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Zitiervorschlag: Lietz, LR 2020, S. 284, [●], www.lrz.legal/2020S284

 
Dr. Franziska Lietz
Geschäftsführerin, RGC Manager GmbH & Co. KG | Rechtsanwältin, RITTER GENT COLLEGEN

Dr. Franziska Lietz1: Lieber Daniel, ich freue mich sehr, dass ich in diesem Interview heute mit Dir über Deine kürzlich erschienene Dissertation „Legal Tech Anwendungen – Rechtswissenschaftliche Analyse und Entwicklung des Begriffs der algorithmischen Rechtsdienstleistung“ sprechen darf.

Wir haben uns ja schon vor ein paar Jahren auf einem Stipendiaten-Treffen kennengelernt. Damals waren wir beide noch wissenschaftliche Mitarbeiter an Lehrstühlen für Energierecht. Nun ist bereits das Energierecht ein sehr techniklastiges und innovationsgetriebenes Rechtsgebiet. Wie kommt es, dass Du Dich später entschieden hast, doch lieber in der vielleicht noch schnelllebigeren Thematik „Legal Tech“ zu promovieren?

 

Dr. Daniel Timmermann: Letzten Endes war das ein gewisser Zufall. Mein erstes Promotionsvorhaben in Greifswald war faktisch gescheitert, weil ich das Gefühl hatte, nur noch ein Themenfeld zu vervollständigen, statt eine echte Forschungsfrage zu bearbeiten. Zudem habe ich den Ortswechsel gesucht.

Im Energierecht wollte ich aber eigentlich bleiben. Deswegen verfasste ich eine Initiativbewerbung an das EWeRK Institut an der HU Berlin, das von Prof. Schwintowski geleitet wird. Prof. Schwintowski konnte mir zu dem Zeitpunkt keine Mitarbeiterstelle im Energierecht anbieten, stattdessen aber eine Tätigkeit im Zusammenhang mit dem Aufbau der Forschungsstelle Legal Tech. Ich muss zugeben, dass ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal wusste, was Legal Tech ist und als erstes auf Wikipedia nachgeschaut habe.

Aus heutiger Sicht war der Wechsel die absolut richtige Entscheidung. An meinem Doktorvater Prof. Schwintowski schätze ich besonders seine Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Themenfeldern sowie die viele Zeit, die er der Diskussion von Forschungsfragen mit mir und seinen anderen Mitarbeitern gewidmet hat.

 

 

Lietz: In deiner Dissertation werden viele existierende Geschäftsmodelle analysiert, die Darstellung wird oft durch Praxisbeispiele veranschaulicht und die Untersuchung in den regulatorischen Kontext umfassend eingebettet. Muss man als Leser Vorkenntnisse im Bereich von Legal Tech und/oder Informatik besitzen, um Deiner Darstellung folgen zu können?

 

Timmermann: Das Buch soll für alle Juristinnen und Juristen mit erfolgreich abgeschlossenem ersten Staatsexamen aus sich heraus verständlich sein. Technische und wirtschaftliche Vorkenntnisse werden bewusst nicht vorausgesetzt, insofern verfolgt die Arbeit das Ziel, Grundlagen der Informatik mitabzudecken, soweit sie für das Verständnis von Legal Tech erforderlich sind.

 

 

Lietz: Du beschäftigst Dich in Deiner Arbeit damit, was Legal Tech ist und was Legal Tech heute und in Zukunft leisten kann. Dabei differenzierst Du danach, ob ein Bedürfnis für die Durchführung einer kausalen oder einer normativen Subsumtion besteht. Was ist der Unterschied und wann sind Legal Tech-Tools Deiner Meinung nach Grenzen gesetzt?

 

Timmermann: Unter Subsumtion verstehen wir die Anwendung einer Rechtsnorm auf einen Sachverhalt. Für die Anwendung gibt es zwei Spielarten:

Manchmal, in der Praxis aber eher selten, kann aus einem Sachverhalt das eine richtige Ergebnis im Wege der Logik abgeleitet werden. Das bezeichne ich als kausale Subsumtion. Diese Spielart der Subsumtion beherrschen Algorithmen ausgesprochen gut.

