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Zitiervorschlag: Köbler, LR 2021, S. 42, [●], www.lrz.legal/2021S42

 
Prof. Dr. Ralf Köbler
Präsident des Landgerichts Darmstadt | Honorarprofessor der Universität Speyer

Als innovativ gilt die Richterschaft nicht. Und natürlich ist es auch eine gesellschaftsbewahrende Aufgabe, das geltende Recht anzuwenden. Dass es dabei den Rechtsprechenden vor allem darauf ankommt, der Flut der Verfahren de lege lata Herr zu werden, statt „unrealistische Ideen“ de lege ferenda zu artikulieren, verwundert angesichts der Personalsituation der Gerichte nicht. Umso mehr ist es zu begrüßen, dass die Präsidentin des BGH, die Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte und des Bayerischen Obersten Landesgerichts vor rund anderthalb Jahren eine Arbeitsgruppe zum Thema der „Modernisierung des Zivilprozesses“ ins Leben gerufen haben.

 

Auf dem virtuellen 1. Deutschen Zivilrichtertag am 02.02.2021, verantwortet vom Präsidenten des Oberlandesgerichts Nürnberg, Dr. Thomas Dickert, wurden die Ergebnisse der Arbeitsgruppe vor insgesamt knapp 2.000 Teilnehmern, aktiven, die auch an Abstimmungen teilnehmen konnten, sowie passiven auf YouTube der juristischen Fachöffentlichkeit vorgestellt werden. Der über 100-seitige Abschlussbericht, der als Diskussionspapier von der Homepage des federführenden Oberlandesgerichts Nürnberg heruntergeladen werden kann, macht zukunftsweisende Vorschläge, die zum Ziel haben, die Möglichkeiten der modernen Informationstechnik besser zu nutzen.

 

Das Diskussionspapier schlägt vor, ein Justizportal einzurichten, das als bundesweit einheitlicher, sicherer elektronischer Zugang der Bürger zur Justiz und zugleich als sicherer Übermittlungsweg für Schriftsätze im Sinne des Gesetzes dienen soll. Zugleich soll das Justizportal die bisherigen digitalen Angebote der Justiz, insbesondere das online-Mahnverfahren, sowie einen nach den Vorschlägen der Arbeitsgruppe neu einzuführendes beschleunigtes online-Klageverfahren und eine neu zu schaffende virtuelle Rechtsantragsstelle, die per Videokonferenz tätig sein soll, einbeziehen und die technische Möglichkeit zur Teilnahme an virtuellen Gerichtsverhandlungen nach § 128a ZPO eröffnen, die nach dem Vorschlag der Arbeitsgruppe in Zukunft auch nicht mehr in der Weise stattfinden müssten, dass sich das Gericht im Gerichtssaal aufhält: Gerichtsverhandlungen aus dem Home-Office. Die Öffentlichkeit soll dem Vorschlag der Arbeitsgruppe dadurch gewahrt werden, dass im Gericht die Möglichkeit zur Wahrnehmung der Videokonferenz in einem besonderen Raum gewährleistet wird. Ob dies angesichts der Möglichkeit eines schriftlichen Verfahrens ohne Öffentlichkeit tatsächlich zeitgemäß ist, wird zu diskutieren sein.

 

Ein weiterer Vorschlag der Arbeitsgruppe ist es, den Rechtsrahmen für einen elektronischen Nachrichtenraum zu schaffen, den man sich als eine Art individuell verfahrensbezogener Möglichkeit der Verfahrenskommunikation jenseits der elektronischen Akte, z.B. für Terminabsprachen oder den Austausch von Vergleichsvorschlägen, vorstellen kann. Es ist dies die Idee einer Social Media-inspirierten Kommunikation für Gerichtsverfahren – dieser Vorschlag ist völlig neu. Ob es einen solchen Aufwandes bedarf, oder ob die Justizpolitik nicht über den Schatten der Zulassung des E-Mailings für diesen Bereich der Verfahrenskommunikation springen sollte, wird dem weiteren Verlauf der Diskussion überlassen bleiben.

