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Zitiervorschlag: Brecke, LR 2020, S. 31, [●], www.lrz.legal/2020S31

 
Jan Brecke
Autor: Jan Brecke
Autor von „Singularity Leadership – Was Sie jetzt tun müssen, damit Ihr Unternehmen die digitale Revolution überlebt“ und „So wollen Top-Talente arbeiten“ | Key Note Speaker | Executive Coach | Change Catalyst

Big Data, Künstliche Intelligenz sowie disruptive Entwicklungen im Zuge der Digitalisierung bringen Rechtsabteilungen, Compliance-Abteilungen und Wirtschaftskanzleien an den Rand der Singularität: Den Scheidepunkt, an dem ein System in etwas gänzlich Neues umbricht, wie etwa in eine digitale Revolution. Was sind die 10 wichtigsten Handlungsprinzipien in Zeiten der Digitalisierung?[1]


 

 

 

Authentische Werte als Basis

Führungskräfte müssen den Wert ihrer Rechtsabteilung, Compliance-Abteilung oder Wirtschaftskanzlei kennen und die Frage aufwerfen, ob diese Werte in Zukunft noch zu den Anforderungen des Marktes passen. Es gilt, Werkzeuge und Maßnahmen festzulegen, um die heutige Unternehmenskultur den postulierten Gegebenheiten anzupassen. Ein wahrer Kulturwandel dauert fünf bis zehn Jahre. Die Unternehmenswerte müssen authentisch sein. Die breite Mitarbeiterschaft, aber auch externe Bewerber durchschauen sofort, ob Unternehmenswerte authentisch sind.

Bei der Neuerstellung eines Leitbildes sollten Mitarbeiter unbedingt miteinbezogen werden. Es sollte eine flächenübergreifende, cross-divisionale Diskussion mit allen Führungskräften stattfinden und ein Querschnitt der überwiegenden Mitarbeiterschaft an den Prozessen beteiligt werden. Die Diskussion und Auseinandersetzung mit den Unternehmenswerten ist wichtiger als das – oft zu Marketingzwecken genutzte – verschriftlichte Leitbild.


Singularity Leadership als Führungsmodell

Führung und Zusammenarbeit werden sich umfassend verändern. Künstliche Intelligenz, Robotik und Smart Data bringen Rechtsabteilungen, Compliance-Abteilungen und Wirtschaftskanzleien an den Rand der Singularität, verstanden als der Scheidepunkt, an dem ein System in etwas gänzlich Neues umbricht. Die Führung muss den passenden Rahmen für den rasanten Fortschritt der Technologie setzen. Aufgrund der tendenziellen Überlegenheit artifizieller Intelligenz gegenüber dem Menschen hinsichtlich analytischer Fähigkeiten, sollte die Führungskraft den Fokus auf andere Intelligenzen legen.

Der menschliche Aspekt rückt stark in den Vordergrund, da sich viele Mitarbeiter vor der digitalen Revolution fürchten. Das Modell „Singularity Leadership“ umfasst zahlreiche Soft Skills, die erfolgreiche Führungskräfte in der digitalen Transformation haben sollten. Es sind Emotionen, Passionen und im weiteren Sinne Intuitionen, die Menschen gegenüber intelligenten Maschinen haben und nutzen sollten.

Immer relevanter werden die interpersonale und intrapersonale Intelligenz sowie nach innen gerichtete Selbstbeobachtungen, sog. Introspektionen. Sie ermöglichen den Zugriff auf ein unbewusstes Wissensreservoir von nicht mehr bewusst zugänglichen Erinnerungen, Wahrnehmungen und Empfindungen, wodurch sich eine gute Intuition ergibt. Wichtig sind auch kommunikative Fähigkeiten. Die Führungskraft muss in Zeiten der Digitalisierung klar kommunizieren und die Mitarbeiter inspirieren. Der persönliche Erfolg setzt stets eine Lernagilität und Leidenschaft voraus. Lernagile Menschen sehen Chancen, wo andere Hindernisse sehen sowie die Möglichkeit, in allen Interaktionen und Opportunitäten etwas zu lernen. Diese Lernagilität manifestiert sich als Mindset, nie in Wissensdrang stehen zu bleiben. Wer sich ausruhen wird, kann wahrscheinlich in einigen Jahren nicht mehr mithalten.