Tatsächlich leben wir allerdings in einem Rechtssystem der Wertungsjurisprudenz. Eine schematische Anwendung des Gesetzestextes stellt daher die Ausnahme dar. In der Regel bestehen mehrere Interpretationsmöglichkeiten des Gesetzes, zu denken ist an unbestimmte Rechtsbegriffe. Aber auch (vermeintlich) bestimmte Rechtsbegriffe sind zumindest in ihren Randzonen unscharf. An dieser Stelle muss der menschliche Rechtsanwender mit juristischen Auslegungsmethoden argumentieren. Dies bezeichne ich als normative Subsumtion. Das vermögen Algorithmen nicht zu leisten, weil sie die Semantik der Sprache nicht erfassen können. In manchen Einsatzgebieten können lediglich aus der Syntax der Sprache stochastische Schlussfolgerungen über das wahrscheinliche Ergebnis der menschlichen Rechtsanwendung deduziert werden. Dabei handelt es sich nicht um meine Meinung, sondern eine im Rahmen der Untersuchung herausgearbeitete Tatsache.

 

 

Lietz: Das klingt alles sehr abstrakt. Könntest Du das an einem Beispiel erläutern?

 

Timmermann: Als angestellte Rechtsanwältin erzielst Du Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Der Einkommensteuer unterliegt dabei der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten.

Die Steuersoftware Elster subsumiert kausal. Dort können die Einnahmen und die Werbungskosten eingegeben werden. Elster zieht dann selbstständig die Werbungskosten von den Einnahmen ab und rechnet so den zu versteuernden Betrag aus. Das ist der kausale Subsumtionsteil.

Die eigentliche Subsumtionsarbeit nimmt aber nicht Elster vor, sondern Du selbst, indem Du zunächst bestimmen musst, welche Kosten Du als Werbungskosten einordnest und dann in die Elster-Maske eingibst. Denn Werbungskosten sind nach §9 EStG grob gesagt beruflich veranlasste Ausgaben. Bei der Frage, was beruflich veranlasst ist, muss Du nun normativ subsumieren. Das kann in manchen Fällen einfach sein – z.B. kaufst Du einen Palandt ausschließlich für berufliche Zwecke oder eine Kinokarte nur aus privatem Interesse. In anderen Fällen ist dies aber nicht so einfach festzustellen, z.B. bei der Frage, ob bürotaugliche Kleidung, das Handy oder der Kugelschreiber abzusetzen ist. Die hierfür notwendige Fähigkeit zur normativen Subsumtion besitzt Elster aber gerade nicht, hier stößt Legal Tech regelmäßig an ihre Grenzen.

 

 

Lietz: Wo wir schon davon sprechen, dass Legal Tech-Anwendungen – zumindest aus aktueller Perspektive – an ihre Grenzen stoßen, kommen wir zum Thema KI. Deine Arbeit enthält eine durchaus lustige Mitschrift eines Gesprächs mit einem Chatbot. Dabei versucht der Chatbot, bei schwierigeren Fragen das Thema zu wechseln oder gibt fälschlich vor, Kenntnisse zu einem bestimmten Thema zu besitzen. Was zeigt uns dieser Chat und was kann KI im Rahmen von Legal Tech-Anwendungen leisten?

 

Timmermann: Zunächst möchte ich anmerken, dass sich eine einheitliche Definition des KI-Begriffs bisher nicht abzeichnet. Stattdessen hat der Wirtschaftsinformatiker Franz Lehner zutreffend zusammengefasst, dass sich die Definition von künstlicher Intelligenz ebenso wie die der menschlichen Intelligenz als besonders schwierig erweist.

