Zitiervorschlag: Gontschar, LRZ 2022, Rn. 1011, [●], www.lrz.legal/2022Rn1011.
Permanente Kurz-URL: LRZ.legal/2022Rn1011
Der nachfolgende Beitrag behandelt eine Entscheidung des High Court of Justice in London, wonach NFTs als Eigentum im Sinne des englischen Rechts zu behandeln sein können, und stellt dieser Entscheidung den Diskussionsstand zu dieser hochaktuellen Frage im deutschen Recht gegenüber.
Für Kevin O'Leary gibt es keinen Zweifel: 2022 wird das Jahr der Non-Fungible-Tokens (NFTs).1 Der kanadische Unternehmer gehört zum Panel von „Shark Tank“, dem amerikanischen Pendant zu „Die Höhle der Löwen“ und investiert eigenes Geld in Start-ups. Als Investor braucht er ein feines Näschen dafür, wo verborgene Schätze zu heben sind. Und Rechtssicherheit, um seine Investition nicht gleich wieder abschreiben zu müssen. Nach Rechtssicherheit klang ein Judikat des Obersten Gerichtshofs des Vereinigten Königreichs, das NFTs (vermeintlich) als Eigentum einstufte. Ein Meilenstein, der auch für das deutsche Recht fruchtbar gemacht werden kann? Leider nicht!
Anfang 2021 beschritt das traditionsreiche Auktionshaus Christie's Neuland. Es versteigerte zum ersten Mal ein rein digitales Kunstwerk. Rein technisch betrachtet handelte es sich bei „Everydays: the First 5000 Days“ des amerikanischen Digital Artist Beeple um eine schlichte JPG-Datei mit 21.069x21.069 Pixeln.2 Trotzdem erzielte das Werk 69.346.250 US-Dollar3, bezahlt mit Kryptogeld4. Das Besondere an Beeples Opus war nicht, dass er 5.000 einzelne Bilder zu einer Collage zusammengeführt hatte. Das Besondere war, dass nicht lediglich eine Grafikdatei versteigert wurde, sondern ein NFT, der als digitales Unikat5 bzw. eine Art Echtheitszertifikat6 fungierte.
Das Bedürfnis nach solchen Authentizitätsnachweisen ist die Folge des technischen Fortschritts, insbesondere der Digitalisierung. Bei einem klassischen Kunstwerk vermag es ein Gutachter, sich anhand von Pinselstrich oder Konsistenz von Leinwand und Farbe ein verlässliches Bild über den Urheber zu machen.7 In der digitalen Welt verhält es sich jedoch anders. Eine Kopie einer Datei ist (meist) genau so gut wie das Original und kann unendlich oft repliziert werden.8 Diese Möglichkeit zur verlustfreien – und damit in der Regel kaum nachweisbaren – Replikation von digitalen Daten wird dann besonders brisant, wenn Wirtschaftsgüter wie Immobilien „tokenisiert“, also durch digitale Token dargestellt werden sollen. Dann nämlich würde nicht etwa ein Grundbuchauszug, sondern allein ein Token die Immobile auf Assetstufe mitsamt ihren Rechten und Pflichten repräsentieren.9 Dem Charme, Sachen und Rechte (beispielsweise Geschäftsanteile) schnell und rechtssicher digital übertragen zu können, ohne Eintragungen in Grundbücher10, Gesellschafterlisten11 usw. vornehmen oder abwarten zu müssen, stünde nicht nur die grundsätzliche Gefahr der Geldwäsche12 gegenüber. Vielmehr ließe sich schon der rechtssichere Eigentumsnachweis nicht mehr führen, wenn die das Eigentum bezeugende digitale Information eins zu eins kopiert werden kann, ohne dass zweifelsfrei belegbar wäre, was digitales Original und was nur (wertlose) Kopie ist.