Die Haltung der Führungskraft ist ebenso entscheidend und erfordert eine selbstbewusste Bescheidenheit, sog. „Confident Humility“. Führungskräfte, die diese gegensätzlichen Eigenschaften in sich vereinen, haben die richtige Haltung, um in der post-digitalen Welt zu führen.


Einführung von Ambidextrie

Rechtsabteilungen, Compliance-Abteilungen und Wirtschaftskanzleien müssen agiler werden. Notwendig ist ein Zusammenspiel von Altbewährtem und Innovationseinheiten. In den Innovationsbereichen ist eine schnelle Umsetzung mit Fehler-Tolerierung erforderlich, um Digitalisierungsprojekte praxisnah anzugehen. Daneben müssen die bisherigen Stärken des Geschäfts mit einer möglichst geringen Fehlerquote in den produzierenden Standardbereichen vorangetrieben werden. „Beidhändigkeit“, sog. Ambidextrie, ist nötig.

Der Aufbau eines beidhändigen Systems ist unabhängig von der Größe des Unternehmens und benötigt nicht viele Ressourcen. Hierfür kann eine Taskforce als Sparringpartner für die Geschäftsleitung eingesetzt werden, um aufzuzeigen, wie eine innovativere Unternehmenskultur in circa fünf Jahren auszusehen hat. Zudem kann die Taskforce in regelmäßiger Interaktion darauf hinweisen, welche Game Changer entscheidend sind, um Rechtsabteilungen, Compliance-Abteilungen und Wirtschaftskanzleien voranzubringen. Wichtig ist, dass die Geschäftsführung auf Augenhöhe mit der schnellen Eingreiftruppe steht. Das simuliert die Arbeit der Zukunft, welche einen viel stärkeren Netzwerkcharakter als die heutige Arbeitsweise haben wird. In dem Core Team wird bereits eine agile Kultur praktiziert, sodass erste Hypothesen hinsichtlich der späteren Umsetzung generiert werden können. Dabei spielt Selbstorganisation statt kontrollierender, koordinierender und disziplinierender Führung eine große Rolle. Auch führt der Weg von nur aus eigener Sicht optimierenden Abteilungen weg, hin zu Prozessen mit Blick auf die Kunden und den Gesamtzusammenhang.

Nach einer circa drei- bis sechsmonatigen Analysephase der Taskforce sollten eine erste Auswertung und weitere Schritte erfolgen. Es muss unter anderem entschieden werden, wie viele Mitarbeiter agil arbeiten sollen. Empfehlenswert ist zunächst ein Anteil agiler Mitarbeiter von zwei bis zwanzig Prozent. Im Laufe des Jahres kann dieser Anteil beliebig erweitert werden. Dabei agieren die nominierten Talente idealerweise im Sinne von Botschaftern für die Ambidextrie und schulen weitere Mitarbeiter in agilen Arbeitsformen. Der Innovationsbereich wird in der zukünftigen Arbeit eine zunehmend stärkere Rolle einnehmen.


Rekrutierung von Persönlichkeiten, Skills sind erlernbar

Für den Erfolg agilen Arbeitens müssen die Mitarbeiter vernetzt denken und arbeiten können. Die Rekrutierung ist in der Transformation besonders relevant. Eine Mitarbeiterauswahl, so wie sie bislang vielfach abläuft, ist dafür nicht förderlich. In Zukunft werden Unternehmen Mitarbeiter brauchen, die kontinuierlich auf zukünftige – zum Teil noch ungewisse – Jobs und Aufgaben vorbereitet werden müssen. Es wird obsolet, ob der Bewerber einen bestimmten Job zu einem Großteil erfüllen kann und die nötigen Skills mitbringt. Skills sind ohnehin erlernbar. Feste Stellenbeschreibungen gibt es oftmals nicht mehr, weil Aufgaben, Rollen und sogar Führungsfunktionen projektbezogen übernommen werden.

