revolution

Neben alledem bietet der Kongress Weiterbildungsmöglichkeiten von inhaltlicher Qualität und einer unüberschaubaren Fülle. Von den Vorträgen zu den Themen Digitalisiertes Eigentum oder Legal Tech und EU-Verbraucherrecht bis zu den 15 Workshops über strategische Kanzleientwicklung oder Legal Design und 100 verschiedenen Einzelcoachings reichten die Formate des Inputs. Mag die Netzwerkpflege ein zentrales Motiv für die Kongressmesse-Besucher sein, so hält die LEGAL ®EVOLUTION die Messlatte für die inhaltliche Qualität ihres Programms dennoch hoch. Dass bei den Initiatoren der Messe Aktivismus für das Thema gelebt wird, spüren auch die Aussteller: Es sei eine Hilfsbereitschaft gegenwärtig, wie man sie nicht von anderen Events gewohnt ist, so Andreas Duckstein von LAW APOYNT. Im Kern geht es darum, eine wissenschaftlich fundierte oder praxiserprobte Basis für den Austausch zu bieten und das Event der Materie zu verschreiben. Und es geht um das Miteinander dabei, das Recht für die Unberechenbarkeiten technologischer Entwicklungen fit zu halten.

 

 


[1] ML-Tech in München, Legal Tech Lab in Frankfurt/Main, recode.law in Münster, Legal Tech Lab Cologne in Köln, eLegal in Göttingen u.v.m.
[2] Die ausführlichen Ergebnisse der Studie werden unter https://lex-superior.com/digital-study/ veröffentlicht.