Die Chatbots, die aktuell im juristischen Bereich eingesetzt werden, nutzen typischerweise keine KI, sondern arbeiten regelbasiert. Das bedeutet, dass sie lediglich eine vorprogrammierte Baumstruktur abarbeiten.

Andere Chatbots nutzen zwar KI, z.B. der Chatbot Google Replika, der Gegenstand des Gesprächsprotokolls in meiner Arbeit ist. Dieser konnte aber im juristischen Bereich keine sinnvollen Antworten geben. Ich würde dies daher als untauglichen Versuch einer KI bezeichnen.

Hier erkennen wir also wieder die Grenzen von Legal Tech.

 

 

Lietz: In Deiner Arbeit betrachtest Du etliche Geschäftsmodelle, von den marktbeherrschenden Firmen wie bspw. Lawlift oder Flightright, bis hin zu weniger (als Legal Tech) bekannten Modellen, wie z.B. selbstvollziehenden Verträgen. Beim Lesen dieses Abschnittes wurden bei mir auch gleich Erinnerungen ans Studium wach – den Unterschied zwischen echtem und unechtem Factoring hatte ich seither verdrängt. Aber dank der anschaulichen Erläuterung konnte ich folgen.

Auf Basis dieses Marktüberblicks beschäftigst Du Dich sehr intensiv mit der Einordnung und Zulässigkeit dieser Legal-Tech-Angebote vor dem geltenden Rechtsrahmen. Dabei konzentrierst Du Dich schwerpunktmäßig auf das Rechtsdienstleistungsgesetz (RGD), welches dem Grundsatz folgt, dass Dienstleistungen, die per Definition als „Rechtsdienstleistung“ i.S.d. RDG zu qualifizieren sind, nur von zugelassenen Rechtsanwälten erbracht werden dürfen. Können denn Legal Tech-, d.h. Softwareanwendungen, überhaupt Rechtsdienstleistungen sein?

 

Timmermann: Prinzipiell ja. § 2 Abs. 1 RDG definiert die Rechtsdienstleistung als jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert. Ich möchte an dieser Stelle auf zwei Tatbestandsmerkmale eingehen:

Zunächst ist umstritten, ob Algorithmen überhaupt Tätigkeiten ausführen können. Sofern man den Begriff nach dem natürlichen Sprachgebrauch auf menschliche Handlungen begrenzen möchte, stellen jedenfalls das Programmieren und Anbieten einer Software Tätigkeiten dar.

Dann bedarf es der Erforderlichkeit einer spezifischen rechtlichen Prüfung. Das Merkmal der Erforderlichkeit sollte nicht mit der tatsächlichen Durchführung verwechselt werden. Es geht darum, ob die rechtliche Prüfung erforderlich ist, nicht ob sie tatsächlich erbracht wird. Dass Algorithmen keine normativen Subsumtionsschritte durchführen können, steht der Erforderlichkeit deswegen nicht entgegen.

 

 

Lietz: Mir ist bewusst, dass es sich dabei um das zentrale und daher längste Kapitel Deiner Arbeit handelt, aber kannst Du kurz zusammenfassen, warum die Regelungen des RGD im Hinblick auf Legal Tech so problematisch sind?

 

Timmermann: Das RDG wurde nicht für Legal Tech-Anwendungen konzipiert. LT-Anwendungen waren kein Gegenstand der Überlegungen im Gesetzgebungsverfahren 2006 und 2007. Darin wurzelt die aktuelle Rechtsunsicherheit. Die kleinteiligen Streitigkeiten zur Auslegung des RDG im Hinblick auf Software münden in mehr Streit. Sie haben längst eine vom Telos des Gesetzes losgelöste Eigendynamik entwickelt.

 

 

Lietz: Würden die von Dir ermittelten Anwendungsschwierigkeiten und Unstimmigkeiten des RDG durch die aktuell geäußerten Reformüberlegungen des Bundesministeriums für Justiz und für Verbraucherschutz behoben?