 

Ein weiterer Vorschlag der Arbeitsgruppe betrifft die vielfältig geäußerte Forderung, die rechtssichere und rechtswirksame elektronische Übermittlung von Dokumenten ohne qualifizierte elektronische Signatur zu ermöglichen. Dazu schlägt die Arbeitsgruppe vor, das bisherige elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (nach vorheriger Identifizierung des Absenders und Aufnahme in einen geschlossenen Benutzerkreis) als sicheren Übermittlungsweg zuzulassen und zugleich die Bürger-Postfächer in den Verwaltungsportalen nach § 2 Abs. 2 Online-Zugangsgesetz ebenfalls als sicheren Übermittlungsweg vorzusehen. Diese beiden Vorschläge greift ein Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz bereits auf.

 

Auf Seiten der Anwaltschaft soll die Kommunikation zudem durch die Einrichtung eines Kanzlei- bzw. Organisationspostfachs vereinfacht werden. Eine alte Forderung.

 

Auch der Vorschlag der Abschaffung des Empfangsbekenntnisses und ihre Ersetzung durch den automatisierten Zustellungsnachweis, den das E-Postsystem der Justiz ohnehin erzeugt, ist ein alter Hut. Es ist sicher, dass dieser Vorschlag in der Anwaltschaft auf wenig Gegenliebe stoßen wird. Es wäre aber an der Zeit, einen millionenfachen, höchst fehleranfälligen Geschäftsprozess auf einfache Weise zu digitalisieren.

 

Der Vorschlag der Einführung eines beschleunigten online-Gerichtsverfahrens beruht auf dem Gedanken der Schaffung intelligenter Eingabe- und Abfragesysteme, die auch Bürgerinnen und Bürgern intellektuell zugänglich sein sollten, und die eine elektronische Verfahrensführung, bei nach dem Vorschlag der Arbeitsgruppe optional zentral einzurichtenden online-Gerichten ermöglichen sollen. Diese Verfahrensart soll nach dem Ergebnis der Arbeitsgruppe für Streitwerte bis 5.000 € im Bereich der Streitigkeiten zwischen Verbraucherinnen und Verbrauchern eingeführt werden – für den Verbraucher als Angebot zur freiwilligen Nutzung, für die beklagten Unternehmen mit Benutzungszwang.

 

Der sicher kontroverseste und zugleich innovativste Vorschlag der Arbeitsgruppe ist der, den Parteivortrag im Zivilprozess von den Parteien in einem gemeinsam zu nutzenden elektronischen Dokument, dem im Abschlussbericht so bezeichneten „Basisdokument“ abbilden zu lassen: Der Vortrag soll in einer chronologisch am Lebenssachverhalt orientierten Tabelle nach der Methode der Relation dargestellt werden. Die Gliederung folgt der Notwendigkeit von Beweisangeboten, die den Text des Vortrags unterbrechen. Späterer Sachvortrag zu einem bereits vorgetragenen Sachverhaltselement, der elektronisch unveränderlich als solcher gekennzeichnet werden muss, soll an der chronologisch richtigen Stelle und nicht am Ende des Dokuments eingetragen werden, so dass ein vollständig zusammenhängender Text zu den anspruchsbegründenden Tatsachen entstünde. Dies würde die Arbeit mit dem Sachverhalt für alle Verfahrensbeteiligten erheblich vereinfachen und den Vortrag der Anwälte punktgenauer machen. Zudem schlägt die Arbeitsgruppe vor, den so dargestellten Sachverhalt auf übereinstimmende Erklärung der Parteien oder mit Schluss der letzten mündlichen Verhandlung für verbindlich zu erklären und als Tatbestand des Urteils zu verwenden.

 

All dies Gedankengut ist im Blick auf die aus dem 19. Jahrhundert stammende Prozessordnung als zukunftsweisend zu begrüßen. Wir sind im 21. Jahrhundert angekommen.

 

Die Justizministerkonferenz hat im Herbst 2020 beschlossen, das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz um die Einrichtung einer Expertenkommission zu bitten, die den Abschlussbericht und weitere bereits vorliegende Reformvorschläge prüfen und bewerten soll. Die weitere Diskussion bleibt abzuwarten.

 

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