Unternehmen sollten nach Menschen suchen, die zu ihrem „Warum?“ passen. In Stellenausschreibungen sollten nicht nur fachliche Voraussetzungen aneinandergereiht werden. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass nicht nur thematisch fähige Menschen, sondern auch motivierte Mitarbeiter gefunden werden.


Individuelle Mitarbeiterentwicklung ist wichtiger als Leistungsmessung

Das „Warum?“ setzt sich idealerweise nach dem Recruiting fort: Als Sinnstifter sollten Führungskräfte einer Rechtsabteilung, Compliance-Abteilung oder Wirtschaftskanzlei ihren Mitarbeitern entsprechend erklären, warum ihre Arbeit wichtig ist.

Führungskräfte sollten sich als Personalentwickler betrachten und ihren Mitarbeitern helfen, sich weiterzuentwickeln sowie wertschätzendes Feedback geben. Jährliche Zielvereinbarungen und die klassische Leistungsbeurteilung passen nicht mehr richtig ins System. Geeignet sind vielmehr Gespräche zwischen Führungskraft und Mitarbeiter über kurzfristige Ziele und die Karriereentwicklung nach dem Abschluss von Projekten. Diskussionen über die Leistung und deren Bewertung sind zwar sinnvoll, im Vordergrund steht jedoch die Verbesserung des Mitarbeiters. Hierzu muss die Führungskraft verstehen und herausarbeiten, was den Mitarbeiter tatsächlich antreibt und individuell motiviert. Im Wesentlichen muss die Selbstwirksamkeit des Mitarbeiters unterstützt werden. Kritik muss konstruktiv sein. Es sollte eine Atmosphäre von Vertrauen und Akzeptanz hergestellt werden, nicht von Beurteilung.


Führungskräfte als Potenzial-Booster für Talente

Talente sind elementar für den Erfolg eines Unternehmens. Da sie selten sind, muss die Talententwicklung neue Wege gehen und proaktiv sowie vorausschauend betrieben werden. Es ist zu kurzfristig gedacht, die Personaleinstellung durch Bedarfserhebungen (richtige Zeit, richtiger Ort, richtige Person) zu steuern und nicht durch Potenziale. Unternehmen, die nur gegenwärtige Probleme lösen, sind nicht zukunftsfähig. Zudem sollten Chancenungleichheiten angegangen werden. Viele Talente werden nämlich nicht entdeckt, da sie durch das Raster fallen.

Führungskräfte sollten sich in die Lage ihrer Top-Projektarbeiter versetzen: Wie kann deren Entwicklung und persönlicher Marktwert am meisten unterstützt und befördert werden? Sofern gewisse Mitarbeiter die besten Chancen nicht in der eigenen Rechtsabteilung, Compliance-Abteilung oder Wirtschaftskanzlei haben sollten, sondern in einer anderen, sollten sie darauf aufmerksam gemacht werden, ihnen der Job vermittelt und sie gezielt gekündigt werden. Das mag verrückt klingen, ist aber vernünftig. Auf lebenslange Loyalität kann speziell bei der Generation der Millenials ohnehin nicht gehofft werden und überqualifizierte Mitarbeiter werden früher oder später von selbst gehen. Führungskräfte sollten sich ein Ehemaligennetzwerk sichern und ihren Mitarbeitern helfen, sich ein individuelles Karrierenetzwerk aufzubauen.