Hier setzen NFTs an. Sie sind kryptografisch eindeutige, unteilbare, unersetzbare und überprüfbare Werte, die dezentral organisiert durch Blockchains abgebildet werden.13 Bei der Blockchain-Technologie handelt es sich, vereinfacht gesprochen, um eine dezentrale Datenbank, die durch ein Netzwerk aus gleichberechtigten Nutzern geführt wird. Sie besteht aus digitalen Blöcken, die Aufzeichnungen zu durch das Netzwerk überprüften Transaktionen enthalten, die die Nutzer durch die Verwendung sog. Public und Private Keys auslösen. Die einzelnen Blöcke werden durch Hashwerte, d.h. einzigartige kryptographisch erzeugte “Fingerabdrücke“ von Datensätzen, miteinander verknüpft. Dadurch entsteht eine Datenkette, die theoretisch fälschungssicher und durch ihre dezentrale Speicherung auch in ihrem Bestand gesichert ist. Auf diese Weise ermöglicht die Blockchain – vergleichbar mit manuell geführten Registern wie dem Grundbuch – die weitgehend gesicherte Abbildung der gesamten Transaktionshistorie bis zum Ursprung.14
Am 10. März 2022 entschied der High Court of Justice in London, dass NFTs als Eigentum im Sinne des englischen Rechts zu behandeln sein können.15 Schnell war von einer „landmark ruling“, einer bahnbrechenden und wegweisenden Entscheidung, die Rede.16
Gegenstand des Verfahrens war, dass der Antragstellerin zwei NFTs aus ihrer Krypto-Wallet gestohlen wurden, die später in zwei anonymen Konten bei OpenSea, einem beliebten NFT-Marktplatz, auftauchten. Die Antragstellerin begehrte deshalb im Wege der einstweiligen Verfügung, die Betreiberin von OpenSea zu verpflichten, diese beiden Konten einzufrieren, damit die NFTs nicht bewegt oder gehandelt werden konnten, und ihr Auskunft über die beiden Kontoinhaber zu erteilen.
Zur Frage, ob NFTs Eigentum darstellen, erschöpft sich die Entscheidung in der Feststellung, der erkennende Richter sei auf der Grundlage der im Namen der Antragstellerin eingereichten Eingaben davon überzeugt, dass es zumindest einen realistisch vertretbaren Fall gebe, in dem NFTs nach englischem Recht als Eigentum zu behandeln seien.17
Eine Subsumtion von NFTs unter die Tatbestände, die im englischen Recht das Eigentum definieren, findet sich in der Entscheidung nicht, ebenso wenig eine Auseinandersetzung mit in der Rechtswissenschaft zur rechtlichen Einordnung von NFTs vertretenen Auffassungen. Mangels einer auch nur ansatzweise argumentativen Begründung lässt sich die Entscheidung des High Court of Justice nicht fruchtbar machen – schon gar nicht für das deutsche Recht.
Nachdem der Blick über den Ärmelkanal keine neuen Erkenntnisse liefert, soll abschließend noch kurz der Stand der deutschen Diskussion zum Eigentumscharakter von NFTs beleuchtet werden.