 

Timmermann: Aktuell diskutiert wird zum einen die Lockerung des sog. Fremdbesitzverbotes in der BRAO, wobei ich den Begriff Fremdbesitzverbot hier als Oberbegriff für das Wagniskapitalverbot und die Regulierung der interprofessionellen Zusammenarbeit gebrauche. Zum anderen regen viele Stimmen eine Lockerung des Provisionsverbots des § 49b Abs. 2 BRAO an. Sollten diese Reformüberlegungen umgesetzt werden, würde dies nicht die RDG-Herausforderungen lösen. Deswegen bedarf es dringend einer 3. Spur im RDG.

 

 

Lietz: Mit der 3. Spur sprichst Du einen spannenden Punkt an. Du machst in Deiner Doktorarbeit nämlich etwas, was soweit ich weiß, die wenigsten Doktoranden wagen: Du unterbreitest einen ausformulierten Gesetzesvorschlag. Das ist auch eigentlich folgerichtig, zumal Du vorab eindeutig einen einfachgesetzlichen Handlungsbedarf identifiziert hast. Im letzten Teil Deiner Arbeit schlägst Du daher die Implementierung einer dritten Spur für algorithmische Rechtsdienstleistungen neben herkömmlichen Rechtsdienstleistungen und Inkassodienstleistungen vor. Kannst Du Deinen Vorschlag kurz skizzieren?

 

Timmermann: Das RDG normiert ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt für die Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen. Die Erlaubnistatbestände für Rechtsanwälte und Inkassodienstleister sind de lege lata personenbezogen und sollen dies ferenda bleiben. Die Qualität einer mittels Software erbrachten Dienstleistung bestimmt sich jedoch nicht nach dem Ausbildungsabschluss des Programmierers oder Dienstleisters, sondern nach dem Programmcode sowie der Produktdarbietung im Internet. Daraus leite ich die Schlussfolgerung ab, dass wir einen überwiegend produktbezogenen Erlaubnistatbestand für die Erbringung algorithmischer Rechtsdienstleistungen normieren sollten. Der Rechtsuchende muss vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen durch Menschen und Algorithmen mittels unterschiedlicher berufsrechtlicher Vorgaben geschützt werden. Damit soll er in die Lage versetzt werden, eine informierte Entscheidung darüber zu treffen, ob er seine Angelegenheit einem Rechtsanwalt oder Programmcode anvertraut.

 

Beispielsweise muss Klarheit über die Einstandspflicht einer Berufshaftpflichtversicherung bestehen. Auch sollte kontrolliert werden, dass erforderliche Updates nach Gesetzesänderungen tatsächlich vorgenommen werden. Und natürlich ist die Einführung einer Informationspflicht über die Reichweite der Umsetzbarkeit der juristischen Methodenlehre in Bezug auf die konkrete algorithmische Rechtsdienstleistung von zentraler Bedeutung.

 

 

Lietz: Vielen Dank für den Einblick in Deine äußerst aufschlussreiche Arbeit. Ich möchte den Leserinnen und Lesern dieses Interviews noch mitgeben, dass wir an dieser Stelle wirklich nur über die Grundzüge sprechen konnten. Daneben enthält das Werk etliche interessante Gedanken, die hier unberücksichtigt bleiben mussten. Wer sich also weitergehend für Legal Tech interessiert, sollte das Buch lesen. Auch denke ich, wir können gespannt bleiben, wie sich Geschäftsmodelle und Gesetzgebung entwickeln, ob es also in der Zukunft tatsächlich einmal eine dritte Säule der „Algorithmischen Rechtsdienstleistung“ im RDG geben wird. Potential für eine 2. Auflage Deiner Arbeit besteht daher allemal!

 

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 1 Die Autorin und Interviewerin Dr. Franziska Lietz ist Rechtsanwältin in der Kanzlei RITTER GENT COLLEGEN in Hannover und Geschäftsführerin der RGC Manager GmbH & Co. KG, die Compliance-Software im Energie-, Umwelt- und Arbeitssicherheitsrecht anbietet, ebenfalls in Hannover.

 

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