Grundsätzlich bedeutet Talentmanagement heute, dass Rechtsabteilungen, Compliance-Abteilungen und Wirtschaftskanzleien die Suche nach geeigneten Talenten in den Mittelpunkt ihres Denkens und Handelns stellen. Talentmanagement kann nicht nur Aufgabe der Personalabteilung sein. Vielmehr müssen sich die Führungskräfte und vor allem das Top-Management ständig mit der Entwicklung ihrer Mitarbeiter und ihren Kompetenzen auseinandersetzen.


Abschied von hierarchischen Entscheidungswegen

Da die Entscheidungsbefugnisse für Mitarbeiter in der digitalen Transformation zunehmen, werden die Hierarchien automatisch flacher. Es ist wichtig, Entscheidungen weitmöglich auf der Expertenebene fällen zu lassen. Zumindest ist es sinnvoll, dass keine Entscheidung mehr als zwei Ebenen über dem Entscheidungsvorbereiter getroffen wird, da so die Agilität oftmals durch überlastete Top-Manager und somit durch ständige Verzögerungen von Terminen blockiert wird. Unerlässlich hierfür: Vorstände müssen in die Fähigkeiten der Mitarbeiter vertrauen. Ein kompletter Mindset Change ist nötig!


Etablierung einer Coaching-Kultur

Coaching ist einer der entscheidenden Schlüssel, um nachhaltig eine agile und entwicklungsorientierte Unternehmenskultur zu gestalten. Bei vielen Führungskräften kollidiert jedoch die notwendige Coaching-Haltung mit einem althergebrachten Rollenverständnis und dem Performance-Management-Ansatz: Sie wollen und müssen beeinflussen. Sie sind es gewohnt, Mitarbeiter zu beurteilen und es fällt ihnen schwer, den Mitarbeiter wertschätzend und mit offener Haltung über ein Set spezifischer Fragen zu einer Entscheidung zu bringen. Da sich aber auch die Top-Manager im Coaching mit ihren Soft Skills und mit sich selbst auseinandersetzen (müssen), ist davon auszugehen, dass sich nach und nach eine positive Grundhaltung gegenüber Coaching-Themen etablieren wird.


Lernorientierung und Fehlerkultur

Vernetzt aufgebaute Unternehmen arbeiten nicht linear, sondern in iterativen Prozessschleifen. Dabei gehören Fehler quasi zum Programm. Eine gesunde Fehlerkultur ist essenziell für agiles Arbeiten – Anders ausgedrückt: Die Überzeugung, dass Erfolg auf vorherigen Erfahrungen aufbaut und wir am besten aus Fehlern lernen. Im operativen Geschäft sollten Fehler jedoch im Idealfall vermieden werden.


Kreation von modernen Office Spaces

Digitalisierung, zunehmende Flexibilität und wachsende Mobilität wirken sich auch auf Büroarbeitsplätze aus. Das Büro der Zukunft wird mehr und mehr eine offene Plattform und ein interdisziplinäres Labor für neue Ideen sein. Dennoch ist es für Arbeitnehmer wichtig, einen festen Arbeitsplatz mit Tisch und Sitzplatz zu haben. Desk-Sharing ist für den Großteil der Mitarbeiter nicht ideal.

Wichtig ist vor allem, dass Möglichkeiten dafür geschaffen werden, dass sich Mitarbeiter abteilungsübergreifend vernetzen können. Begegnungsstätten, um Silodenken zu eliminieren, ist das höchste Gebot für moderne Office Spaces. Die immer beliebter werdenden Coworking-Spaces, in denen Schreibtische angemietet werden können, dienen hier als Modell.

 


[1] Dieser Beitrag ist eine durchgesehene und editierte Version des Beitrags „Das postsinguläre Manifest: zehn Handlungsprinzipien“ des Autors, der in der Oktoberausgabe 2019 des Magazins „Wirtschaft + Weiterbildung“ publiziert wurde (https://www.haufe.de/personal/zeitschrift/wirtschaft-weiterbildung/jahrgang-2019-48-88950.html). Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Haufe Group.

 

 

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