Sachen im Sinne des Gesetzes sind nur körperliche Gegenstände (§ 90 BGB). Ob ein Gegenstand körperlich oder unkörperlich ist, bestimmt sich nach seiner sinnlichen Wahrnehmbarkeit und räumlichen Abgrenzbarkeit.18 NFTs sind aber selbst dann, wenn sie eine Sache repräsentieren, selbst keine Sachen, weil ihnen die Körperlichkeit fehlt.19 Daran ändert auch nichts, dass die Magnetisierung und Entmagnetisierung von Bits auf einem Datenträger physische Vorgänge sind und der der Schreibvorgang zu physischen Veränderung des Speichermediums führt.20 Ebenso wenig kommt dem Umstand Bedeutung zu, dass NFTs die für körperliche Gegenstände zentralen Eigenschaften der Exklusivität und Rivalität aufweisen.21 Weil NFTs keine Sachen sind, fehlt ihnen auch die Eigentumsqualität im sachenrechtlichen Sinne, die die Bestimmungen der §§ 903 ff. BGB gerade an Sachen knüpfen.22
Zwar hat der deutsche Gesetzgeber mit dem im Juni 2021 in Kraft getretenen § 2 Abs. 3 eWpG Krypto-Wertpapiere ausdrücklich unter den Sachbegriff des § 90 BGB subsumiert. Damit wurde aber nur der Grundsatz der Körperlichkeit im Sachenrecht zu Gunsten einer höchst spezifischen Spartenregelung23 durchbrochen.24 Ein umfassender Verzicht auf das Erfordernis der Körperlichkeit geht damit nicht einher.25
NFTs stellen auch kein subjektives Recht dar26, das im Wege der Abtretung (§§ 398, 413 BGB) übertragen werden könnte.27 Token, die lediglich elektronische Erscheinungen auf an eine Blockchain gebundenen Speichermedien sind, sind reine Tatsachen.28 Infolgedessen ist es dem BGB nicht möglich, den tatsächlichen Akt der Übertragung auf der Blockchain rechtlich abzubilden.29
Nach geltendem Recht können NFTs nur als sonstiger Gegenstand im Sinne von § 453 Abs. 1 Satz 1 BGB sowie als digitaler Inhalt im Sinne des § 327 Abs. 2 Satz 1 BGB erfasst werden.30 Das steht ihrer Verkehrsfähigkeit und Handelbarkeit freilich nicht entgegen.31 Der Erwerb eines NFT gegen Geld stellt den Kauf eines sonstigen Gegenstands dar, der unter § 453 Abs. 1 BGB fällt.32 Für ihre Übertragbarkeit spricht das übliche Marktgeschehen.33 Ob NFTs darüber hinaus als sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB anzusehen sein können, ist umstritten.34
Mit fortschreitender Digitalisierung scheint ein Bedürfnis, subjektive Rechte an bestimmten digitalen Inhalten zu schaffen bzw. sie gar mit absoluter Wirkung dem jeweiligen „Inhaber“ zuzuordnen, zunehmend unabweisbar.35
Daher sollte der Gesetzgeber eigenständige, technikneutral ausgestaltete Regelungen für bestimmte unkörperliche Gegenstände schaffen, die einen Vermögenswert aufweisen und erkennbar einer bestimmten Person zur exklusiven und rivalen Nutzung zugewiesen sein können. Inhaltlich zu regeln wären die Voraussetzungen der rechtlichen Zuordnung, die Voraussetzungen der Übertragung und der berechtigte Zugriff sowie die Verwertung durch Dritte (z.B. im Wege der Verpfändung oder der Zwangsvollstreckung).36
Bis zu einer solchen legislatorischen Maßnahme müssen NFTs im deutschen Recht als nicht eigentumsfähig im Sinne der §§ 903 ff. BGB gelten.37
Allerdings ist verfassungsrechtlich mit Blick auf Art. 14 Abs. 1 GG ein weiterer Blickwinkel geboten. Zwar ist Eigentum eine Form der Sachherrschaft und damit der umfassende Begriff für die vielfältig denkbaren sachenrechtlichen Beziehungen.38 Die Institutsgarantie des Eigentums verbietet es aber, solche Sachbereiche der Privatrechtsordnung zu entziehen, die zum elementaren Bestand grundrechtlich geschützter Betätigung im vermögensrechtlichen Bereich gehören, und damit den durch das Grundrecht geschützten Freiheitsbereich aufzuheben oder wesentlich zu schmälern.39 Deshalb schützt die Eigentumsgarantie nicht nur dingliche oder sonstige gegenüber jedermann wirkende Rechtspositionen. Vielmehr betrifft der Eigentumsschutz im Bereich des Privatrechts grundsätzlich alle vermögenswerten Rechte, die dem Berechtigten von der Rechtsordnung in der Weise zugeordnet sind, dass er die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidung zu seinem privaten Nutzen ausüben darf.40